Carsten
Scherließ: Literatur und conversio. Literarische Formen im monastischen Umkreis
des Klosters von Lérins. Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 2000 (Europäische
Hochschulschriften. Reihe XV: Klassische Sprachen und Literaturen. Bd. 82). DM 89.00. ISBN
3-631-34760-X.
Während die
historischen Arbeiten auch der neueren Forschung sich im wesentlichen mit der Geschichte
des Mönchstums in Gallien und in diesem Zusammenhang auch mit der Geschichte des Klosters
Lérins befaßt haben, wurden die geistesgeschichtlichen und theologischen Aspekte weniger
und die in diesem monastischem Umfeld entstandene Literatur eher beiläufig diskutiert.
Scherließ (Sch.) schließt diese Lücke durch eine eingehende Untersuchung von vier
Schriften, die alle in der ersten Phase des Klosters entstanden sind. Der ganzheitliche
Ansatz der Interpretation steht zunächst unter der Fragestellung, inwieweit
politisch-gesellschaftliche und geistig-religiöse Entwicklungen in der Geschichte des
Klosters im Zusammenhang standen (5). Damit wird die Klostergründung und die weitere
Entwicklung von Lérins in den großen Kontext der Geschichte Galliens in der Spätantike
gestellt. Lérins mit seiner Insellage im südlichen Gallien ist der ideale Rückzugsort
für Vertreter der gallisch-römischen Oberschicht angesichts der politischen
Unsicherheiten der Zeit. Nicht wenige Angehörige der Klostergemeinschaft übernahmen auch wichtige Funktionen wie z.B.
Bischofsämter im Dienst der Kirche.
Ein zweiter
Aspekt der Interpretation ist die Frage nach dem Einfluß der klassischen Bildung auf die
ausgewählten Schriften. In diesem Zusammenhang werden Kompositionstechnik, Topik und
Stil der Texte besprochen und damit Bewertungskriterien angelegt, die bislang
unberücksichtigt blieben. Alle Schriften verfolgen das Ziel der conversio, indem
sie bei den Hörern bzw. Lesern auf eine Beeinflussung des Lebensstils hinwirken mit der
Absicht, die Adressaten für ein monastisches Leben zu gewinnen.
In einem ersten
Kapitel wird der kulturell-geistige, politische und gesellschaftliche
Hintergrund für die Gründung von Lérins dargestellt (749). Es gibt eine
gute Zusammenfassung des aktuellen Wissens- und Forschungsstandes, ohne daß man dabei
neue Erkenntnisse erwarten sollte. Es ist aber durchaus von Vorteil, wenn der Leser die
für die Bewertung der Schriften entscheidenden Daten und Vorgänge zusammengefaßt zur
Verfügung hat. Das gleiche gilt auch für die Geschichte des Klosters Lérins
(5062).
Als erste
Schrift wird die Epistula de laude eremi des Eucherius von Lyon besprochen. Aus
gallisch-römischer Aristokratie stammend, zog er sich mit seiner Familie um 415 in das
Inselkloster zurück, von wo aus er um 434 auf den Bischofsstuhl von Lyon berufen wurde.
Während des Aufenthalts in Lérins entstand die Epistula. Sch. bespricht diese und
die anderen Schriften jeweils unter den Aspekten Vita des Autors, Inhalt und Aufbau,
Darbietungsform, Stil, Intention und Gattung und schließt mit einer Zusammenfassung. Die Epistula
ist ca. 427/428 an den von Arles nach Lérins zurückkehrenden Hilarius gerichtet und soll
ihn darin bestärken, auf der Insel zu bleiben, bevor dieser um 430 als Nachfolger des
Honoratus Bischof von Arles wurde. Als Zeugnis klassischer Bildung zeigt die Schrift wie
auch die anderen besprochenen Texte einen traditionellen Redeaufbau mit einem
Wechsel zwischen argumentativer, appellativer und erzählend-berichtender Form
(73) in einem Stil, der seit der Spätantike (Isidor von Sevilla) gelobt wird. Der Titel
der Schrift verweist darauf, daß ihr Hauptanliegen das Lob der Klosterinsel ist, die als locus
amoenus und paradisus dargestellt wird. Somit ist die Epistula
eine Propagandaschrift für Lérins (84). Aber der Adressatenkreis geht weit
über Hilarius hinaus: Jeder Leser soll den Wunsch hegen, die Bekehrung zum monastischen
Leben zu vollziehen und in das Kloster zu gehen. Insofern wird die Epistula mit
Recht als werbender Bekehrungsbrief an die mit der klassischen Bildung
vertrauten Aristokraten Galliens verstanden (97f.).
