Barbara Kursawe: Docere – delectare – movere: Die officia oratoris bei Augustin in Rhetorik und Gnadenlehre. Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh 2000 (Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums N.F.1. Reihe, Band 15). Zugl.: Diss. Münster 1998. 180 S. , DM 68,-- ISBN 3-506-79065-X

 

„Augustin [steht] der klassischen Rhetorik viel näher als Johannes [Chrysostomos]: Für die Praxis des Redners gibt er zahlreiche technische Empfehlungen, die auf der antiken Rhetorik fußen; der Einfluß Ciceros ist überall mit den Händen zu greifen.“ So formuliert Hartmut Leppin in einem kürzlich erschienenen Beitrag zu dem Sammelband ‚Rede und Redner’[1] die These, die Gegenstand der Arbeit von Frau Kursawe (K.) ist. K. unternimmt den Versuch, das bei Cicero ausformulierte Denkschema der officia oratoris, der Aufgaben des Redners, für Augustinus über den im engeren Sinne rhetorischen Kontext hinaus zu etablieren. Sie erläutert dieses „Dreierschema“ – docere – delectare – movere - und stellt die dem Redner obliegende „Vorfeldaufgabe“, das Geneigtmachen des Hörers, diesem Schema als notwendige Vorstufe voran. Ihre Arbeit ist in vier Hauptteile gegliedert: A. Vorstellung der Quellen vor Augustin, namentlich Cicero und Quintilian; B. die Behandlung der Pflichten des Redners in Augustins Werk De doctrina christiana, C. andere rhetorische Aussagen Augustins und D. die Pflichten des Redners im Zusammenhang mit der augustinischen Gnadenlehre. Einleitung, gut lesbare Zusammenfassung, Literaturverzeichnis, Indices runden das Buch ab.

Vorab ist festzustellen, dass K. mit offenbar sehr gründlicher Kenntnis des Augustinischen Oeuvres und breitem Überblick über die Sekundärliteratur an ihre Aufgabe herangegangen ist. Das schlägt sich im ersten Kapitel nieder, wenn sie alle relevanten Passagen bei Cicero sorgfältig auflistet und vorstellt. Sie wirft die Frage auf, welche Eigenleistung Cicero zuzuschreiben ist, wenn es um die Verknüpfung der Aufgaben des Redners mit der Lehre von den Stilebenen geht (19f.) und stellt, ebenso wie für Quintilian, Überlegungen zur Konsistenz seiner Terminologie an (20, 23f.). Allerdings scheint mir gerade im Hinblick auf die Synonymik und die präzise Definition dessen, was conciliare im Verhältnis zu delectare bei Cicero bedeutet, eine endgültige Entscheidung problematisch. K. betont, dass die Frage der historischen Genese des Officia-Schemas[2] für ihre Augustinusinterpretation keine Bedeutung habe (21). Trotzdem wäre es für den Leser hilfreich, wenn auch keine Diskussion der vermutlich aristotelischen Wurzeln des officia-Konzeptes, so doch wenigstens einen Hinweis auf die einschlägigen Passagen bei Aristoteles zu erhalten.

Den Augustinus gewidmete Hauptteil der Arbeit beginnt K. nach einem kurzen Blick auf Hieronymus und Ambrosius (25f.), indem sie den Argumentationsgang des für ihre Untersuchung zentralen 4. Buches von De doctrina christiana erläutert. Sie vermag so die allmähliche Entfaltung der rhetorischen Terminologie aus dem Zusammenhang darzustellen. Es scheint mir jedoch problematisch, ob sich die Analyse wirklich in der von K. angestrebten Schärfe durchführen läßt. Sind die sog. Vorfeldaufgabe, also das Geneigtmachen des Leser-Hörers, die officia oratoris und die virtutes narratoris wirklich so präzise voneinander zu trennen? K. selbst ist zuversichtlich und postuliert für Augustinus, je nach der Zielsetzung, eine jeweils verschiedene Gewichtung der Einzelbereiche.

Sie hat mit enormer Akribie das gesamte Wortmaterial durchgesehen und ihre Funde penibel dargestellt. Auf diese Weise entsteht eine erschöpfende Materialsammlung. Jede Stelle wird in ihrem Kontext erläutert. Es ist aber zu fragen, ob es K. anhand ihres reichen Belegmaterials nun gelungen ist, für Augustinus eine konsistente rhetorische Theorie nachzuweisen. Ist es nicht so, dass er sich die ihm und seinem Leser vertraute Terminologie nach Belieben zu nutze macht ? Ist movere wirklich stets terminologisch zu verstehen? An etlichen Stellen muß das von K. postulierte Schema erweitert werden, z.B. wenn sie die Aufgabe des Redners gegenüber Häretikern erläutert, das terrere (z.B. S. 69) oder die Wirkung der Rede auf den Redner selbst (96). Auch der Zusammenhang von Rede und Gesang (S. 90, 95ff.) spielt eine Rolle. Für Augustinus eine konsistente, terminologisch saubere Theorie zu konstruieren, kann m.E. kaum gelingen. Und wenn man denn eine enge geistige Verbindung von antiker und augustinischer rhetorischer Theorie herstellen will, kann man dann wirklich auf die Frage nach dem Wahrheitsbezug der Rhetorik verzichten? Zu dieser Frage ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten intensiv geforscht worden, und man vermisst bei K. den Rekurs auf diese Überlegungen.[3]

