Ernst Pitz: Die griechisch-römische Ökumene und die drei Kulturen des Mittelalters. Geschichte des mediterranen Weltteils zwischen Atlantik und Indischem Ozean 270–812. Berlin: Akademie Verlag 2001 (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Band 3) 571 S. Euro 74,80. ISBN 3-05-003564-1.

 

Der Name Ernst Pitz mag manchen Lesern zuerst im Lexikon des Mittelalters aufgefallen sein, zu dem dieser mehrere gediegene Artikel beigesteuert hat – unter ihnen einen Beitrag „Mittelalter“, der dieses Zeitalter nach „Begriff“, „Raum“ und „Epoche“ definiert (LexMA 6, Sp. 684–687). Mit seinem neuesten Werk legt Pitz jetzt eine umfangreiche Schilderung der Anfänge des Mittelalters vor.

 

Auf eine „Inhaltsübersicht“ (S. 9–23), die als eine dem Text vorangestellte Zusammenfassung in Stichworten angesehen werden kann, folgt die „Einleitung“ (S. 25–27). Die eigentliche Darstellung zerfällt in elf Kapitel. Dabei schildert der Autor zunächst die Voraussetzungen: „Politische Grundgedanken des Altertums“, S. 29–51 und „Innere Verhältnisse des Römischen Reiches“, S. 53–78, um dann auf die durch die Tetrarchie und den aus dieser hervorgegangenen Konstantin verursachten Veränderungen einzugehen: „Diokletian und Konstantin errichten den byzantinischen Staat“, S. 79–112. Die nächsten drei Kapitel verdeutlichen die einzelnen Stadien des Auseinanderbrechens des spätrömischen Imperiums: „Die gefährdete Reichseinheit (337–395)“, S. 113–142; „Die zerbrochene Reichseinheit (395–526)“, S. 143–200; „Die verlorene Reichseinheit (491–565)“, S. 201–250. Danach wird, wiederum in drei Kapiteln, die Aufteilung der Mittelmeerwelt in mehrere Herrschaftszonen geschildert: „Abendland und Byzanz: Die zweigeteilte Mittelmeerwelt (565–610)“, S. 251–304; „Byzantiner und Araber: Die Spaltung des Morgenlandes (610-689)“, S. 305-351; „Die dreigeteilte Mittelmeerwelt (680–718)“, S. 353–397. Das vorletzte Kapitel beschäftigt sich mit der „Erneuerung der Flügelmächte (714–795)“, S. 399–444, das letzte beinhaltet „Das Ende des antiken Weltsystems (774–812)“, S. 445–496. Auf den Seiten 497–511 findet man „Hinweise zu Quellen und Literatur“. Diese sind nicht nach den soeben genannten Kapiteln gegliedert, sondern nach deren Abschnitten, die nunmehr als Paragraphen (§) betrachtet werden. Das eigentliche Literaturverzeichnis, in das auch einige wenige orientalische Quellen nach den Namen ihrer Verfasser, bzw. Titel eingeordnet sind, schliesst sich S. 513–520 an. Nach einem „Nachwort: Über eine Möglichkeit, vergleichend europäische Geschichte zu schreiben“, S. 521–544, folgt S. 545–571 das „Register“.

 

