Lukian, Philopseudeis è Apiston. Die Lügenfreunde oder: Der Ungläubige, eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von Martin Ebner, Holger Gzella, Heinz-Günther Nesselrath, Ernst Ribbat. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2001 (Sapere. Scripta Antiquitatis Posterioris ad Ethicam Religionemque pertinentia. Schriften der späteren Antike zu ethischen und religiösen Fragen, Bd. III)  214 S. Euro 25,90 ISBN 3-534-14949-1

 

Das Buch erschließt Lukians Lügenfreunde in drei Kapiteln: A) Lukian: Leben und Werk (H.-G. Nesselrath) [11–31], B) Die Schrift: Philopseudeis (M. Ebner (Einleitung) [35–61]; M. Ebner u. H. Gzella (Text und Übersetzung) [62–109]; H. Gzella und M. Ebner (Anmerkungen) [111–132]), C) Essays (H.-G. Nesselrath, Lukian und die antike Philosophie [135–152]; ders., Lukian und die Magie [153–166]; M. Ebner, Neutestamentliche Wunder- und Erscheinungsgeschichten auf dem Prüfstand skeptischer Kritik [167–182]; E. Ribbat, „Die ich rief, die Geister ...“ Zur späten Wirkung einer Zaubergeschichte Lukians [183–194]). Ein Literaturverzeichnis [195–197] sowie zwei umfangreiche Register (Stellen in Auswahl [198–206], Namen und Sachen [207–214]) runden den Band ab. Das Werk wird insgesamt umfassend erschlossen. Die Übersetzung ist meistens korrekt, stilistisch jedoch nicht gleichmäßig adäquat.

 

Abschnitt A gibt sich in seiner Aufschlüsselung nach „Lukians Leben“ [12–15], „Lukians Werk“ [15–28] und „Lukians Nachleben“ [28–31] betont traditionalistisch. Nesselrath rekonstruiert eine Vita Lukians aus dem Œuvre des Samosatensers, wobei er — weit entfernt von Baldwins zurückhaltendem Diktum, daß „it should be iterated that there is virtually nothing in the evidence, internal and external, for Lucianic chronology that deserves the status of fact“ (B. Baldwin, Studies in Lucian, Toronto 1973, 18) —  die Fiktionalität des dort Berichteten nur hypothetisch in Betracht zieht. Gewiß, man darf mit einiger Zuversicht aus dem Werk auf eine syrische Herkunft, auf eine mittlere soziale Situierung der Familie, auf ausgedehnte Vortragsreisen Lukians und auf eine oder mehrere Tätigkeiten innerhalb der römischen Verwaltung schließen. Aber wird mit der Erwähnung von Aufenthalten in Gallien, Ionien, am „Eridanos“, in Athen und in Ägypten nicht in erster Linie der geographische Umriß der Oikumene als eines potentiellen Wirkungsfeldes für einen kaiserzeitlichen Rhetor beschrieben? Und kann man ein Dialogpaar wie Imagines und Pro Imaginibus, das seine oberflächlich enkomiastische Tendenz permanent unterläuft, statt als eine (durch Panthea, die Geliebte des Lucius Verus, bestenfalls in Form eines unbestimmten terminus post quem festgelegte) einigermaßen intelligent angelegte Servilitätsbekundung nicht eher als dramatisierte Reflexion über das Enkomion als typische Äußerungsform der Zeit verstehen? Und ist in dem Schriftenpaar De mercede conductis und Apologia mit der ironischen Beleuchtung der Demütigung griechischer Intellektueller in römischen Haushalten neben der Treuebekundung für Rom nicht viel mehr ein grundsätzliches Dilemma griechischer Paideia im römischen Imperium angesprochen, das näher zu betrachten sich mehr lohnen würde als über entsprechende eigene Abhängigkeiten Lukians zu spekulieren?