K.s Kernthese rückt dann ab S. 99 in den Blick. Der Zusammenhang mit der Gnadenlehre führe zu einer Abwertung des bloßen delectare; der notwendige Zusammenhang von menschlichem und göttlichem Wirken führe zur Abwertung des Redens als bloßes Geräusch. Jedoch sei für Augustinus’ Denken die rhetorische Terminologie und in Sonderheit das Dreierschema so fundamental, dass er sie ohne weiteres, allerdings unter Einbeziehung biblischen und paulinischen Sprachgebrauchs, auf seine theologische Aussagen übertrage (S. 130ff., bes. auch 147). Wenn theologisch geboten, werde das Dreier- freilich zu einem Zweierschema umgestaltet (z.B. in psalm. 118,17, vgl. S. 144f. und 158). Für die Schrift De natura et gratia muß K. andere Maßstäbe anlegen als für De doctrina chrisitana – hier habe Augustinus in innovativer Weise eine Zuordnung der officia oratoris zu den drei göttlichen Tugenden nach I. Cor. 13,13 durchgeführt. Für K. liegt darin eine „Synthese von rhetorischer Lehre und biblischer Botschaft“. Auch hier scheint es mir wiederum fraglich, ob eine konsistente Übertragung der Systematik und damit eine durchgehende, einheitliche Terminologie und Theorie der Gnadenlehre für Augustinus wirklich nachweisbar ist. Dieser Problematik ist sich auch K. stellenweise bewußt; so führt sie in der Zusammenfassung aus: „Es zeigt sich..., dass es jeweils auf die Perspektive ankommt, in der Augustinus auf das Wirken Gottes in seinen verschiedenen Ausprägungen blickt; so bietet sich uns eine Vielfalt von Antithesen und Synthesen, die nicht unbedingt eine theologische Systematik widerspiegeln. Eher können unsere Beobachtungen dazu dienen, einen Eindruck von der Genialität Augustins zu gewinnen, aufgrund derer er seine Lehre immer wieder mit neuen Einfällen ausgestaltet hat“ (S. 159).

Zusammenfassend läßt sich sagen, dass K. eine erschöpfende Materialsammlung zum augustinischen Sprachgebrauch im Hinblick auf die rhetorische Terminologie vorgelegt hat. Sie vermag zu zeigen, dass Augustinus sich die ihm vertraute Begrifflichkeit dienstbar gemacht hat, um andere Sachverhalte zu beschreiben, und wie kreativ er dabei war. Nach der Lektüre allerdings drängt sich die Frage auf, ob die Stoffsammlung nicht in konzentrierterer Form hätte präsentiert werden können und eine tiefergehende theoretische Druckdringung der Fragestellung hätte angestrebt werden müssen. Die spannende Frage, wie Terminologie von einem auf den anderen Bereich übertragen wird, wann ein Begriff terminologisch, wann intertextuell, wann unbefangen Verwendung findet, ist nicht nur nicht beantwortet – was nicht überrascht, - sie ist auch nicht oder nur in Ansätzen gestellt.

Die Darstellung leidet etwas unter der sehr kleinteiligen Untergliederung. Mich stört es auch, wenn zu viele lateinische Wörter das Deutsche verunklären (z.B. S. 37: „So könnte wegen eines möglichen fastidire des Publikums das delectare angebracht sein...“). Das Buch ist sorgfältig produziert und nahezu frei von Druckfehlern. Allerdings wäre eine Wiedergabe der griechischen Wörter mit griechischem Zeichensatz wünschenswert gewesen.


Christiane Reitz, Rostock

christiane.reitz@philfak.uni-rostock.de

 



[1]Hartmut Leppin: Der Prediger und der Mönch. Zur Bewertung christlicher Rede in der Spätantike. in: Rede und Redner. Bewertung und Darstellung in den antiken Kulturen. Kolloquium Frankfurt a.M. 14.-16. Oktober 1998, hrsg. von C. Neumeister und W. Raeck, Möhnesee 2000, S.301-312. Zitat S. 309.

[2] Insbesondere die Lehre vom exordium (z.B. Rhet. 1415a34ff) und die Einteilung der pisteis (Rhet. 1356a1ff).

[3] Vgl. z.B. S. Schweinfurth-Walla, Studien zu den rhetorischen Überzeugungsmitteln bei Cicero und Aristoteles, Tübingen 19861; M. Wörner, Das Ethische in der Rhetorik des Aristoteles, Freiburg (Br.)/ München 1990