Suzanne Dixon: Reading Roman Women. Sources, Genres and Real Life. London: Duckworth 2001. 242 S., 16 Abb. £ 16,99. ISBN 07156 2981 6.

 

„Anyone who has taught Roman history will have encountered students who know that Livia poisoned … her 77-year-old husband Augustus because the image of Sian Philipps thoughtfully fingering the imperial fig-tree in the 1976 television version of I, Claudius … has become part of their own visual memory …“(133). Erfahrungen wie diese haben Suzanne Dixon wohl veranlaßt ein Buch vorzulegen, das von den methodischen Schwierigkeiten des Zugangs zu den antiken Römerinnen handelt. Die Autorin ist im Laufe der Jahre bereits mit mehreren Monographien zur römischen Sozialgeschichte hervorgetreten, z.B. über die römische Mutter (The Roman Mother, 1988), und über die Familie in Rom (The Roman Family, 1992). Dixon hat sich – und das wird im hier besprochenen Titel immer wieder deutlich – nicht nur als Altertumswissenschaftlerin im Elfenbeinturm verstanden, sondern akademische Erkenntnis auch mit politischer Reform zu verbinden versucht. So hat sie sich etwa aktiv für die Änderung der Gesetzeslage zur Vergewaltigung in Australien eingesetzt (45). Das vorliegende Buch vereinigt in drei Hauptabschnitten (I. Readings; II. Reading the Female Body; III. Reading the Public Face) insgesamt neun eigenständige Kapitel. Zwei ältere Beiträge (Kap. II.4 Rape in Roman Law and Myth, 1982; III.6 Womanly Weakness in Roman Law, 1984) werden hier noch einmal vorgelegt. 16 treffend ausgewählte Schwarzweißabbildungen illustrieren den Band. Eine ausführliche und aktuelle Bibliographie, ein Stellenverzeichnis der antiken Quellen sowie ein allgemeines Register erschließen Buch (und Thema) für den Leser.

 

Mit der vorsichtigen Formulierung des Titels „Reading Roman Woman“ versucht Dixon vorschnelle Aussagen über die Rekonstruierbarkeit historischer weiblicher Erfahrung zu vermeiden und auf die subjektive Qualität des Lesens an sich – auch im wissenschaftlichen Kontext – hinzuweisen (7). Ihren Focus auf die römischen Frauen begründet sie mit dem wesentlich geringeren Interesse, das die altertumswissenschaftliche Forschung den Römerinnen im Vergleich zu den Griechinnen entgegengebracht hat (8). Im allgemeinen Bewusstsein der Neuzeit seien die Römerinnen jedoch tief verankert – und ihr Bild geprägt von außerwissenschaftlichen Faktoren (65). Trotzdem wirkt der Titel des Buchs angesichts der Forschungsentwicklungen der letzten Jahre, welche die Beziehungen der Geschlechter zueinander stärker zu berücksichtigen versuchen, sehr in der Tradition der „women’s studies“ befangen, ja ein wenig altmodisch. Dixon geht es aber keinesfalls um eine weitere Gesamtdarstellung „der römischen Frau“. Sie versteht ihr Buch ausdrücklich als „an argument about method presented through examples“ (XIII). Die Leitfrage hinter den einzelnen Kapiteln, am deutlichsten formuliert in Kap.2 „Reading the Genre“ (16–25), bleibt hierbei mehr oder weniger stets dieselbe: Ist es überhaupt möglich aus den antiken Quellen ein Bild des wirklichen Lebens römischer Frauen zu gewinnen?

 

Dixon plädiert zunächst für eine bewußte Verbreiterung der Quellenbasis, die sich durch stärkere Zusammenarbeit von Historikern und Literaturwissenschaftlern erreichen ließe, sowie für größere Offenheit gegenüber theoretischen Ansätzen von seiten der Historiker. Römische Satire, Elegie und Roman seien auch für Historiker von großer Wichtigkeit. Ihre Benutzung setze jedoch ausgeprägte Reflexion voraus, was nämlich von diesen Quellen erwartet werden könne. Die Folgen der allgemein bekannten Erkenntnis, daß nämlich das literarische Genre die Information spezifisch forme, fänden sich häufig nicht genügend berücksichtigt.