 

Insgesamt sollte stärker in Betracht gezogen werden, daß in allen Schriften Lukians personae konzipiert werden, die in bestimmten (variablen) Beziehungen zu dem beherrschenden soziokulturellen Entwurf jener Epoche stehen, der Paideia. Nur im Kontext dieses Diskurses läßt sich die Dichotomie der Schriften des Samosatensers in Texte mit rhetorischen und philosophischen Schwerpunktsetzungen verstehen, zwei Bereiche, die Lukian immer wieder aufeinander projiziert in dem Bemühen, das, was Paideia sein soll, gestalterisch zu erfassen und (neu) zu formulieren. Es ist daher nichts damit gewonnen, handbuchartig zwischen „rhetorischen“ und „nichtrhetorischen Darstellungsformen“ zu unterscheiden, dieser Differenzierung einen wenige Zeilen langen Abschnitt über „Lukian als Erzähler“ (26) anzufügen und auf solche formalen Aufschlüsselungen ein unerwartet kommendes, weil inhaltlich orientiertes Kapitel über „Lukian als Beobachter der eigenen Zeit“ (26f.) folgen zu lassen. Solche Unterteilungen werden dem konzeptuell innovativen Zugriff des Schriftstellers auf den Bildungsbegriff seiner Zeit nicht gerecht. Eine kulturwissenschaftliche Darstellung des kaiserzeitlichen Paideia-Diskurses und eine literaturwissenschaftlich reflektierte Präsentation von Lukians Selbstpositionierung in ihm wäre daher willkommener gewesen als eine scharfsinnig-spekulative und, selbst wenn sie zuträfe, für die Interpretation des Werkes entbehrliche Rekonstruktion der auktorialen Vita und ihre nicht näher begründete, aber gutachterlich formulierte Würdigung: „[Lukian hat die] klassizistische Deklamations­rhetorik durch die selbständige Aneignung anderer literarischer Formen neu belebt und entscheidend bereichert“ (11f.).

 

Mit seinem auf Gattung und Rhetorik fixierten Blick auf das Gesamtwerk läßt Nesselrath inhaltliche Aspekte zurücktreten. Bisweilen übersieht er ironische Distan­zierungen von den dominanten personae (etwa in der pseudoautobiographischen Schrift Somnium; vgl. dazu D. Levine Gera, Lucian’s choice: Somnium 6-16, in: D. Innes, H. Hine, C. Pelling (Hrsgg.), Ethics and Rhetoric (Festschrift Russell), Oxford 1995, 237–250), die unhinterfragt mit dem Autor Lukian identifiziert werden (so grundsätzlich für Pseudosophista, Pseudologista und Rhetorum Praeceptor, außerdem die Dialogfigur „Lykinos“, deren sokratische Genealogie doch nicht zuletzt auch gerade durch die Namenswahl hergestellt wird, die keineswegs nur ein „leicht durchschaubares Pseudonym“ (19) ist). Der Versuch origineller Einflußnahme auf die Paideia und die Pepaideumenoi, wie er etwa mit Bezug auf das Konzept der Imitatio in Verae historiae und De historia conscribenda oder im Dialogpaar Imagines/Pro Imaginibus, auf die Philosophie und den Philosophen im Hermotimos, auf Sprache und Rhetorik im Hercules und im Bacchus, aber beispielsweise auch in De domo u.a., ganz zu schweigen von Prolalien wie Zeuxis oder Prometheus es in verbis etc. zum Ausdruck kommt, wird insgesamt zu wenig gewürdigt.

 

