Altay Coskun: Die gens Ausoniana an der Macht. Untersuchungen zu Decimius Magnus Ausonius und seiner Familie. Oxford: The Unit for Prosopographical Research (Linacre College)   2002 (Prosopographica et Genealogica 8). XVI, 266 S., 1 Stammtafel. Euro 39,-. ISBN 1-900934-07-8

Nur auf den ersten Blick und rein äußerlich nimmt sich diese Darstellung der prosopographischen Grundlagen zu Decimius Magnus Ausonius (ca. 311–394) und seinen Familienangehörigen bescheiden aus. In den Vorbemerkungen erfährt man, das Buch eröffne eine Trilogie, in deren Mittelpunkt die Kommentierung der Dankesrede des Ausonius für den Konsulat im Jahre 379 n. Chr. stehen werde. Zur Abrundung diene sodann eine weitere prosopographische Untersuchung, und zwar der hohen Amtsträger Gratians, die die jetzt vorgelegte über Ausonius und seinen familiären Anhang in die Regierungsjahre des Kaisers (375–383) und die Reichsaristokratie dieser Zeit einbette: ein ehrgeiziges Programm und ein respektabel aussehender Ertrag für Altay Coskuns Trierer Dissertationsprojekt über Ausonius, eine Persönlichkeit, die mit ihrem Umfeld keineswegs abseits des Forscherinteresses stand und steht.

Coskuns zunächst vorliegende prosopographische Studie zu Ausonius und seiner Familie baut auf Arbeiten von Otto Seeck, Louis Jouai, Karl-Friedrich Stroheker und Martin Heinzelmann, Arnold Jones und John F. Matthews, der Ausonius-Kommentierung und -Edition von Roger Green sowie auf Untersuchungen von Hagith Sivan auf. Die Bedeutung der Zusammenschau biographischer, genealogischer, werkchronologischer und sozialgeschichtlicher Gesichtspunkte bei Sivan für seinen eigenen Untersuchungsansatz hebt Coskun besonders hervor und formuliert in diesem Zusammenhang den Anspruch, Sivan zu vervollständigen und zu berichtigen (vgl. S. X). Vor diesem Hintergrund setzt sich Coskun auch mit der Bewertung des Ausonius als Präzeptor, Schriftsteller und Politiker auseinander, der für den, der das Deutungsinstrumentarium beherrscht, einen guten Einblick in seinen und seiner Angehörigen Werdegang und Persönlichkeit und darüber hinaus in die Regierungsjahre Gratians und das zu Ende gehende 4. Jahrhundert erlaubt. Coskun beansprucht in diesem Zusammenhang, negative und positive Beurteilung der Persönlichkeit des Ausonius gegeneinander abzuwägen und der wohlwollenderen Sichtweise eine Brücke zu bauen. So verstärkt er die seit einiger Zeit vorhandenen Tendenzen zu einer positiveren Beurteilung der Epoche und der Person des Ausonius.

Coskun unterteilt sein Werk in vier Kapitel: Zunächst stellt er Ausonius kurz vor, dann widmet er sich seinem Lebenslauf und seiner Ämterlaufbahn im einzelnen, schließlich richtet er den Blick auf seinen familiären Umkreis, um zum Schluß die Hauptperson in ihrem politischen Wirkungskreis am Trierer Hof Gratians zu würdigen.

Das erste Kapitel macht mit Ausonius bekannt, ordnet ihn ein in seine Familie und seine Zeit, skizziert seinen Lebenslauf mit akademischer Laufbahn, dem Aufenthalt am Kaiserhof (368–379) und dem Lebensabend in Aquitanien (379–394); zudem fällt ein Blick auf seine literarische und seine politische Tätigkeit. Die Themen, um die es in den nachfolgenden Kapiteln geht, werden angerissen, hier auch genauer bestimmt, worauf Coskuns positives Ausonius-Bild beruht, indem er die literarische Tätigkeit und die politische Laufbahn des Ausonius an den Maßstäben seiner Zeit zu messen sucht, in die er auch das Standesdenken, die Familienangehörige bevorzugende Personalpolitik und die Eitelkeit des Sozialaufsteigers einordnet.

Das nächste Kapitel ist der Person des Ausonius gewidmet, dessen Leben Coskun chronologisch durchgeht, indem er nacheinander die akademische Laufbahn und Familiengründung, seine Tätigkeit als Erzieher Gratians, den Komitat, die Quästur, die Prätorianerpräfektur, den Konsulat mit der gratiarum actio und schließlich die Zeit im Ruhestand behandelt und dabei alle prosopographisch relevanten Gesichtspunkte anspricht.