 

Die Auswirkungen des Genres auf moderne – auch wissenschaftliche – Einschätzungen bestimmter Aspekte weiblichen Lebens im alten Rom zeigt Dixon dann in Teil II und III ihres Buches auf. Topographischer Rahmen der gewählten Beispiele ist das römische Italien in der Zeit von 201 v. Chr. bis 180 n. Chr. Die ersten drei Beispiele befassen sich mit dem Bereich der Darstellung und Beurteilung des weiblichen Körpers: auf welche Weise und mit welchem Ziel charakterisieren antike Quellen weibliche Sexualität, Vergewaltigung und Abtreibung?

 

So sei es etwa hochproblematisch weibliche Identitäten oder gar Sexualität in Rom aufgrund der lateinischen Liebeselegie rekonstruieren zu wollen: Zahlreiche Motive können einfach dem Fundus der griechischen Liebesdichtung entnommen sein und vor allem: der Blickwinkel der Texte liege einseitig auf den Gefühlen des männlichen Autors, während die Empfindungen der geliebten Frau nicht weiter interessierten. Dixon bekennt sich hier zur Einschätzung, „that the mistress of Latin love elegy is a construction of discourse, a poetic device rather than a ‚real life‘ beloved“(41). Aber auch in verschiedenen Genres lateinischer Prosa-Texte dürften einschlägige Informationen keinesfalls zum Nennwert genommen werden. Denjenigen Frauen, die traditionelle Regeln übertreten, werden etwa von Geschichtsschreibung und Biographen gern auch Verstöße gegen das sexuelle Herkommen unterstellt. In den erhaltenen Reden wie auch in der Satire begegneten Frauen vor allem als Objekte massiver Angriffe – allerdings seien es dieselben Frauen, die in den Inschriften hauptsächlich als Wohltäterinnen oder vielbetrauerte sittenstrenge Ehefrauen, Mütter und Töchter aufträten. Weibliche Sexualität, so Dixon wohl zu Recht, interessiert die Quellen nicht per se. Sie wird thematisiert, wenn man die Leute zum Lachen bringen, Sozialsatire schreiben oder ein moralisches Exemplum bzw. ein elegisches Thema ausbreiten will. „Gute Frauen“ werden nicht mit sexueller Konnotation diskutiert, wohingegen die Sexualisierung „schlechter Frauen“ üblich ist. Aus welchen Quellen (und auf welche Weise gewonnen) Dixon allerdings die Überzeugung bezieht, daß die römischen Frauen faktisch doch eine relative sexuelle Freiheit genossen hätten „the control mechanisms were weak in the late Republic and early Empire and seem to have been regarded as options rather than moral imperatives“ (36), wird nicht klar. Hier – wie auch an so manch anderer Stelle hätte man sich mehr Ausführlichkeit gewünscht.

 

Im zweiten Fallbeispiel wird Vergewaltigung im römischen Gesetz und Mythos behandelt und nach der symbolischen und politischen Bedeutung von weiblicher „Reinheit“ gefragt. Welche Folgen hat eine Vergewaltigung für das Opfer? Dixon vertritt anhand einer Analyse der berühmten Fälle von Lucretia und Verginia die These, im frühen Rom habe man möglicherweise Keuschheit „objektiv“ beurteilt: d.h. eine Vergewaltigung habe eine Frau unwiderruflich „befleckt“. In der späten Republik werde möglicherweise die Intention der Frau stärker miteinbezogen, der Vorwurf der Gesetze treffe ausschließlich den Täter. Entsprechend sei auch im Rahmen der augusteischen Ehegesetze eine verheiratete vergewaltigte Frau (im Unterschied zum modernen Pakistan) nicht des Ehebruchs schuldig. Erst Konstantins raptus-Gesetzgebung kehre wieder zurück zur objektiven Wertung der Jungfräulichkeit, die, gleichgültig ob freiwillig oder unfreiwillig verloren, wie in den Zeiten Lucretias und Verginias als nicht wiederherstellbares absolutes Gut gesehen wird.

 

Dixons Fragestellung ist hier zweifelsohne interessant, ihre Ergebnisse bleiben allerdings höchst spekulativ. Abgesehen von der Frage, ob es in Rom überhaupt einen „national myth“ gegeben hat und ob – wenn ja, Lucretia und Verginia ihm zuzurechnen seien, muß man sich wundern, daß in diesem Kapitel ausgerechnet das Genre nicht behandelt wird, das mit den meisten Vergewaltigungsfällen aufwarten kann – die Neue Komödie.