Nach einem knappen und übersichtlichen Überblick zu Lukians Nachleben von der Antike bis in die Neuzeit, die mit Ribbats Essay (C IV) enger hätte zusammengenommen werden können, führt Martin Ebner auf gelungene Weise in die Schrift Philopseudeis selbst ein. Ein besonders wichtiges Ergebnis seiner Quellenkritik, um hinten zu beginnen, scheint mir zu sein, daß sich nahezu alle Motive der Gespenstergeschichten als Versatzstücke aus älteren Erzählungen erweisen lassen, allerdings in neuer Zusammenstellung (56). Das ist nun zwar einerseits ein typisches Verfahren kaiserzeitlicher Imitation und insbesondere derjenigen Lukians, andererseits dürfte Ebner recht haben, daß dieses Kombinationsverfahren vom Autor den einzelnen Erzählern unterstellt wird, die sich somit den gebildeten Rezipienten trotz verstärkter Beglaubigungen als Lügner entlarven. Ebner zeigt des weiteren, daß Lukian die Erzählungen der einzelnen „Lügenfreunde“ in Form einer Ringkomposition angeordnet hat, wobei die Reihenfolge im einzelnen möglicherweise auch zur Sprecher­charakterisierung beiträgt (41): so werden beispielsweise vielleicht Kleodemos und Antigonos dadurch als bloße Mitläufer enttarnt, daß ihre Erzählungen sich thematisch an die ihrer jeweiligen Vorredner anlehnen, wobei das gleichwohl ebenso gut nur Folge der plausiblen Gestaltung eines sich natürlich entwickelnden Gesprächs sein könnte, das ja als solches nicht geplant war und in dem die Sprecher verständlicherweise die Anregungen der anderen aufgreifen, die ihnen „Selbsterlebtes“ ins Gedächtnis rufen.

 

In die strukturelle Mitte rücken auf diese Weise jedenfalls die Ausführungen des Pepaideumenos Eukrates, des Hausherrn, an dessen Krankenbett die Lügenfreunde versammelt sind. Und das ist, wie ich hinzufügen möchte, gerade vor dem Hintergrund der von Ebner 57–59 herausgearbeiteten Anspielung auf Platons Phaidon relevant (die man nicht ohne weitere Erklärung als „Parodie“ (57) bezeichnen sollte). Treffen sich dort die Wahrheitsfreunde am Sterbebett des Philosophen Sokrates, so hier die Lügenfreunde am Krankenbett des eingebildeten Kranken Eukrates, erzählt dort Sokrates einen Mythos, der den gesunden Menschenverstand zum rechten Handeln beflügeln soll, so dient die Mythenflut der Lügenfreunde nur dem Zweck, diesen gesunden Menschenverstand zu vernebeln (58); der Platonische Dialog gibt also nicht nur die indirekte Erzählsituation (Tychiades berichtet Philokles), sondern auch eine thematische Folie vor: der Vergleich desavouiert die Lügenfreunde trotz ihres hohen Bildungsanspruchs als Scharlatane. Die Mittelposition der Erzählung von Eukrates’ Hadesschau (in Ebners Gliederung: B III 2c) scheint mir dabei nun insofern von hintergründiger Bedeutung, als gerade sie möglicherweise eine direkte Platonanspielung enthält. Der Platoniker Ion kommentiert den Bericht: „Da sollen nun noch einmal, sagte Ion, die Anhänger des Epikur dem heiligen Platon und seiner Lehre über die Seelen widersprechen! Du aber, hast du nicht auch den Sokrates höchstpersönlich und den Platon unter den Toten gesehen? Den Sokrates schon, sagte er, aber auch diesen nicht klar, sondern meiner Vermutung nach, weil (der Betreffende) eine Glatze hatte und einen vorstehenden Bauch. Platon aber habe ich nicht erkannt. Man muß nämlich, meine ich, zu Freunden die Wahrheit sagen“ (Philops. 24; Übers. Ebner/Gzella). Eine vielschichtige Stelle! Denn man kann hier, gerade mit Blick auf die übergeordnete Phaidon-Bezugnahme, eine Reminiszenz an den Bericht des Phaidon erkennen, in dem es heißt, daß von Sokrates’ Freunden allein Platon nicht am Sterbebett weilte, weil er krank war (Plat. Phd. 59 b 10). Damit würde hier insinuiert, daß dort der Autor, Platon, bei dem von ihm berichteten Geschehen nicht persönlich anwesend war, die Wahrhaftigkeit seines Berichts, der eingestandenermaßen auf Hörensagen beruht, also durchaus Zweifeln ausgesetzt ist, ganz wie die Erzählungen der Lügenfreunde, dann aber auch und vor allem der Bericht des Erzählers Tychiades und gar der des „realen“ Autors Lukian.