Im Abschnitt „Raum“ seines Mittelalter-Artikels hatte Pitz ausgeführt, dass die Erforschung des byzantinisch-slavischen Bereichs nicht zu den Aufgaben der (lateinischen) Mediävistik gehöre, und den Orient nicht einmal thematisiert. In denkbar starkem Gegensatz hierzu steht sein Werk über die „drei Kulturen des Mittelalters“, in dem nicht nur die islamische Expansion, sondern auch die ihr vorangehende sasanidische Zeit geschildert und bis zu den Parthern zurückgeblickt wird. Dabei muss allerdings festgehalten werden, dass sich der Verfasser mitunter nicht auf dem neuesten Stand der Forschung befindet. So erscheint es ein wenig simpel, wenn S. 37 zwischen den Parthern, die den Mithraskult, und den Sasaniden, die die zoroastrische Religion begünstigt hätten, unterschieden wird. Hier darf vielleicht an den arsakidischen Prinzen und armenischen König Tiridates (vgl. zu ihm jetzt DNP 12.1 s.v. T. 5) erinnert werden, der sowohl Mithrasverehrer (Cass. Dio 63,5,2) als auch zarathustrischer Priester (Plin. nat. 30,6) war. Was das auf die Parther folgende Herrscherhaus betrifft, hat sich der Autor leider für die Schreibweise „Sassaniden“ entschieden. Einige weitere Beobachtungen betreffen Einzelheiten, die dennoch nicht vernachlässigt werden können. Die etwa einjährige Regierungszeit Hormisdas’ I. ist S. 37 richtig mit 272–273 angegeben. Dessen Vater Schapur I. kann dann aber unmöglich bis 273 geherrscht haben, wie S. 35 behauptet wird, sondern dürfte im Herbst 272 gestorben sein (DNP 5, s.v. Hormisdas 1; DNP 11, s.v. Sapor 1). Ein wenig Befremden erregen die Bemerkungen über die Herkunft der Hunnen (S. 118f. und 123). Pitz folgt hier Franz Altheim, der die Hephthaliten (vgl. DNP 5 s.v. Hephthalitai) für das hunnische „Muttervolk“ hielt, von dem sich die europäischen Hunnen erst gelöst hätten (Geschichte der Hunnen I, 1959, S. 45ff.; Pitz hat nur das von Altheim für einen grösseren Leserkreis geschriebene Bändchen „Reich gegen Mitternacht“, 1955, rde 5 herangezogen). Die heutige Forschung trennt dagegen klar zwischen europäischen und sog. iranischen Hunnen, wobei letztere ausser den Hephthaliten mehrere andere Völker umfassten (EncIr s.v. Huns, im Dr.). Die S. 287 für die Gattin Chusros II. gewählte Namensform „Sira“ erscheint unüblich. Bekannter ist die Königin als Schirin (DNP 11 s.v). Die während Herakleios’ Perserfeldzug eroberte nordmedische Stadt Ganzak identifiziert Pitz S. 318 im Anschluss an Ostrogorsky mit der Ruinenstätte Takht-i Suleiman. Diese früher auch bei Althistorikern beliebte Gleichsetzung ist von Klaus Schippmann (Die iranischen Feuerheiligtümer, 1971, S. 341–347) ausgeschlossen worden. Inwiefern es die Araber für nützlich befunden hätten, den letzten Sasaniden Yazdgird III. (bei Pitz „Jazdegerd“) „als Schattenkönig auf dem Thron sitzen zu lassen“ (S. 334), ist nicht ersichtlich. Man kann im Gegenteil sagen, dass der unglückliche Herrscher von den expandierenden Muslimen zu Tode gehetzt worden ist, auch wenn sein gewaltsames Ende nicht direkt auf das Konto der Invasoren geht (DNP 12.2 s.v. Yazdgird 3, im Dr.).

 

Zumindest hingewiesen sei auch auf einige im Bereich der europäischen Spätantike aufgetretene Irrtümer. Die S. 63 angegebenen Daten für die Annahme des Augusta-Titels durch Zenobia (271) und das Kaisertum des Tetricus (270) müssen um jeweils ein Jahr heraufgesetzt werden (D. Kienast, Römische Kaisertabelle, 1990, S. 238 und 244). Diokletians Caesar, der spätere Augustus Galerius, wird S. 82 einmal fälschlich „Galenus“ genannt. S. 91 liest man, die Dankesrede des Eumenius (Panegyrici Latini IX Mynors) gegenüber Constantius Chlorus (gest. 306) sei am 1. Januar 312 gehalten worden. Tatsächlich stammt der Panegyricus aus dem Jahre 298. S. 99 unten wird die Trierer Porta Nigra im Zusammenhang mit zur Zeit der Tetrarchie errichteten Bauten genannt, obwohl das Tor bereits in spät-antoninischer Zeit erbaut wurde (LexMA 8 s.v. Trier A I). Die S. 117 behauptete Kinderlosigkeit des Constantius II. ist dahingehend richtigzustellen, dass dieser eine Tochter Constantia hinterliess, die später die Frau Gratians wurde (Kienast; S. 312 und 329). Die Formulierung S. 125, Valentinian II. sei im Mai 392 „verstorben“, verharmlost die Todesumstände des jugendlichen Westkaisers, den der Heermeister Arbogast entweder ermorden liess oder in den Selbstmord trieb (Kienast, S. 330). Die S. 254 aufgegriffene Nachricht, der in Ungnade gefallene Gotensieger Narses habe die Langobarden aufgefordert, in Italien einzufallen, wird von der Forschung meist als Erfindung eingestuft (A. Lippold, RE Suppl. 12 s.v. Narses 13a), Sp. 888). Die langobardische Eroberung des Exarchats von Ravenna mitsamt der Stadt selbst schreibt Pitz S. 415 zu Recht König Aistulf zu. Aufmerksamen Lesern mag dabei auffallen, dass der Verfasser Ravenna aber auch schon von Liutprand erobert sein lässt (S. 411). Das Rätsel lässt sich durch Einsichtnahme in Paulus Diaconus auflösen, der am Anfang von 6,49 berichtet, dass Liutprand Ravenna belagerte, aber offensichtlich nur den Vorort Classis einzunehmen vermochte.

