Bettina Eva Stumpp: Prostitution in der römischen Antike. Berlin: Akademie Verlag 2001. 294 S. 24 Abb. Pb. DM 78,-- ISBN 3-05-003459-9.

 

Ursprünglich wurde die Arbeit als Tübinger Dissertation 1996 unter dem Titel „Mulier quaestuaria – eine sozialgeschichtliche Untersuchung zur Prostitution im alten Rom“ vorgelegt und erschien 1998 im Akademie Verlag mit dem gleichen Titel wie das hier zu besprechende Werk. Leider erfährt der Leser einleitend nichts von dieser Publikations­situation, denn S. 19 Anm. 4 wird die Erstpublikation nur mit der Angabe des Erscheinungsjahres zitiert und erst S. 94 Anm. 51 ist von „der Erstausgabe des vorliegendes Buches“ die Rede,  wo auf den Forschungsstand zum Thema „Abtreibung“ hingewiesen ist (Hauptquelle ist die kaiserzeitliche medizinische Literatur, aus der aber nur wenige Belege angeführt werden; eine neue zusammenfassende Darstellung bietet Konstantinos Kapparis: Abortion in the Ancient World. London 2002), ebenso S. 115 Anm. 62 zu Prostitution und Kult, S. 204 zur Liste des erotischen Bildmaterials aus Pompeii. Die vorliegende Besprechung betrifft also die Taschenbuchausgabe, die sich in Aufbau und Text eng an die Originalpublikation anschließt, die Belege aber eher eklek­tisch bietet, auf einen Index verzichtet und auch nicht über den Forschungsstand von 1996 hinausführt (zu nennen wäre etwa der Überblicksartikel von Elke Hartmann, Prostitution, in: Der Neue Pauly 10, 2001, 451f.). Für weiterführende wissen­schaftliche Untersuchungen muß also immer von der Originalpublikation ausgegangen werden, denn Formulierungen wie „moderne Untersuchungen haben immer wieder festgestellt“ (32),  „wie die Quellen der Dichter hinlänglich belegen“ oder „ein Lehrgedicht aus der “Kaiserzeit“ (64, ohne weitere Angabe) mögen doch eher in popularwissenschaftlicher Literatur angebracht sein.

 

Einleitend stellt Frau Stumpp (St.) fest, daß seit achtzig Jahren keine „seriöse Monographie“ zu diesem Thema im Rahmen der Geschichtsschreibung der Antike erschienen sei (12), und in der Tat zeigt ein Blick in das Literaturverzeichnis, daß das 1912 erschienene Werk des Sexual­forschers Iwan Bloch die letzte zusammenfassende Darstellung dieses Gegenstandes bildet. Ziel des vorliegenden Buches ist es zu zeigen, „daß Prostitution eine wesentliche Rolle im römischen sowie [...] im antiken Sexual­leben überhaupt spielte“ (13). Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt in den beiden ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit, die christliche Spätantike bleibt ausdrück­lich ausgeschlossen. Als Voraussetzung für diese verdient die vorliegende Arbeit jedoch Beachtung, wird doch gelegentlich auch über die gesetzte Grenze hinausgegriffen (25, 27, 32f., 36, 44, 46f., 56, 100ff., 108, 127, 139, 158, 169f. u.ö.). Als Quellen dominieren die literarischen und epigraphischen Zeugnisse einschließlich der medizinischen und juristi­schen Fachliteratur, für das Bordellmilieu sind die archäologischen Funde aus Pompeii unverzichtbar.

 

Im ersten Hauptteil werden „die Lebensformen der Prostituierten in der römischen Gesellschaft“ dargestellt. Gestützt auf die Untersuchung von Adams, Words for Prostitute (RhM 126, 1983, 321–358), der ca. 50 Synonyme aufführt, werden zunächst die wichtigsten Bezeichnungen für Prostituierte (meretrix, scortum, lupa sowie einige Euphemismen) genannt. Da meistens die Belege fehlen, ist die Nachprüfung von Bedeutungsentwicklungen, wie z.B. bei amica, in der vorliegenden Ausgabe nicht möglich.