 

Das dritte konkrete Beispiel überprüft das Material für Abtreibungen in Rom. Hier führt Dixon vor – ähnlich wie im Kapitel über die weibliche Sexualität – daß antike Texte häufig nicht unmittelbar an Frauen interessiert sind, sondern diese nur symbolisch nutzen. Im Hintergrund der vergleichsweise seltenen Quellenaussagen zur Abtreibung steht der seit Augustus populäre moralische Diskurs in Rom: im Gegensatz zu den Müttern der Vorzeit wollen die Frauen der Gegenwart und besonders der Oberschicht nicht mehr Mutter werden. Diese Frauen haben in den Quellen symbolische Funktion, als ehebrecherisch und eitel verkörpern sie den Niedergang der Gegenwart (62): sie treiben angeblich vor allem ab um sich ihre Figur zu bewahren (Seneca). Dixon stellt richtig fest, daß Seneca diese Begründung wohl kaum von betroffenen Frauen erfahren haben dürfte. In den moralisierenden Quellen Roms zur Abtreibung geht es im übrigen nicht um den Schutz ungeborener Kinder, sondern um einen Angriff auf die traditionelle Geschlechterhierarchie: heimliche Abtreibung unterläuft das Recht des pater familias weibliche Fertilität zu kontrollieren, indem er allein über Aufnahme oder Aussetzung (!) eines Neugeborenen entscheidet. Entsprechend müssen Aussagen bei römischen Moralisten oder in der Satire als Teil des gesellschaftlichen Diskurses und nicht als Reportage von Fakten gesehen werden: ihre historische Aussagekraft tendiert gegen Null. Daß es für Dixons persönliche Überzeugung, Abtreibung sei in Italien kein regelmäßiges Instrument der Geburtenkontrolle gewesen, allerdings ebenso wenig einen tragfähigen Quellenbefund gibt, wie für die Behauptung des Gegenteils, gesteht sie selbst zu (62).

 

Die zweite Gruppe konkreter Beispiele, an denen die Aussagekraft der Quellen zum weiblichen Leben überprüft werden soll, betrifft die Position römischer Frauen in Gesetz und Wirtschaft. Dixons Interesse gilt zu Recht dem Paradox, daß die römische Bürgerin de iure eigentlich lebenslang unter Vormundschaft gestellt ist, die in den Quellen auftauchenden Frauen jedoch in auffälligem Maße finanzielle Unabhängigkeit wie auch soziale Eigenständigkeit zeigen.

 

Zunächst untersucht sie das Aufkommen und die Auswirkungen der Vorstellung von „weiblicher Schwachheit“ im römischen Recht. Das Konzept einer lebenslangen Vormundschaft über Frauen vor allem in finanziellen Dingen habe ursprünglich die männliche Kontrolle über das Familienvermögen in einer patrilinearen Gesellschaft sichern sollen (75). Erst sekundär hätten manche Römer diesem Konzept eine andere Grundlage unterstellt: die Vorfahren hätten die „weibliche Schwachheit“ vor sich selbst beschützen wollen. Die Prüfung römischer Geschlechterstereotypen zeige allerdings, daß römischen Frauen im finanziellen Bereich tendenziell nicht Unfähigkeit als vielmehr besondere Verschlagenheit und Gier vorgeworfen wird. Obwohl die Vorstellung weiblicher Unfähigkeit in finanziellen Dingen in Rom selbst nie durchgehend gebraucht oder auch nur durchdacht worden sei – sei sie via Rom in das europäische Recht der Neuzeit geraten und habe dort ein Eigenleben entwickelt.

 

Das Bild römischer Frauen im wirtschaftlichen Bereich zeigt sich in Rom je nach Medium höchst unterschiedlich. Dixon betont als typisch römische und für beide Geschlechter gültige Voraussetzung die uns eher fremde Vermischung kommerzieller und privater Bereiche. So manche finanzielle Betätigung eines Angehörigen der Oberschicht werde von diesem selbst dargestellt und wohl auch empfunden als ein Akt von „patronage“, der zum einen soziale und hierarchische Beziehungen zu den „Empfängern“ schafft, zum anderen aber dem „Patronus“ die Möglichkeit gibt, sich von den Niederungen des Handels zu distanzieren. Werden finanzielle Akte aber als „Gefallen“ definiert, so können sie auch und gerade im Fall reicher Frauen negativ interpretiert werden. Dies geschieht wieder einmal durch Sexualisierung: dieselbe Frau kann – je nach Medium – dargestellt werden als großzügige „Patrona“ oder aber als Person, die sich sexuelle Dienste erkaufen will.