 

Hieran müßte die Frage geknüpft werden, ob über die Platonanspielung hinaus die spezifische Dramaturgie der Philopseudeis — die Form der Berichterstattung aus dem Munde des Tychiades anstelle einer direkten Präsentation — eine interpretable Bedeutung hat; Ebners Spekulationen über die Darbietungsmodalitäten (er postuliert einen Ein-Mann-Vortrag (60); einen reinen Lesetext möchte ich aber nicht ausschließen) haben hierauf keinen Einfluß. Sät nicht Tychiades durch seinen bis ins letzte Detail gehenden Bericht die von ihm angeblich so verabscheuten Lügengeschichten weiter aus? Einen vergleichbaren Schlag führt beispielsweise Philon im Symposion (4) gegen Lykinos, wenn er dessen spröde Weigerung, von den Entgleisungen der Philosophen zu erzählen mit dem Hinweis zur Seite schiebt, er solle nicht so tun, brenne er doch noch mehr darauf zu erzählen als er, Philon, zu hören und würde, mangelte das Publikum, sogar einem Standbild seinen Bericht vortragen. Verbreitet der Autor Lukian die inkriminierten Gespenstergeschichten durch seine Niederschrift nicht noch mehr (zu beschwichtigend hierzu Nesselrath S. 166)? Läßt er seinen schon zu Beginn des Textes als pedantischen Quengler charakterisierten Tychiades nicht doch einige Schwächen zeigen, wenn dieser sich der Wucht der Erzählungen der Lügenfreunde nur durch Flucht zu entziehen vermag, als eigenen Beitrag, wie Ebner selbst hervorhebt (42), nur eine erfundene Gespenstergeschichte zum Besten gibt, deren Aufdeckung denn auch keinerlei Beweiskraft gegen die angeblich erlebten Geschichten der anderen enthält, und im Grunde nicht argumentiert, sondern spottet — weshalb hier womöglich auch nicht die Sokratische persona Lykinos, sondern „Herr X-Beliebig“ Tychiades als Sprecher gewählt wurde? So einfach steht es also nicht mit dem Gegensatz von Wahrheit und Lüge, daß man Lukians Text auf eine bloße Satire reduzieren könnte. Vielmehr verhandelt er einen traditionsreichen literaturwissenschaftlichen und diskurssystematischen Streitpunkt — zu dessen Geschichte man sich nähere Ausführungen gewünscht hätte — in einer Art und Weise, daß die Begriffe, ihre Relevanz und ihre Problematik offenbleiben, ihre Gemeinsamkeiten und Ununterscheidbar­keiten ausgespielt werden: und genau darin besteht dann auch Lukians Beitrag zur Paideia-Kultur seiner Zeit.

 