 


Der Abschnitt „Die soziale Herkunft der Prostituierten“ (22–51) bespricht zunächst (mit wenigen Nachweisen) die Beschaffungsformen wie Sklaverei, Kriegsgefangenschaft, Aussetzung von Kindern, Menschenraub (besser belegt), dazu Formen freiwilliger Prostitution aufgrund sozialer und ökonomischer Verhältnisse, besonders bei Musikan­tinnen, Tänzerinnen und Schau­spielerin­nen, schließlich noch sehr knapp und allgemein die bei den Elegikern genannten Vertreterinnen der „Demi-Monde“. „Die Lebenssitua­tion der Prostituierten“ (52–64) beschreibt den lokalen Rahmen: Bordell, Privaträume (Kneipen), öffentliche Räume (Bäder), Straßenprostitution. Der angehängte Abschnitt „Biographische Anmerkungen zur Laufbahn von Prostituierten“ bleibt wegen fehlender Quellen eher im Allgemeinen.

 

Das Kapitel „Prostituierten zugeschriebene Verhaltensweisen“ (64–83) greift im besonderen Maße auf die Darstellungen in den Komödien zurück, die natürlich stark topisch geprägt sind, was St. auch ausdrücklich hervorhebt (66; ähnlich S. 144). Daher hätte besonders hier deutlicher differenziert werden müssen. So aber finden sich neben den bekannten Komödien-Klischees der Frechheit und Unverschämtheit der Dirnen auch ein Hinweis auf einen Rechtsstreit in Ägypten, in dem es um das gleiche Thema ging – leider ohne Beleg. Methodisch sinnvoller wäre es gewesen, von derartigen belegten Rechtsfällen auszugehen (wozu auch die kaiserzeitlichen Texte der Juristen zu rechnen sind wie etwa der Hinweis auf Ulpian S. 75) und die literarischen Belege vor diesem Hintergrund auf Topik und Fiktionalität zu überprüfen. So aber wird eine teilwseise wenig differenzierte Gemengelage geboten, deren Realitätsgehalt schwer nachprüfbar ist. Besser belegt ist aufgrund der Forschungslage der Abschnitt über Huren und Zauberei S. 80ff.

 

Auch das Kapitel „Hurenkünste“, in dem Verhaltensformen und Aufmachung der Dirnen beschrieben werden, orientiert sich primär an literarischen Zeugnissen. Der pauschale Hinweis auf „die konkrete Seite“, die in früheren Arbeiten bereits mehrfach behandelt sei (84), kann nicht befriedigen, da auf diese Weise der Zugang zu den reichen archäologischen Zeugnissen (Spiegel, Wandmalereien, Darstellungen von Frisuren, Toilettenszenen) nicht gerade erleichtert wird. Die medizinischen Aspekte der Prostitution (S. 93–115) betreffen zunächst Empfängnisverhütung und Abtreibung einschließlich ihrer moralischen und juristischen Bewertung, ferner die sexuell über­trag­baren Krankheiten (sehr detailliert, aber unzureichend dokumentiert). Das Kapitel „Prostituierte im Kult“ bespricht die bekannten Kulte der Venus Erucina, der Venus Verticordia und Fortuna Virilis sowie der Flora (115–124), wiederum mit sehr allgemeinen Hinweisen auf die Quellen.

 

Der zweite Hauptteil beschäftigt sich mit den „Strukturen der Prostitution in der römischen Gesellschaft“. Er bespricht zunächst die „Topographie der Prostitution in Rom“, wobei man entsprechend dem Titel des Buches einen Blick auf die Situation in anderen Hauptstädten des Imperiums vermißt, die nur einleitend und S. 135 sowie S. 155f. kurz erwähnt werden; für Pompeii wird auf die Erstausgabe verwiesen. Damit treten aber die objektiv gegebenen archäolo­gischen Befunde zurück gegenüber den literarischen und daher nicht selten fiktionalen Zeugnissen, unter denen allein das Konstantinische Regionenverzeichnis eine Ausnahme macht und in Hinblick auf die Lage von Bordellen in der Nähe von Militäranlagen zuverlässige Angaben liefert. Einleuchtend wird das Vorurteil widerlegt, beim Isiskult habe sakrale Prostitution eine Rolle gespielt (131) oder der Vicus Tuscus sei eine Bordellgasse gewesen. Teilweise werden auch Informa­tionen aus früheren Abschnitten wiederholt (S. 135 Bäder). Die beigefügte Karte (S.140) ist zu klein.

