Antoine Foucher : Historia proxima poetis. Linfluence de la
poésie épique sur le style des historiens latins de Salluste à Ammien Marcellin.
Bruxelles 2000 (Collection Latomus 255) 487 S. ISBN 2-87031-196-6.
1. Thema
Die breit angelegte Untersuchung von Antoine Foucher (künftig
F.) nimmt ihren Ausgang von einer Stelle aus Quintilians Institutio oratoria, im
speziellen von der dort enthaltenen Aussage Historia ... proxima poetis (Quint.
inst. 10,1,31). F. unternimmt es, auf der Basis einer gründlichen und vielschichtigen
Analyse die Beziehung römischer Geschichtsschreibung sowohl einzelner
Geschichtsschreiber als auch der römischen Geschichtsschreibung als Gattung insgesamt
zur Dichtung, insbesondere zur Epik, herauszuarbeiten. Er beleuchtet den Einfluß,
den gerade die epische Poesie auf die Historiographie in Rom ausübt, in Theorie und
Praxis, im Rahmen verschiedener Komplexitätsstufen der Intertextualität sowie im Wandel
der beiden Gattungen im Laufe der Zeit nicht nur in Rom, sondern auch in
Griechenland. Die sehr klassische Untersuchung reiht sich ihrer Ausrichtung und ihres
Vorgehens nach eher in die Reihe der älteren Forschung ein, beweist aber eindrucksvoll,
daß solche Ansätze nach wie vor nicht als obsolet und unergiebig zu betrachten sind.
2. Ergebnis
F. kommt zu dem Ergebnis, daß die römische Historiographie
mit Ausnahme von Metrik und Rhythmus tatsächlich proxima poetis ist. Bei allen
großen römischen Geschichtsschreibern ist der Einfluß der epischen Dichtung gegeben,
wenn auch hinsichtlich Qualität und Intensität verschieden. Die epische Prägung ist
gleichsam das Markenzeichen der großen, literarisch voll entfalteten römischen
Historiographie. F. zeigt, daß diese Prägung über den rein stilistischen Bereich
hinausgeht und auch die ideologische Dimension sowie die Methode der Geschichtsschreibung
betrifft. Der Einfluß der Epik ist seiner Auffassung nach somit für die römische
Historiographie literarisch und philosophisch von konstitutiver Bedeutung.
3. Methode und Vorgehen
F. ist bemüht, seiner Untersuchung durchgehend eine fundierte
theoretische Grundlage zu geben. Dabei greift er sowohl auf Aussagen griechischer als auch
römischer Autoren zurück. Keinerlei Rolle spielen hingegen moderne Literaturtheorien,
z.B. Intertextualitäts- oder Gattungstheorien. Die Beschränkung auf die antike,
schwerpunktmäßig rhetorische Theorie und die Analyse der Geschichtswerke selbst gibt
dieser Arbeit ihren klassischen Charakter. Der Vorteil ist, daß die Untersuchung auf jede
Spezialterminologie verzichtet und dadurch sehr gut verständlich bleibt. Letzteres gilt
auch für die Argumentation. Eine gewisse Breite der Darstellung neigt zwar zuweilen zu
Wiederholungen, kommt aber der allgemeinen Verständlichkeit und Lesbarkeit zugute. Auch
die Vorgehensweise ist durchsichtig und wird immer wieder expliziert. F. schreitet,
vereinfacht gesagt, stets vom Kleineren zum Größeren und von der Theorie zur Praxis
voran. Sowohl die Gesamtuntersuchung als auch die einzelnen Teilbereiche leitet jeweils
ein Abschnitt ein, der das fragliche Phänomen in der antiken Theorie, Rhetorik und auch
Entwicklung bei den Vorgängern beleuchtet, ein Verfahren, das manchmal etwas
schwerfällig wirkt, zumal hier z.T. auf sehr Grundsätzliches zurückgegriffen wird. F.
richtet den Blick bei den behandelten Aspekten immer sowohl auf die individuelle Praxis
der verschiedenen Autoren als auch auf die generelle Entwicklung der Gattung. Es ist ihm
geglückt, seine umfassende Fragestellung konsequent, zielgerichtet und breit zu verfolgen
und dennoch durch Einzelanalysen zu stützen, die sich nicht scheuen, auch detaillierter
zu werden.