Der folgende griechische Text orientiert sich (61) an der OCT-Fassung von M. D. Macleod (1974) unter Berücksichtigung der Bemerkungen von H.-G. Nesselrath, Gnomon 56, 1984, 577–609; dessen harsche Grundsatzkritik an Macleod hat jedoch offensichtlich auf die Konstitution des vorliegenden Textes keinen Einfluß gehabt. Änderungen gegenüber dem Text von Macleod sind in den Anmerkungen dokumentiert und diskutiert, meistens, aber nicht immer, zutreffend: problematisch erscheinen mir die Begründungen in Anm. 72, 115, 166 und 174. Die Übersetzung, wenngleich sie den Ansprüchen der Vollständigkeit und Genauigkeit genügt, macht auf mich insgesamt einen zwiespältigen Eindruck. Die Übersetzer bemühen sich um überdeutliche Nachbildung des griechischen Texts, imitieren oft auch die griechische Wortstellung gegen deutsche Gewohnheit. Partizipien werden häufig parataktisch aufgelöst: auf diese Weise entsteht, den ja hochgebildeten Sprechern und ihrer komplexen Sprache nicht angemessen, der Eindruck eines etwas unbeholfenen Erzählens. Diesen Eindruck verstärkt die grundsätzliche Übersetzung von griechischem „de“ mit „aber“, die adversative Gedankenführung auch an Stellen insinuiert, wo sie sinnwidrig ist. Ebner und Gzella mißtrauen Lukians Darstellung und ihrer eigenen Übersetzungskunst so sehr, daß sie das Verständnis des Lesers durch permanente in Klammern gegebene Ergänzungen zu unterstützen suchen: gleichzeitig durchmischen sie den deutschen Text ungleichmäßig mit mit gewollt umgangssprachlichen und „lockeren“ Idiomatismen. Diese Verbindung disparater Übersetzungstechniken, deren Einsatz für sich genommen jeweils durchaus legitim wäre, hinterläßt bei mir eine Unsicherheit über die mit der Übersetzung verfolgten Ziele. Dem „griechischlosen“ Leser ist mit ihr kaum gedient, weil sie Lukian sprachlich-stilistisch degradiert, und auch für den nur mäßig griechischkundigen Leser (die vielleicht kleinste der denkbaren Zielgruppen) ist sie wenig hilfreich, da sich erfahrungsgemäß die wenigsten um eine Rekonstruktion des Griechischen aus dem Deutschen bemühen werden, sondern zumeist einfach an einer inhaltlichen Klärung schwieriger Stellen interessiert sind, die sie auch durch eine geläufigere Übersetzung erhalten würden.

 

Übersetzungskritik gerät leicht ins Kleinliche. Daher gebe ich hier nur beispielhalber eine Detailkritik der ersten zwölf Kapitel; vergleichbare Ungenauigkeiten finden sich auch im folgenden durchgehend.