 

In der älteren Literatur wurde die Entstehung der byzantinischen Themenordnung auf Herakleios zurückgeführt, der diese Militärbezirke zur Zeit der höchsten Bedrohung des Reiches geschaffen habe. Neuere Forschungen haben die Einrichtung der Themen meist nicht mehr mit diesem Kaiser in Verbindung gebracht (vgl. z. B. P. Schreiner, LexMA 4 s.v. Herakleios). Dies scheint Pitz entweder unbekannt geblieben zu sein oder nicht seine Zustimmung gefunden zu haben. Im ersten Abschnitt des achten Kapitels, der die Überschrift „Beginn des griechischen Mittelalters“ trägt, schildert er die von Herakleios durchgeführten Reformen, unter denen die Schaffung der Themen einen bedeutenden Platz einnimmt (S. 308ff.). Seine Sicht scheint durch Theophanes AM 6113 (= 620/1) bestätigt zu werden, wo der Aufbruch des Herakleios „in das Gebiet der themata“ berichtet wird – ein Quellenzeugnis, dem man heute wieder mehr Gewicht beimisst (vgl. dazu: The Chronicle of Thephanes Confessor. Ed. by C. Mango and R. Scott with the assistance of G. Greatrex., 1997, S. 435 mit Anm. 5, S. 438). Angesichts dieser uneindeutigen Forschungslage masst sich der Rezensent kein Urteil über den genauen Zeitpunkt der Entstehung der Themen an.

 

Mit dem Hinweis auf einige Irrtümer und diskutable Forschungsmeinungen, die sich in Pitz´ Buch finden, soll keineswegs der Eindruck erweckt werden, als ob seine Darstellung in grossen Teilen fragwürdig sei. Die betreffenden Fehlleistungen dürften zum Grossteil von der eklektischen Benutzung der althistorischen Sekundärliteratur durch den vom Mittelalter herkommenden Verfasser herrühren. So ist es einigermassen erstaunlich, dass Alexander Demandts „Spätantike“ (HdAW III 6, 1989) nicht verwendet wurde – von älteren Gesamtdarstellungen (Seeck, Stein) ganz zu schweigen. Dass Pitz bei allem universalhistorischen Interesse mit der alten Welt weniger vertraut ist, ergibt sich z.B. aus einer S. 238 im Zusammenhang mit den Pestzügen des 6. Jhs. n. Chr. gemachten Bemerkung über die „der Antike unbekannte ... Plage eines Massensterbens“. Hier sei einmal die Lektüre von Thuk. 2,47–54 empfohlen.

 

Am Ende des siebenten Kapitels (S. 250 unten) erklärt der Verfasser die spätantike Geschichte mit dem Tode Iustinians für beendet. Die Darstellung bis zu diesem Zeitpunkt kann demnach als eine lange Einleitung betrachtet werden, ohne die man aber die folgende Entwicklung nicht versteht. Die Kapitel VI-XI mit dem Nachwort machen die eigentlich wertvollen Teile des Buches aus. Brillant ist insbesondere der Plan, die Geschichte der europäischen Germanenreiche, der „Rhomäer“ und der expandierenden Araber im Zusammenhang zu behandeln. Für den betreffenden Zeitabschnitt sieht sich ein Leser nur allzu oft auf die jeweiligen Nationalgeschichten beschränkt, die jeden etwas umfassenderen Überblick verhindern. Das einzige Werk, das als Vorbild von Pitz’ Sicht betrachtet werden könnte, ist die zu Unrecht vergessene „Weltgeschichte“ Leopold (von) Rankes, auf den sich der Verfasser im Nachwort ausdrücklich beruft. Dabei geht er aber in der Einbeziehung sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Aspekte weit über seinen Vorläufer hinaus.

 

Dr. Martin Schottky, Angerweg 3, D-91362 Pretzfeld