Tonio Hölscher: Klassische Archäologie B Grundwissen. Mit Beiträgen von Barbara Borg, Heide Frielinghaus, Daniel Graepler, Susanne Muth, Wolf-Dietrich Niemeier, Monika Trümpner. Stuttgart: Theiss 2002. 360 S., 178 s.w.-Abb., 2 Karten, _ 34,90. ISBN 3-8062-1653-3.
Diese Einführung will
nicht so sehr, wie andere in in letzter Zeit erschienene, eine Darstellung von Studiengang
und Fachmethoden bieten, sondern Grundwissen vermitteln. Adressaten sind Studienanfänger
oder einfach an der Archäologie interessierte Leser (7). Und wer vom Studium der
Spätantike ausgeht, wird sich gerne von den Fachgenossen belehren lassen, was
Klassische Archäologie für sein eigenes Forschungsgebiet bedeutet, da die Darstellung
bis in konstantinische Zeit reicht. So kann sich denn auch gerade aus philologischer Sicht
bei der Lektüre ein Zuwachs an Erkenntnissen erwartet werden, und unter diesem Aspekt sei
hier das Buch gewürdigt.
Im 1. Kapitel
Klassische Archäologie im Rahmen der Kulturwissenschaften wird nachhaltig die
Frage nach dem Gewinn zunehmender Spezialisierung thematisiert. Dieses Problem stellt sich
für die Altertumswissenschaft heute mehr denn je, da sich die Forschung zunehmend an die
Ränder der Spezialgebiete verlagert. Und so kann man folgendem Satz nur nachdrücklich
zustimmen: Wer die Realität antiker Gesellschaften kennenlernen will, muß die
einzelnen Disziplinen der Altertumswissenschaften, zumindest im Horizont der
Fragestellungen, doch wieder zusammenführen (12). Gerade bei derartigen
Grenzüberschreitungen des eigenen Spezialgebiets plädiert H. nachdrücklich für den
Mut zu einem vertretbaren Maß an Dilettantismus (ibid.) und darüber hinaus
für eine Revision der bestehenden Grenzen der Spazialdisziplinen, die durch materielle
Sachgruppen definiert sind, zugunsten von thematischen Schwerpunkten. Genannt werden (13)
Religion, Mythologie, Lebensformen, aber auch chronologische und regionale Schwerpunkte
können und müssen die Grenzen der Material-Disziplinen überwinden. Bei der
Frage nach dem Umfeld der Klassischen Archäologie wird in Hinblick auf die
Klassische Philologie mit Recht konstatiert, daß in ihr vielfach sprachliche und
werkimmanente Fragen stark im Vordergrund stehen und weiterreichende kulturanalytische
Ansätze nur zögernd aufgenommen werden (15). Es scheint jedoch, daß zumindest von
einem Teil der jüngeren philologischen Forschergeneration diese begrenzten und oft
wenig förderlichen Fragestellungen aufgegeben werden. Für die Spätantike setzt sich H.
kritisch mit der sog. Christlichen Archäologie auseinander: Sinnvoller ist eine
allgemeine Spätantike und Byzantinische Archäologie und Kunstgeschichte, mit
konsequenter Orientierung an den Maßstäben anderer Archäologien und
Kunstwissenschaften, wobei das Christentum als kultureller Faktor durchaus eine zentrale
Stellung behielte (17).
Das 2. Kapitel stellt
die Geschichte und Forschungseinrichtungen des Faches dar, das 3. die Institutionen der
archäologischen Forschung. Wichtig in unserem Zusammenhang ist der Hinweis, daß mit den
Arbeiten der Wiener Schule (Alois Riegl, Franz Wickhoff), die der Spätantike galten, eine grundsätzliche Aufwertung der römischen
Kunst eingeleitet wurde (23). Zu den grundlegenden Kapiteln gehören weiterhin 4. Epochen
der griechischen und römischen Kultur, 5. Chronologie, 6. Geographie, 7.
Schriftzeugnisse, 8. Methoden der archäologischen Feldforschung, 9. Grundbegriffe der kunstgeschichtlichen
Klassifizierung und Analyse.
Die weitere Darstellung
ist teils chronologisch (10. Die Ägäische Bronzezeit), teils thematisch (11. Städte,
12. Heiligtümer, 13. Gräber, 23. Götter, 24. Mythen, 25. Tracht), teils nach Kunstarten
(14. Architektur, 16. Skulptur, 20. Malerei, 21. Mosaiken, 22. Keramik), teils nach
Gattungen (17. Porträts, 18. Römische Staatsreliefs, 19. Römische Sarkophage)
angeordnet, wozu noch 17. die Historische Topographie von Athen und Rom als eigener
Untersuchungsgegenstand tritt. Gerade an der Topographie Roms zeigt sich bekanntlich die
lebendige Entwicklung bis in dein Spätantike (173f.),
während in Athen mit der Bautätigkeit Hadrians und des Herodes Attikos ein gewisser
Abschluß erreicht war (165). Ein Hinweis auf die Zerstörungen durch den Einfall der
Heruler und Goten 267 und die Konkurrenz von Konstantinopel, womit sich das Ende des
kaiserzeitlichen Athen abzeichnete, sollte nicht fehlen.