(1) (a) medèn hygiés: „kein wahres Wort“ trifft nicht zu, vgl. die Scheidung von hygiés und alethés in Plat. Phdr. 242e; besser: „dummes Zeug“ o. ä. (b) „..., was das eigentliche Motiv dafür ist, das viele zur Lust am Lügen treibt ...“: die deutsche Konstruktion ist fehlerhaft. (c) „sich ein derartiges Medikament zunutze gemacht haben“ für simples echrésanto ist unidiomatisch. (d) „im Blick auf sie also möchte ich wissen, ...“: der Subjekt-Objekt-Wechsel bei eidénai zum Zweck der Pointierung ist geläufig, es handelt sich also hier nicht um einen Accusativus limitationis. (2) (a) „Was anderes also soll man sagen, als dass Dummheit bei ihnen schuld daran ist, ...“: állo ist auf aitían’ zu beziehen: „Was anderes als Dummheit ...“. (b) „gefangen von diesem Übel“: deutsche Idiomatik ist fehlerhaft. (3) „So weit bringt es die Macht der Lüge“ für epikrateî unpassend: eher „so weit reicht / herrscht ...“. (4) Der erste griechische Satz ist in drei nicht mehr ad hoc miteinander verbindbare Einzelsätze aufgeteilt worden. (5) (a) éxo toû kathestekótos: „aus dem Häuschen“ kann man im Deutschen nur vor Freude sein, hier hingegen ist allgemein ein Zustand von aufgeregter Verrücktheit („übergeschnappt“ o. ä.) gemeint. (b) árti mèn – árti dè heißt „bald – bald“, nicht „zum einen – zum anderen“. (6) (a) phoberoùs tèn prósopsin: nicht „respekterheischend“, sondern (mit ironischem Unterton) „furchterregend“. (b) „beide Füße“ für den Dual podoîn ist pedantisch und wirkt, anders als im Griechischen, komisch. (7) (a) „Gesichtspunkte hinsichtlich der Krankheit“ und „Therapien [höchstens: Therapievorschläge] in die Runde warf“: unidiomatisch. (b) Die Bedeutungen von endéseien und periápseie sind im Deutschen vertauscht. (8) (a) kategnokótes mou pollèn tèn ágnoian: „von meiner völligen Ignoranz überzeugt“, richtiger: „daß sie meine große Ignoranz verachteten“. (b) Kleódemos hypomeidiôn háma ... éphe: Mit der Auflösung „Kleodemos lächelte dabei verstohlen und meinte“ ist der Bezug von „dabei“ nicht mehr zu erkennen. (9) emélese: komplexiver Aorist, keine Erzählvergangenheit. (10) „Heilungen aufgrund (für hypó) von heiligen Namen“ ist unverständlich. (11) (a) hêken dé tis aggéllon tôi patrí: „da kam einer, der meinem Vater meldete“ ist unidiomatisch und nicht ganz korrekt, da durch die relative Auflösung eine Eigenschaft insinuiert wird; besser wäre „da kam einer und meldete meinem Vater“. (b) Babylónion tôn Chaldaíon, hós phasin, ...: „einen Babylonier, einen so genannten Chaldäer“ ist nicht korrekt, da es darum geht, daß er den Ruf eines chaldäischen Zauberers genießt, also: „einen, wie es heißt, von den Chaldäern“. (c) Der Bericht von der Heilung impliziert durch beiordnende Auflösung der Partizipien eine dem Griechischen gegenüber gerade umgekehrte zeitliche Sukzession. (12) Ho dè kaì álla epoíese: „Der aber (unser Zauberer) vollbrachte ...“: Richtiger: „Und er vollbrachte“; hier schädigt die unnötige Klammerergänzung  die Syntax. Hervorzuheben sind mehrfache Ungenauigkeiten, Fehler oder Ungeschicklichkeiten in der Tempussetzung. (13) tí édei poieîn autòn horônta dià toû aéros pherómenon heméras oúses ... badízonta ... diexiónta: aufgrund von édei dürfen die Partizipien nicht präsentisch übersetzt werden, da es sich, wie der Kontext ausweist, um einen einmaligen Vorfall in der Vergangenheit handelt (so zwei Zeilen später auch richtig übersetzt). (16) „Dennoch hat er sie wieder auf die Beine gestellt ..., nachdem er sie ... befreit hatte“: zu dem iterativen Sachverhalt (mehrere Heilungen) paßt das Plusquamperfekt im Deutschen nicht. (18) „Wenn du aber ... eine Figur ... sahst, ..., diese Figur meine ich ...“: hier wäre statt des Präteritums ein Perfekt angebracht. Falls hier eine Abgrenzung von eîdes gegen das vorher im gleichen Zusammenhang verwendete heórakas vorliegt, so wäre eher auf eine Wiedergabe der wechselnden Aspekte zu achten: „gesehen haben und kennen“ vs. „erblicken“. (20) títhemen: das Geldopfer besteht weiterhin, das Präteritum „hinlegten“ ist daher nicht korrekt. (22) „Als ich aber tiefer in den Wald kam, war da zuerst ein Hundegebell ...“: tò mèn prôton hylagmós egéneto kunôn ist ingressiv, was im Deutschen nur schwer wiederzugeben ist; legitim wäre „da fingen zuerst plötzlich Hunde zu bellen an“ oder sogar „da hörte ich zuerst plötzlich Hunde bellen“. (24) „Ich aber hatte Mut gefasst, bückte mich darüber ...“: egò dè tharrésas epékypse enthält keine zeitliche Konsekution: „Da faßte ich Mut und beugte mich darüber“. (25) „nichts, was von anderen nicht gesehen würde“: der Kontext legt nahe, aórata nicht als „unsichtbar“, sondern als „ungesehen“ zu deuten: „nichts, was nicht auch andere schon gesehen haben/hätten“. (29) „... fragte er: Worüber philosophiert ihr miteinander?“: ephilosopheîte zeigt, daß sich die Frage auf das Gespräch vor Eintritt des Arignotos bezieht: „Worüber habt ihr miteinander philosophiert?“. „Beim Hereingehen nämlich habe ich zugehört, und ihr scheint mir eure Unterhaltung in eine schöne Richtung gelenkt zu haben“: Arignotos hat beim Eintreten „etwas aufgeschnappt“ (ingressiver Aorist) – nicht (mit durativer Auffassung): „zugehört“ – und hat dabei bereits auf eine brisante Thematik geschlossen: auch edokeîte muß daher mit einem Vergangenheitstempus übersetzt werden. (36) „In diesem Augenblick erschien Pankrates, und als er begriffen hatte, was vor sich ging, machte er jene (Diener) wieder zu Hölzern“: auch hier ist das Plusquamperfekt ungeschickt, weil es einen Prozeß längeren Nachdenkens impliziert.

