S. A. H. Kennell: Magnus Felix Ennodius. A Gentleman of the Church. Ann Arbor: University of Michigan Press 2000. 256 S. ISBN 0-472-10917-0. $ 49.50.

Das Werk des Magnus Felix Ennodius war bislang in erster Linie als historische oder sprachgeschichtliche Quelle betrachtet worden. Kennell (im folgenden ‚K.') sucht dagegen den Zugang zum Autor und zur Person Ennodius, der im Kontext seiner Zeit und seiner Zeitgenossen zu würdigen ist. So ist er gleich eingangs verstanden als „an articulate human being fully engaged with his physical and emotional environment" (2) und sein Werk wird gesehen als ein Zeugnis der literarischen Kultur und der Gesellschaft der Spätantike, die als eigene Periode zwischen Klassischer Antike und Mittelalter gewertet wird. Ennodius ist kein leicht erschließbarer Autor, und K. erklärt einleuchtend unsere Verständnisschwierigkeiten mit der Tatsache, daß sein Werk „highly topical material with exquisite elegance" biete (3). K. nähert sich dem Werk des Ennodius in mehreren Durchgängen unter verschiedenen Fragestellungen. Dadurch ergibt sich eine sehr intensive Auseinandersetzung; die einzelnen Texte werden von Kapitel zu Kapitel jeweils neu beleuchtet. Allerdings sollten die Querverweise durch die Einfügung von Seitenzahlen, hilfsweise durch ein Stellenregister, leserfreundlicher gestaltet sein.

Das 1. Kapitel wertet zunächst das sog. Eucharisticon, einen kurzen Lebensbericht in Form eines Gebets oder besser Briefes an Gott (ausführlich besprochen 23ff.), und andere Texte der Werksammlung wie die Vita des Epiphanius für die Vita des Autors aus, wobei die chronologisch geordneten erhaltenen Schriften alle der Zeit vor seinem Bischofsamt in Pavia (seit 513) angehören. Schon hier notiert K. den Umstand, daß die Texte, der Korrespondenz des Symmachus vergleichbar und „emphatical literate" (5), jeweils für ein besonderes Publikum und für eine besondere Gelegenheit abgefaßt wurden, sodaß Aussagen über seine Vita immer in diesem sozialen und rhetorischen Kontext gesehen werden müssen. Detailliert werden in diesem Zusammenhang das Geburtsjahr (474), Verlobung oder Heirat und der Eintritt in die krichliche Laufbahn besprochen. Daran schließt sich, etwas überraschend, ein Überblick über die Werkeditionen seit dem Erstdruck von 1569 und über die Forschungsgeschichte an.

Leben und Werk des Ennodius sind nach K. von zwei Faktoren bestimmt, der Freundschaft und der klassischen, d.h. in erster Linie rhetorischen Bildung. Die freundschaftlichen Beziehungen, die Ennodius pflegte, sind in seinem Briefwechsel und in seinen Reden dokumentiert. Ihnen gilt das 2. Kapitel „The Divinity of Letters". Briefe und Reden sind auch Ausdruck seiner Anschauungen über Bildung und Erziehung. K. zeigt sie an ausgewählten Beispielen wie dem Sendschreiben an Papst Symmachus, in dem Ennodius sein Bildungsverständnis in dem Satz zusammenfaßt sancta sunt studia litterarum, oder in der Dictio für Parthenius, in der die Rolle des Erziehers mit den Worten gewürdigt wird aurum nihil est, nisi manu componatur artificis; dazu treten vielfach Erziehungsmetaphern aus der Landwirtschaft. In den Umkreis der freundschaftlichen Beziehungen gehören auch Trostschreiben und Epitaphien. Schließlich werden die Deklamationen des Ennodius in die Tradition dieser rhetorischen Gattung gestellt; auch sie sind Ausdruck des in der Zeit zwischen Konstantin und Gregor dem Großen gepflegten Stils (79). Wie dagegen die tägliche Korrespondenz des Klerus ausgesehen hat, zeigt der Vergleich mit einer Gruppe von Papyri aus Ravenna und führt zu dem Schluß: „Ennodius' involvement with belles-lettres is a clear manifestation of late antique cultural Hellenism" (84).