4. Aufbau und Inhalt
Das Buch von F. umfaßt nach einer Einleitung elf Kapitel,
verteilt auf drei große Hauptteile, deren erster sich mit der theoretischen Grundlegung
der Phänomene beschäftigt, während die beiden anderen Berührungspunkte zwischen Epos
und Geschichtsschreibung in gesteigerter Komplexität untersuchen. Die Ergebnisse, die F.
auch am Ende der einzelnen Kapitel stets knapp und gut resümiert, werden als Abschluß in
einer Conclusion insgesamt zusammengeführt. Im Anhang findet man Tabellen zum Vorkommen
poetischer Wörter bei den Geschichtsschreibern (ausgewertet in den Kapiteln fünf bis
sieben) sowie Abkürzungs- und ein umfangreiches Literaturverzeichnis, das allerdings
nicht über die Mitte der 90er Jahre hinausgeht. Zwei Indices, ein Index der poetischen
Wörter und ein Stellenindex ein Sachindex fehlt , bilden den Abschluß vor
dem Inhaltsverzeichnis.
Die Einleitung (7-29) beginnt mit einer Besprechung und Kritik
der Äußerungen Quintilians, woran sich ein Überblick über die Entstehung und die
Entstehungsbedingungen des historischen Genus in Rom anschließt: Ausgehend von der
griechischen Geschichtsschreibung bespricht F. die Vorformen und ersten Vertreter einer
zunehmend literarisch werdenden Form römischer Historiographie, an deren Beginn mit
Naevius und Ennius gewissermaßen die epische Form steht. In einem zweiten Abschnitt
begründet F. seine Textgrundlage: Er wählt 5 Vertreter unterschiedlicher Formen von
Geschichtsschreibung, die zugleich auch den Höhepunkt dieser Gattung in Rom markieren:
Sallust, Livius, Tacitus, Ammianus Marcellinus und ergänzend Curtius Rufus. Im Bereich
der Dichtung legt er das Epos von Ennius bis zu den Vergilnachfolgern zugrunde sowie
vereinzelt auch die römische Tragödie, wobei insgesamt Vergil im Zentrum steht.
Abschließend stellt F. die folgenden Hauptteile einzeln vor, formuliert die Zielsetzungen
der Untersuchung und nimmt dabei wesentliche Ergebnisse zusammenfassend bereits vorweg.
Der erste Hauptteil (32-116) widmet sich v.a. den
theoretischen Grundlagen. Die klassische Rhetorik unter Cicero betrachtet Dichtung und
Geschichtsschreibung als völlig getrennt und ordnet letztere, die nur als opus
oratorium denkbar sei, vollständig der Rhetorik unter. Cicero versucht dabei, die
zwei unterschiedlichen Strömungen der griechischen Historiographie, die wissenschaftliche
Strenge und den literarischen Stil, zu verbinden.
Die eigentlich literarische Historiographie beginnt in Rom
theoretisch mit Cicero, praktisch mit einer Reihe kleinerer Geschichtsschreiber, eine
wirkliche Gattung aber wird sie erst mit Sallust und Livius. Die Werke dieser beiden
beinhalten mit ihrer stark moralisch-patriotischen Komponente auch eine philosophische
Ausrichtung, für die die klassische Rhetorik nicht mehr genügte. Der doppelten
Anforderung an die Geschichtsschreibung, durch Tugendexempla zu nutzen und zu gefallen,
kommt das Epos mit seinem vergleichbaren Anliegen entgegen, wie F. in Auseinandersetzung
mit Aristoteles und Horaz herausarbeitet. Die alten oder idealen römischen Tugenden,
welche die Zeitumstände für Sallust und Livius so wichtig erscheinen lassen, sind das
gemeinsame Thema von Epos und Geschichtsschreibung. Der Einfluß der Epik dehnt sich dabei
auch auf den Stil aus, wie sich bei sonst sehr unterschiedlicher Schreibart der beiden
Autoren abhängig von ihrem Verhältnis zum ciceronischen Ideal an einer
gemeinsamen archaischen Färbung zeigt. In jedem Fall sieht F. in der Entdeckung der
dichterischen Sprache dieser Geschichtsschreiber für ihre Zwecke eine entscheidende
Prägung der römischen Prosa.
In der Kaiserzeit entwickelt sich eine neue Rhetorik, die dazu
beiträgt Historiographie und Epik, v.a. die Vergils, einander anzunähern. Theoretisch
greift F. hier v.a. auf den Dialogus zurück: Dichtung und Beredsamkeit sind die
beiden Hauptquellen, aus denen die Geschichtsschreibung den moralischen Tenor und ihren
Stil gewinnt. Gegenüber Sallust und Livius haben Tacitus und Ammian das Epos weit mehr
verinnerlicht, indem sie darin die Möglichkeit sehen, eine höhere Wahrheit
auszudrücken. F. zeigt, wie das Aeneas-Turnus-Modell, das Antipoden moralischer Werte in
einem exemplarischen Konflikt vorführt, bei den beiden Geschichtsschreibern in ihren
Werken umgesetzt wird. Aus einigen historischen Kaisern werden bei Tacitus und Ammian
echte epische Helden.