 

Die Anmerkungen bieten fast durchgehend gute Verständnishilfen und Detailinterpretationen. Anm. 2 zitiert als Beleg für umgangssprachliche Verwendungsweise von medèn hygiés unnötigerweise gerade Euripides (!). Anm. 15: Ktesias’ Persika sind uns weniger aus den spärlichen Fragmenten als aus ausführlichen kaiserzeitlichen und byzantinischen Exzerpten bekannt. Seine Leistung als Historiker wird heute nicht mehr so einhellig wie früher negativ beurteilt. Autopsie dürfte er in persischen Angelegenheiten mehr als Herodot praktiziert haben. Anm. 28: In „Der Mythos ... Theokrit 15,40)“ ist ein Satzglied ausgelassen. Anm. 56: Das Nagelsprichwort (c. 9) wäre näher erklärungsbedürftig. Anm. 79: Zu ergänzen ist, daß sich der „Mondtrick“ der thessalischen Hexen in Aristoph. Nub. 746–756 ohne Verbindung mit Liebeszauber findet. Anm. 80: Der Philosophieunterricht der Oberschicht ist in jener Epoche dezidiert kein „Zeitvertreib“ der „jeunesse dorée“. Anm. 81: apascholéo beinhaltet ein Wortspiel mit scholé: der Eros macht den jungen Mann der peripatetischen scholé abspenstig. Anm. 103f.: für die des Griechischen nicht Kundigen müßte der semantische Zusammenhang zwischen idéa und ideîn hergestellt werden, damit der Witz verständlich wird. Anm. 113: Es fehlt eine Bemerkung zu Kritios und Nesiotes. Anm. 129: Mit der „Verwechslung“ von Opfer und Grabgabe liegt kein logischer Bruch vor. Vielmehr wird deutlich, daß die Hausbewohner mit ihrer Verehrung des Heros zuviel des Guten tun. Anm. 142: Der siebte Tag ist, wie mehrere Stellen im Corpus Hippocraticum zeigen, häufig der Zeitpunkt der Krise einer Krankheit. Anm. 160: das Namenssuffix -ídes ist keine Verkleinerungsform, sondern ein zum Individualnamen verselbständigtes ursprünglich adjektivisches Patronym. Anm. 164: Hier scheint mir die Gesprächssituation nicht korrekt verstanden zu sein, wie auch die Übersetzung zeigt: eis kalón ist von Arignotos hier doch wohl noch ironisch gemeint — jedenfalls muß es Tychiades noch (!) so auffassen. Anm. 170: der Text hat nicht das kommentierte euaggelízein, sondern eû aggéllon; was ist mit „euaggelízein im typischen Sinne“ gemeint? Anm. 173: Demokrit ist bei Lukian grundsätzlich der „lachende Philosoph“ par excellence. Anm. 176: Es wäre darauf hinzuweisen, daß die Figur des Pankrates nicht nur einfach skurril ist, sondern sich auf Äsop als Vorbild zurückbezieht. Dafür spricht auch sein intimes Verhältnis zu Tieren.