Besonders instruktiv
für die Veränderungen in der spätantiken Kunst ist die Entwicklung des römischen
Porträts, die bis Konstantin verfolgt wird (246ff.). Die virtuelle Omnipräsenz des
Kaisers, von den Panegyrici Latini vielfach zum Ausdruck gebracht, hat ihre realen
Ausdruck nicht nur in den Münzporträts, sondern gerade auch in den massenhaften Kopien
von zentralen Bildnisstatuen in der Hauptstadt. Solche Bildnisse scheinen die
jeweils gültige Auffassung des Herrschers und der Herrschaft vor Augen geführt zu
haben (249). Beunruhigend ist die Formulierung (ibid.): Insgesamt gab es
offenbar keine umfassende Planung am Hof, die die bildliche Repräsentation des Kaisers
programmatisch konzipiert und ihre Verbreitung
im Reich strategisch organisiert hätte, beunruhigend insofern, als uns aus Edikten
und Kaisergesetzen die oftmals geradezu kleinliche Sorge um Einzelregelungen in anderen
Bereichen des öffentlichen Lebens bekannt ist. So stellt sich die Frage: Wie groß war
der angenommene Spielraum für die Errichtung öffentlicher Denkmäler?
Von ähnlicher Bedeutung
wie die Kaiserporträts sind die Staatsreliefs (Kap. 18), v.a. in Gestalt der Ehrenbögen
und Ehrensäulen. Die Bildthemen aus dem Relief-Zyklus des Marc Aurel, die am
Konstantinsbogen wiederverwendent wurden (profectio, lustratio, adlocutio, Schlacht,
adventus, Triumph, Opfer, congiarium), S. 264f. erhellend aufgeführt,
können aufs beste nicht wenige Passagen der Panegyrici Latini oder der Dichtungen
Claudians erklären. Wenn dieses Repertoire von Bildthemen hier verstanden wird als
Ausdruck der relativ statischen Situation des römischen Reiches und seiner
politischen Ordnung von Augustus bis in das 3. Jh. n. Chr. (268), so kann man
hinzufügen, daß der Rückgriff in Literatur und bildender Kunst der Spätantike auf
dieses Repertoire auch noch im 4. und 5. Jh. Ausdruck einer zumindest postulierten
Kontinuität ist, die trotz allen Wandels an die Zeit der guten Kaiser des 1.
und 2. Jh. anknüpft. Schießlich geht, so könnte man ergänzen, die Tradition des
Ehrenbogens weiter zu den monumentalen Portalreliefs südfranzösischer romanischer
Kirchen (St. Gilles, Saint-Trophime in Arles).
Besonderes Interesse
verdient das Kapitel über römische Sarkophage, denn von den kaiserzeitlichen
Sarkophagen führen besonders enge Traditionen zur frühchristlichen Kunst (269).
Auch hier könnte auf den Vorbildcharakter dieser Denkmäler z.B. für die
südfranzösisch-katalanische Kunst hingewiesen werden. Wichtig erscheint die Kritik an
der Zurückhaltung der deutschen Sarkophagforschung bei der Frage nach der Bedeutung
der Bildthemen im Kontext des Grabes (ibid.), die sich gerade für die Spätantike
ganz dringlich stellt.
Die Abbildungen sind alle Schwarz-Weiß-Fotografien oder Strichzeichnungen, was in aller Regel sinnvoll ist. Für die Kapitel Malerei und Keramik sollte sich der Verlag bei einer Neuauflage jedoch zu farbigen Abbildungen entschließen. Der ausgewählte Denkmälerbestand scheint überschaubar; die Konzentration auf Wesentliches entspricht dem Untertitel Grundwissen. Das Register ist, zum Schaden der Benützbarkeit, knapp gehalten; auch kann bezweifelt werden, ob es hilfreich ist, auf ein Glossar zu verzichten. Daß ein derartiges Buch für den einen oder anderen Benutzer Wünsche offenläßt, ist selbstverständlich. So können die knappen Kapitel 23 Götter und 24 Mythen allein schon wegen der auf dem beschränkten Raum notwendigen Eklektik nicht recht überzeugen, im Abschnitt über Bautechnik und -materialien (S. 146f.) fehlen Hinweise auf den Einsatz von Baumaschinen.
Hölscher stellt
einleitend die Archäologie in den interdisziplinären Kontext der Geistes- und
Kulturwissenschaften. Im weiteren Verlauf des Textes vermißt man aber weitgehend
entsprechende Hinweise auf fächerübergreifende Fragestellungen oder gar Rezeptionsformen
der behandelten Themen und Gegenstände. Gerade der Studienanfänger sollte auch realiter,
wenigstens durch Andeutung von Möglichkeiten, den Blick über den Zaun
erleben, der theoretisch mit Recht so nachdrücklich vertreten wird. Vielleicht könnte
eine Neuauflage, die man dieser gelungenen Einführung wünschen darf, dieses Desiderat
erfüllen.
Joachim Gruber, Erlangen
joachim.gruber@nefkom.net