F. sieht die epische Komponente der römischen Historiographie
in enger Verbindung mit dem patriotischen Empfinden der römischen Oberschicht: Die
Episierung römischer Tugenden verleiht dem grundsätzlichen Pessimismus eines Sallust
immerhin einen optimistischen Zug, während sie bei Tacitus, der nur noch den tragischen
Helden kennt, lediglich der Parodie dient. Ammian hellt sein insgesamt düsteres
Geschichtsbild mit der vergilischen Hoffnung auf Roms Ewigkeit zumindest etwas auf.
Ab dem zweiten Hauptteil des Buches stehen die konkreten
intertextuellen Bezüge im Zentrum, zunächst die einfachere Form der Verwendung epischen
Vokabulars bei den römischen Geschichtsschreibern (117-260). Mit einer vielleicht
etwas zu ausführlichen Besprechung der klassisch-rhetorischen ornatus-Theorie
macht F. deutlich, weshalb Archaismen und Poetismen in der Geschichtsschreibung eine
gewisse Berechtigung haben, doch sind sie nach der klassischen Rhetorik nur mit Vorsicht
und mit Maß zu gebrauchen. Dieses Urteil ändert sich im Laufe der Kaiserzeit: Die
Historiographie rückt von der Rhetorik in die Nähe der Dichtung und öffnet sich
zunehmend dem dichterischen Vokabular.
Nachdem der Weg theoretisch vorgezeichnet und Archaismus und
Poetismus näher bestimmt sind, wendet sich F. der konkreten Beweisführung dafür zu,
daß das dichterische Vokabular ein konstitutives Element der Geschichtsschreibung
darstellt und ihre gemischte Natur beweist. Die Vorbemerkungen zu dem gewählten Vorgehen
sind einleuchtend und problembewußt. Die gründliche Untersuchung der poetischen Wörter,
Substantive, Adjektive und Verben, bei den lateinischen Historiographen, die auch
konsequent der vorgestellten Methode folgt, kommt zu folgendem Ergebnis: Die Sprache der
römischen Geschichtsschreiber weist von Sallust bis Ammian eine konstante, starke
Bereicherung an dichterischem Vokabular auf, wobei die Entwicklung der einzelnen
Geschichtsschreiber selbst keine ganz einheitliche Tendenz besitzt.
Im dritten und letzten Großteil des Buches befaßt sich F.
mit drei komplexeren Formen der Intertextualität, dem dichterischen Einfluß in Gestalt
von Zitat, Metrik bzw. Rhythmus und Schlachtschilderungen als typisch epischer Szenen
(261-432). Bei der Betrachtung dichterischer Zitate und Anklänge in den historischen
Texten stellt er zugleich die Frage nach den jeweiligen poetischen Quellen. Auf der Basis
einer bestimmten Typologie kommt er insgesamt zu folgendem Ergebnis: Dichterzitate in der
römischen Historiographie findet man v.a. als Reminiszenzen und freie Anspielungen, nicht
als direkte Zitate. Insgesamt lassen sich verschiedene Entwicklungsetappen ausmachen: Die
rhetorische Verfeinerung der Geschichtsschreibung begleitet eine zunehmend poetische
Färbung, aber erst mit Sallust beginnt ein wirklich neuer Abschnitt. Trotzdem hält sich
diese Praxis bei ihm und Livius, der wiederum einen weiteren Schritt in diese Richtung
geht, noch in relativ engen Grenzen. Die Bezugsgröße ist hauptsächlich Ennius. Bei
Curtius Rufus, Tacitus und Ammian dominiert eindeutig Vergil. Während Curtius Rufus zwar
stärkere poetische Anklänge aufweist, bedeutet er doch stilistisch einen Rückschritt.
Mit Tacitus ist schließlich ein Höhepunkt und eine neue Dimension erreicht: Er
entwickelt eine echte Rhetorik der Anspielung und nutzt sie im Dienste der brevitas,
inconcinnitas, als Mittel der Ironie und des beurteilenden Kommentars. Ammian
schließt zwar an Tacitus an, doch bleiben seine Zitate im Bereich des Sententiösen und
verdoppeln lediglich die zugrunde liegende Idee. Seine Zitiertechnik reicht an die
Originalität und varietas seines Vorgängers nicht heran. Inhaltlich finden sich
solche dichterischen Anklänge durchgehend v.a. im Bereich von Schlachtschilderungen.