 

Zu den Essays: H.-G. Nesselrath, Lukian und die antike Philosophie [135–152], skizziert zutreffend die Charakterisierung der einzelnen Schulen im Œuvre Lukians: die Vertreter nicht metaphysisch orientierter Richtungen kommen insgesamt schlechter weg. Erneut sucht Nesselrath m.E. zu schnell die persönliche Einstellung des Autors, ohne die Wahl der personae, insbesondere einer sokratischen Figur wie Lykinos, zu berücksichtigen. H.-G. Nesselrath, Lukian und die Magie [153–166] referiert die antike Kritik an magischen Praktiken, berücksichtigt aber 162ff. zu wenig, daß die Kritiker selbst interessierten Parteien zugehören, und schlägt sich in dem Streit „Rationalismus vs. Unvernunft“ auf die Seite der Rationalisten (explizit S. 166), ohne die diskursive Verortung dieser Kontroverse zu thematisieren. M. Ebner, Neutestamentliche Wunder- und Erscheinungsgeschichten auf dem Prüfstand skeptischer Kritik [167–182] vergleicht die verschiedenen Arten und Weisen des Umgangs mit Erzählungen von magischen Vorgängen und mit hellenistischen Wundergeschichten, wie sie Lukian einerseits und die Evangelien andererseits praktizieren. Während es Lukian grundsätzlich um eine Desavouierung der Zaubereigläubigkeit zu tun zu sein scheint, sind die Evangelien darum bemüht, die tröstende und vertrauenstiftende Wirkung solcher Erzählungen zwar zu wahren, dabei jedoch darauf zu achten, daß Jesus nicht etwa als Magier erscheint. Nicht ganz sicher bin ich, ob Ebners Überlegung zutrifft, daß die Philosophen bei Lukian solche erlogenen Geschichten erzählen, um implizit ihre jeweilige Metaphysik zu stützen (175); ich weiß nicht, ob der Text so viel hergibt. Das Ergebnis dieses interessanten Beitrags faßt Ebner 175f. pointiert zusammen: „Die isoliert erzählten und wohl von Wandercharismatikern überlieferten urchristlichen Wundergeschichten entsprechen — bei unterschiedlicher pragmatischer Zielrichtung — eher den von den „Lügenfreunden“ vorgetragenen und verteidigten Vorstellungen, während die Redaktoren der Evangelien, jedenfalls der Tendenz nach, eher auf der Seite Lukians zu platzieren wären. Während aber Lukian dem magischen Wunderglauben anderer kämpferisch entgegentritt, bewegen sich die Evangelisten im Strom ihrer eigenen Tradition und bleiben von daher auf redaktionelle Eingriffe, neue Akzentsetzungen oder gar Streichungen beschränkt.“ E. Ribbat, „Die ich rief, die Geister ...“ Zur späten Wirkung einer Zaubergeschichte Lukians [183-194] schließlich bietet als Ergänzung zu Nesselraths Ausführungen in der Einleitung neben allgemeinen Darlegungen zur Lukian-Rezeption insbesondere bei Wieland sehr einleuchtende Überlegungen zu Goethes Zauberlehrling und seinem Verhältnis zu dem Bericht des Eukrates (S. 190ff.). Er würdigt die generische Bedeutung des Gedichts im Rahmen von Goethes und Schillers literarischem Erneuerungsprogramm und der innovativen Gattung der „klassischen Kunstballade“ und gibt, nach einer kurzen formalen Analyse, einen Überblick über die verschiedenen interpretatorischen Besetzungen des Figurenpaares „Meister/Lehrling“. Ribbat hebt auch die intentionale Umkehrung gegenüber der Lukianischen Darstellung hervor: „Von Lukian oder Wieland aus gesehen hat ‚Der Zauberlehrling‘ ihre alte, der falschen Magie widersprechende Geschichte umgepolt, sie zum Legitimationstext der Gegenmacht werden lassen: Herrschaft durch Magie wird affirmiert, und das Arkanwissen der ‚Meister‘ jeder Kritik enthoben. Verspottet aber werden die Unterlegenen, die ‚einmal‘ Selbständigkeit erproben möchten.“ (193)

Korrekturnachtrag: Anfang Absatz 5 muß lauten: "Nach einem knappen und übersichtlichen Überlick zu Lukians Nachleben
von der Antike bis in die Neuzeit (H.-G. Nesselrath) ..." 

Peter v. Möllendorff (Heidelberg/München)

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