 

Betrifft die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Beurteilung von Geldgeschäften vor allem weibliche Mitglieder der Oberschicht, so befasst sich D. in ihrem dritten Beitrag schließlich mit dem von den Quellen überlieferten Bild unmittelbarer „Frauenarbeit“. Dieselbe Art von Arbeit, so stellt sich heraus, kann in römischen Quellen Beleg für die Tugendhaftigkeit der Hausfrau sein – wenn diese im Haus der vielzitierten Wollarbeit nachgeht oder ihre Sklavinnen dazu anleitet. In anderem Rahmen  aber belegt ebendiese Wollarbeit den niedrigen Status einer Person – wenn sie nämlich außerhäuslich als Erwerbsarbeit im Rahmen eines Kontrakts ausgeführt wird (70). Tendenziell, und dies wird auch durch die Inschriften bestärkt, favorisieren die Quellen das Bild der Frau als Ehefrau und Mutter – und nicht etwa als „Arbeiterin“. Der reichgewordene Bäcker stellt seine Gattin nicht etwa in der Backstube, sondern als müßige „Dame“ dar. Dies hindert ihn jedoch nicht daran in ihrer Grabinschrift trotzdem ihren Fleiß zu betonen.

 

Das letzte Kapitel des Bandes versteht Dixon als Conclusio: An einem berühmten Beispiel – dem der Clodia Metelli und ihrer Identifizierung mit der Lesbia Catulls – zeigt sie abschließend noch einmal auf, welche Folgen es für die historische Quelleninterpretation haben kann, wenn moderne Wissenschaft die Intention des Genres nicht genügend in Betracht zieht. Viele der lebendigsten Schilderungen römischer Frauen basierten auf Quellen, welche ihre weiblichen Protagonisten im negativen Sinne „sexualisierten“. Die andere Seite des Geschlechterstereotyps zeige hingegen die selbstlose tugendhafte Heroine. So mancher Gelehrte ergäbe sich auch weiterhin gern der schillernden Anziehungskraft jener Frauenbilder, die von Catull, Cicero oder Juvenal bewusst extravagant und „shocking“ gestaltet worden seien. So werde die fatale Langlebigkeit fragwürdiger Interpretationen weiter gefördert.

 

Resumee: „Reading Roman Women“ ist nicht einfach ein weiteres Buch zum „Römischen Frauenleben“. Anhand von interessanten und zentralen Beispielen (die man sich manchmal ausführlicher dargestellt gewünscht hätte) versucht Dixon vielmehr die These zu erhärten (IX), daß die uns erhaltenen Texte nicht an den römischen Frauen an sich interessiert sind, sondern diese Frauen vielmehr als Diskurskategorie im Sinne von „the other“ konstruiert werden, um das Normale – nämlich den Mann – zu definieren. Entsprechend lautet ihre Antwort auf die Frage „Können wir nun aus den Quellen Faktisches über das Leben der Frauen erfahren?“ – „wohl eher nicht!“ Dixon begnügt sich mit der Analyse des männlichen Blicks, der bestimmte Frauenbilder bei Bedarf symbolisch einsetzt. Was sich jedoch dem Leser in Weiterführung ihres methodischen Ansatzes aufdrängt, ist die Erkenntnis, daß „genre purposes“ nicht nur bei der Konstruktion von Weiblichkeit eine Rolle spielen. Auch das Bild vom Mann und von Männlichkeit muß ja nicht deckungsgleich der Realität entsprechen – sondern mag je nach Genre unterschiedlich konstruiert worden sein. So stünden in unseren Quellen Geschlechterkonstruktionen einander gegenüber, die in ihren Bezügen zueinander weitere Analysen lohnen würden.

 

Insgesamt ist Dixon ein empfehlenswerter Beitrag zur methodischen und theoretischen Einführung in das gewählte Thema gelungen. Besonders das letzte Kapitel des Bandes „The allure of ‚La dolce vita‘ in Ancient Rome (133–156)“ sollte Pflichtlektüre für alle sein, die sich mit den Geschlechtern in Rom befassen möchten – um die Einschätzungen „Römischer Frauen“ zu reflektieren, die sich nicht zuletzt durch Literatur und Film der Moderne in den Köpfen festgesetzt haben.

 

Tanja S. Scheer, München