Diesem Szenentypus, den die Geschichtsschreibung mit dem Epos
teilt, widmet F. dann auch besondere Aufmerksamkeit und kommt wiederum zu ähnlichen
Ergebnissen: F. verfolgt zunächst die Entwicklung der Schlachtschilderung in der Epik,
beginnend mit ihrer Geburtsstunde bei Homer, dessen Modell dominant bleibt, bis zu den
Nachfolgern Vergils sowie auch in der rhetorischen Diskussion. Während die klassische
Rhetorik an die Schlachtschilderungen v.a. einen wissenschaftlich-rationalen Anspruch
erhebt, verlangt die kaiserzeitliche von ihnen, große Emotionen zu evozieren. Sie werden
im Laufe der Zeit zu einer Mischgattung, gleichermaßen von der Epik und der narrativen
Prosa geprägt. Der Frage, welchen Charakter die Schlachtschilderungen in der römischen
Geschichtsschreibung besitzen, legt F. verschiedene Idealtypen zugrunde und verfolgt
zunächst die griechische Entwicklung. Bei den römischen Historikern konstatiert er
folgendes: Sallust und Livius lassen v.a. griechischen Einfluß erkennen, speziell in der
Ausprägung der hellenistischen Geschichtsschreibung, die eher als tragisch denn als
episch zu bezeichnen ist. Doch bleibt die dichterische Komponente bei ihnen auch in dieser
Hinsicht moderat und dient in erster Linie der Dramatisierung und Psychologisierung. Mit
Tacitus und Ammian tritt Vergil klar in den Vordergrund. Die epische Ausgestaltung der
Schlachtschilderungen nimmt zu, ganze Szenen werden nach Vergil komponiert und erhalten
starken Symbolcharakter, der die zugrunde liegende Philosophie des Krieges zum Ausdruck
bringen hilft. Diese Episierung eröffnet gleichsam eine weitere
Bedeutungsebene. Ammian schließlich ist unter diesem Aspekt der epischste aller
Geschichtsschreiber, der nun sogar auf epische Vergleiche zurückgreift.
Trotz des starken und zunehmenden dichterischen Einflusses auf
die römische Historiographie zeigt sich doch in einem Aspekt sehr deutlich, daß sie eine
Prosagattung bleibt: Die Übernahme epischer Metren und Rhythmen ist sehr gering. Der
Gebrauch der Clausula heroica erklärt sich vielmehr aus der rhetorischen Praxis, etwas
größere Freiheiten auf metrisch-rhythmischen Gebiet erlauben sich ohnehin nur Sallust
und Tacitus.
5. Stärken und Schwächen
Die Untersuchung von F. wird dem weiten Ziel, das sie sich
setzt, gerecht. Die Arbeit überzeugt durch das breite und fundierte Wissen, das ihr
zugrunde liegt, ebenso wie durch ihr konsequentes, zielorientiertes Vorgehen.
Bemerkenswert ist, daß sie die untersuchten literarischen Phänomene stets bis zu den
Wurzeln zurückverfolgt und auf ein tiefes Fundament stellt was vielleicht nicht
immer in diesem Umfang nötig wäre.
Ein Kritikpunkt betrifft den Umstand, daß die konservative
Ausrichtung des Buches sich teilweise auch in der Berücksichtigung der
Forschungsliteratur niederschlägt. Das führt im Einzelfall dazu, daß manche jüngeren
Diskussionen gar nicht wahrgenommen werden. Beispielsweise wird als Zielgruppe Ammians
selbstverständlich die römische Senatorenschaft angesetzt (S. 95-98), eine Auffassung,
die keineswegs mehr unumstritten ist. Auch für die Nähe Ammians zu Tacitus verweist F.
nur auf ältere Literatur (die zum Teil aber eher das Trennende denn das Gemeinsame
betont, vgl. S. 82). Nicht zuletzt daraus ergibt sich, daß manche Einzelinterpretation
nicht ganz überzeugend ist. Hinzu kommt gelegentlich die Tendenz zu etwas vereinfachenden
zusammenfassenden Äußerungen.
Als letzter Punkt sei der erste Hauptteil angesprochen.
Wenngleich der Schwerpunkt hier auf den theoretischen Grundlagen liegt, so werden doch
für die einzelnen Autoren bereits wesentliche Aspekte angesprochen, die in den folgenden
Teilen wiederkehren wo aber auch immer wieder im speziellen auf die Rhetorik
zurückgegriffen wird. Eine Straffung und stärkere Konzentration auf das wirklich
Theoretische im ersten Teil zugunsten einer Reflexion bestimmter moderner Begriffe, wie
der Intertextualität, mit der F. ja operiert, wäre wünschenswert gewesen.
Trotz dieser vereinzelten Kritikpunkte ist die besprochene
Arbeit sicher ein grundlegender und wichtiger Gesamtbeitrag zum v.a. stilistischen
Verständnis der Gattung Geschichtsschreibung in Rom, ihrer Qualität, ihrer Entwicklung
und ihrem Verhältnis zu anderen Gattungen der römischen Literatur.
Petra Riedl, München