Im Kapitel 3 „Living in a Material World" versucht K. zu zeigen, wie die reale Umwelt sich in seinen Schriften widerspiegelt: Da ist die Ablehnung der Wildnis und der inhumanen Einsamkeit mit Ausnahme des Eremitendaseins (87f.), die Reise von Briançon nach Turin als eine Reise aus der weiten, wilden Welt zu den heiligen Gebäuden der Stadt (90), die Darstellung des Frühlings im Epithalamium für Maximus (92ff.), die Beschreibung der Quellen von Abano Terme (96ff.). Aber sein wirkliches Interesse gilt der Welt der Kultur (98), der Beschreibung Gegenständen (113ff.), von Kirchen und Häusern. Andere Texte betreffen Alltagsprobleme wie der Briefwechsel mit Boethius über ein Haus in Mailand (108f.) oder die Korrespondenz über Sklaven (110ff.). Von all diesen Dingen ist Ennodius direkt betroffen, und wenn er sie beschreibt, ist das nicht nur ein Beweis seiner literarischen Geschicklichkeit; das hat K. in diesem Durchgang durch das Werk überzeugend dargetan und sie widerlegt so ein altes Vorurteil der Forschung.

„Family's Boons, Kinship's Bonds" ist das 4. Kapitel überschrieben. Ein guter Teil der Korrespondenz ist an Adressaten gerichtet, mit denen Ennodius verwandtschaftlich verbunden ist, allerdings sind nur sechs von ihnen namentlich zu identifizieren. In diesem Zusammenhang wird auch ein Überblick über die Versuche gegeben, den Namen Ennodius abzuleiten, der mit der griechischen Gottheit Ennodia in Verbindung gebracht wird. K. plädiert wegen eines in Kolophon in Kleinasien nachgewiesenen Ennodia-Kultes für die Herkunft der Familie von dort, vielleicht im Zusammenhang mit der zweiten Sophistik, als griechische Rhetoren aus Kleinasien in den Westen kamen. Die Aufgeschlossenheit der Familie des Ennodius für hellenistische Bildung (seine Schwester heißt bezeichnenderweise Euprepia) könnte mit dieser Tradition in Zusammenhang stehen (131). K. bespricht im Detail die Korrespondenz mit den einzelnen Verwandten, beginnend mit den sieben Briefen an die genannte Schwester. Alle anderen Adressaten werden nur mit unbestimmten Verwandtschaftsausdrücken bedacht, sodaß die tatsächlichen Beziehungen unklar bleiben; die dabei verwendete Terminologie wird im einzelnen diskutiert (140f.). Weiterhin werden die 15 Dictiones als Zeugnisse über fiktionale Familienverhältnisse im christianisierten 6. Jahrhundert befragt (152ff.), wobei sich teilweise der Vergleich mit Quintilian anbietet.

Das letzte Kapitel „Speaking Out for the Faith" befaßt sich nun näher mit dem im Untertitel genannten „Gentleman of the Church". Gegenstand sind Briefe und Dictiones für Kirchenmänner wie Caesarius von Arles, Laurentius von Mailand oder Epifanius von Pavia. Diesem ist die erste überlieferte Dictio von 496 gewidmet, die ausführlich besprochen wird, verstanden als hagiographsiches Schauspiel (181). Dagegen kann Ennodius in den Viten des Epifanius und des Antonius von Lérins seine Vorstellung von Heiligkeit ausführlicher darlegen. Als Zeugnisse des eigenen Glaubens treten Äußerungen in verschiedenen Briefen hinzu. In die aktuelle kirchliche Tagespolitik greift der Libellus adversus eos qui contra synodum scribere praesumpserunt ein. Die diesbezüglichen Fakten, die bereits im ersten Kapitel dargelegt worden waren, werden nochmals aufgegriffen und vertieft. In der ausführliche Würdigung dieser Schrift (186-201) beweist K. ihr philologisches und historisches Verständnis aufs beste. Ein weiteres, ebenfalls ausführlich diskutiertes Zeugnis für Ennodius als Sprecher der römischen Orthodoxie ist die Schrift In Christi nomine.

Abschließend wird in einem „Postscript: Silence and Sainthood" die weitere Vita des Bischofs bis zu seinem Tod im Juli 521 skizziert. Da keine seiner Schriften und Briefe aus der Bischofszeit erhalten (doch solche hat es sicher gegeben), muß auf andere Quellen (Liber pontificalis, Collectio Avellana, das Epitaph) zurückgegriffen werden. All diese Nachrichten sind sehr eingehend besprochen. Ein Überblick über die Ennodius-Lektüre im Mittelalter beschließt den Abschnitt. Eine ausfrühliche Bibliographie und ein Index runden das Buch ab.

Textproben werden lateinisch und in englischer Übersetzung gegeben, sodaß die Überprüfung am Original immer möglich bleibt. Wohl keines der vielfachen Themen im Corpus der Ennodius-Schriften bleibt unerwähnt. Allerdings läuft K. nicht selten Gefahr, sich allzu sehr einer einzelnen Problematik zu widmen, sodaß der Zusammenhang der Argumentation für den Leser nicht immer präsent bleibt. Dennoch muß das Buch als der seit langem bedeutendste Beitrag zu Person und Werk des Bischofs von Pavia gewertet werden.

Joachim Gruber, Erlangen