Der Sermo de
vita Honorati des Hilarius von Arles wurde am ersten Todestag des verstorbenen
Bischofs Honoratus von seinem Nachfolger Hilarius als Predigtansprache vor
der Gemeinde von Arles, der bedeutendsten Stadt Südgalliens im 5. Jh., gehalten (129).
Neben dem Lob des Verstorbenen, das im Vordergrund steht, zeigt der Text
exhortativ-paränetische, autobiographische und apologetische Elemente (163). Hilarius
verwendet diese klassischen Formen durchaus kreativ und überwindet so in kunstvoller
stilistischer Gestaltung (aufgezeigt durch die exemplarische Analyse des Exordiums)
die reine Form der Heiligen-/Bischofsvita (165). Der Aufruf zur conversio
zielt in dieser Schrift nicht so sehr auf einen Eintritt ins Kloster von Lérins, sondern
auf die Verwirklichung der asketischen Tugenden, die Honoratus auszeichneten (164).
Die Schrift De
contemptu mundi et saecularis philosophiae des Eucherius von Lyon ist ein werbender
Bekehrungsbrief an seinen Verwandten Valerianus, darüber hinaus aber auch an
andere gebildete Leser aus dem Kreis der Aristokraten Galliens. Ihn will Eucherius
zu einem zumindest verübergehenden Aufenthalt in der Klostergemeinschaft
bewegen (193). Wiederum kann Sch. die hervorragende literarisch-rhetorische Bildung des
Eucherius nachweisen, indem er die argumentativ-appellative Darbietungsform wie auch die
Stilmittel analysiert (170174).
Als vierter
Text wird das 434 entstandene Commonitorium des Vinzenz von Lérins besprochen.
Auch dieser Autor gehört der Oberschicht an; er stammt wahrscheinlich aus einer
Honoratiorenfamilie aus Nordfrankreich und war, wie die anderen hier besprochenen
Lériner, klassisch erzogen und hoch gebildet (195). Die Schrift wird verstanden als
dogmatische Standortbestimmung für conversi; die katholischen
Glaubenssätze werden gegen häretische Neuerungen abgegrenzt (240). Sch. spricht daher
wohl mit Recht von einer Legitimationsschrift für die in Lérins betriebene
Theologie und das dort geführte Glaubensleben (242). Im Vergleich mit anderen
Texten gleichen Titels zeigt Sch. die Wesensmerkmale dieser Gattung auf (233236).
Der Aufbau zeigt die traditionellen Redeteile. Die Stilmittel weisen auf einen eindeutigen
Adressatenbezug, wodurch die ältere These, die Schrift sei lediglich für den
Privatgebrauch verfaßt, überzeugend widerlegt wird (241). Da die Schrift anonym unter
dem Autorennamen Peregrinus überliefert ist, untersucht Sch. auch diesen Begiff und
zeigt, daß er im Umfeld von Lérins gerne verwendet wurde (230233). Ein
Bescheidenheitsgestus muß damit nicht zwangsläufig verbunden sein.
In einem
letzten Abschnitt werden die Ergebnisse der Untersuchung noch einmal knapp
zusammengefaßt. Der Anhang bietet einen Index der nachgewiesenen Reminiszenzen und
Zitate, im Literaturverzeichnis sollten auch Nachdrucke und Neuauflagen konsequent genannt
werden. Die beigegebenen Karten sind zu klein geraten, die Broschur ist, wie häufig in
dieser Reihe, äußerst fragil.
Sch. hat mit
seiner Untersuchung nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Kultur- und Geistesgeschichte
des spätantiken Gallien geliefert, sondern auch exemplarische Beobachtungen zu den
Gattungen und den stilistischen Ausformungen der Schriften gemacht und das
geistig-literarische Leben anschaulich dargestellt. Der dafür gewählte
interdisziplinäre Ansatz setzt neben den philologischen auch historische und theologische
Kompetenz voraus, die dem Autor uneingeschränkt zugesprochen werden kann.
joachim.gruber@nefkom.net