 

„Die Kundschaft“ der Prostituierten (S. 143–156) findet sich v.a. in der Unterschicht und in der Armee, da die nobleren Kurtisanen nicht zu den Prostituierten gerechnet wurden. Profitiert haben von der Prostitution die verschiedensten „Vermittler“ (S. 156–176) vom Bordellwirt über den Ehemann (diskutiert unter Berücksichtigung der Augusteischen Lex Iulia de adulteriis, S. 161f.) und die Eltern bis zu den professionellen Zuhältern. Dabei spielt auch der Profit aus Vermietung von Immobilien eine Rolle (174f.). Die Preise für sexuelle Dienstleistungen (177–189) sind zunächst den Inschriften von Pompeii entnommen, für die stadtrömischen Nachweise stützt sich St. auf Martial, wobei nicht selten die reine Fiktionalität erkennbar ist. Aufschlußreich sind die Berechnungen über Existenzminimum und Jahresverdienste von Prostituierten (186–189).


Das folgende Kapitel versucht den Bordellbetrieb aus den inschriftlichen und archäologischen Quellen zu rekonstruieren (190–211). Kurz wird (ohne Belege) die Terminologie besprochen. Aussehen, Einrichtung und Betrieb werden v.a nach den Funden in Pompeii dargestellt, wobei die Deutung und Abgrenzung zwischen eigent­lichem Bordell, Hinterzimmern in Kneipen und einzelnen Kammern direkt an der Straße „eine relativ große Interpretationsspanne“ zuläßt (90f.) und am ehesten durch eindeutige Inschriften zu definieren ist. Genauer wird das größte Bordell Pompeiis, das des Africanus und Victor, beschrieben (191f.), ferner die Werbung für den Bordellbesuch (mit unzureichenden Belegen) und die Funktion der sog. spintriae mit erotischen Darstellungen als Eintrittsmarken für Bordelle diskutiert. Die verschiedenen Erotica der Bordelle (Graffiti, Wandmalereien) sind nicht ohne berechtigte Kritik an der Prüderie früherer Forscher­generationen im Überblick dargestellt; ausführlicher werden die Wandmalereien im Bordell des Africanus und Victor besprochen (201ff.). Im übrigen bedauert man auch hier wieder den generellen Verweis auf die Erstausgabe.

 

Das Kapitel „Sexuelle Normen in der Gesellschaft“ gibt zunächst einen knappen Überblick über die Forschung der letzten Jahrzehnte, in der die sexuellen Ausdrucks­formen der griechisch-römischen Antike in einen „gesellschaftspolitischen und kultur­anthro­pologischen Kontext“ eingebettet wurden (212). Als Ausgangspunkt für ihre Überlegungen zur Konzeption der Ehe und zum Verhältnis von Jugend und Prostitution formuliert St. die Prämisse: „Dem Mann erkannte das hierarchische und phallo­zentrische Konzept der Gesellschaft die führende Rolle auch in den Geschlechts- und Sexualbeziehungen zu, vor allem dann, wenn er ein freier Bürger war. Seinem Sexualpartner blieb nur die Rolle eines Objektes“ (213). Daraus ergeben sich die wiederum nur sporadisch belegten Ausführungen über sexuelle Kontakte in der Ehe und der Umgang mit Prostituierten als eine Art sozialhygienisches Element für junge Männer. Was von den Prostituierten als „Dienstleistungen“ erwartet wurde, wird im letzten Abschnitt dieses Kapitels dargestellt.

 

„Philosophische Positionen zur Prostitution“ sind gegliedert nach den Aussagen der „heidnischen“ Denker und der „christlichen Morallehre“. Die wenigen Äußerungen zur Prostitution bei Platon, Aristoteles, Pythagoreern, Kynikern und Epikureern werden kurz erörtert. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem wenigstens nach einigen stoischen Autoren wie v.a. Musonius zu beobachtenden Wandel in der Bewertung der Ehe am Anfang der Kaiserzeit und der bei Dio Chrysostomos (or. 7) einmaligen Kritik an der Prostitution, die jedoch in der Praxis „ohne jeden Widerhall“ (243) blieben. Die Wurzeln einer rigorosen frühchristlichen Sexualethik werden im Judentum gesehen, für die weitere Entwicklung sind nicht so sehr die Zeugnisse über Jesus als vielmehr die Aussagen des Paulus von Bedeutung (248), wobei sich St. der Kritik von Peter Brown anschließt. Von daher wäre das Thema „Prostitution in der Spätantike“ weiter zu verfolgen.

 

Einige Informationen zu juristischen und und steuerlichen Aspekten der Prostitution, ein Glossar, ein Literaturverzeichnis sowie eine (entbehrliche) Kaisertabelle runden das Buch ab, das mit den einleitend gemachten Vorbehalten für ein breites Lesepublikum einen informativen Überblick zum Thema gibt.

 

Joachim Gruber, Erlangen

joachim.gruber@nefkom.net