Deutlich wird dies bereits in dem Unterkapitel über den akademischen Werdegang des Ausonius. Eingebettet ist das Thema seiner Berufstätigkeit in allgemeine Aussagen über das Bildungswesen im 4. Jahrhundert und die Darlegung des Forschungsstandes zur Überlieferung über die Grammatik- und Rhetoriklehrer in Burdigala. Durchaus eigenständig – und vielfach anders als Alan D. Booth in verschiedenen Veröffentlichungen – ordnet Coskun in diese Aussagen mit Hilfe einer Interpretation der einschlägigen Stellen und kritischen Sichtung anderer möglicher Zeitansätze in Werken des Ausonius und seines Schülers Paulinus von Nola die Lehrtätigkeit als Grammatiker (ca. 338–360) und als Rhetorikprofessor (ca. 360–368) ein, scheidet sorgfältig das Sichere vom Unsicheren und läßt Hypothesen und ihren Plausibilitätsgrad immer deutlich werden. Die späte Familiengründung verbindet Coskun mit der Sicherstellung durch die Berufung zum grammaticus.

Strittig am Hoflehramt des Ausonius ist insbesondere dessen Beginn; da es keinen Hinweis auf die Anwesenheit des Ausonius am Trierer Hof vor 369 gibt, plädiert Coskun für 368. An Stellen aus der Dankesrede weist er nach, für wie entscheidend Ausonius die Berufung zum Erzieher Gratians gehalten hat, ist sie doch die Voraussetzung für eine außerordentliche Laufbahn, die im Vertrauensverhältnis zum jungen Kaiser begründet liegt: Über den Komitat des Ausonius, für den dieser sich in der gratiarum actio (10f.) bedankt, kann nichts Genaues gesagt werden, doch geht Coskun davon aus, daß diese Stellung an die Ernennung zum Erzieher Gratians gekoppelt war.

Bessere Möglichkeiten der Datierung und Einschätzung bietet die Quästur des Ausonius, die Coskun „mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit“ (58) auf Frühjahr 374 bis Herbst 377 eingrenzt, da er in mehr als dreißig Gesetzestexten dieses Zeitraums stilistische Eigenheiten des Ausonius feststellt. Mit Verve wendet sich Coskun gegen die verbreitete Ansicht, Ausonius sei ein fachlich kaum kompetenter Quästor gewesen, und stellt im Gegensatz dazu heraus, seine rhetorische Leistung, das Vertrauensverhältnis zu Gratian und „für einen Laien weit überdurchschnittliche juristische Kenntnisse“ (61) hätten ihn „als Fachmann für Kommunikation“ (62) für dieses Amt bestens qualifiziert.

Das vielleicht interessanteste Kapitel dieses Teils ist das über die Prätorianerpräfektur des Ausonius, die sich an die Quästur anschloß und die er vor Ablauf seines Konsulatsjahres 379 niederlegte. Zum Zeitpunkt der Ernennung waren allerdings alle vier Präfekturen mit anderen Personen besetzt, die gallische mit Ausonius’ Sohn Hesperius, doch dies „stellte kein Hindernis dar, denn der Kaiser gestattete die Zusammenarbeit von Vater und Sohn in Gallien. Dabei genossen beide die volle Würde eines Praetorianerpraefecten“ (71). Als Antonius als praefectus praetorio für Italien und Africa ausschied, wurde der Zuständigkeitsbereich von Vater und Sohn auch auf diesen Sprengel ausgeweitet. Coskun erhärtet diese Anschauung durch die Auswertung der Äußerungen des Ausonius zu seiner Präfektur und Auskünfte in Rechtstexten. Er wendet sich vehement gegen die Mutmaßung, das – einmalige – praefecturae collegium (grat. act. 7) sei durch eine Überforderung des Ausonius bedingt gewesen, der sich von seinem Sohn Entlastung versprochen habe, schließlich sei Hesperius lange vor seinem Vater praefectus praetorio geworden (vgl. 138 mit Bezug auf CTh XVI 5,4 vom 22. April 376). Die Ursache für die Übernahme einer Reichspräfektur sieht er vielmehr im Ehrgeiz des Ausonius, der seinem Vater und seinem Sohn bereits 376 die Stellung von praefecti praetorio verschafft und angesichts des kaiserlichen Feldzuges in den Osten anstelle der Quästur eine Aufgabe gesucht habe, „die ihm gestattete, weiterhin in Trier zu bleiben“ (76).

Nach der Spitzenstellung am Hof und neben der in der Reichsverwaltung gelangte Ausonius mit dem Konsulat von 379 in die höchste Ehrenstellung, die das Römische Reich zu bieten hatte. Coskun nimmt für die gratiarum actio des Ausonius einen Termin im Spätsommer 379 an, nach der Rückkehr Gratians nach Trier, die er zu dessen dies imperii am 24. August ansetzt. Daß dieser Anlaß zugleich eine sollemnitas condendi honoris (grat. act. 80) war, interpretiert Coskun als Wunsch des Ausonius, der sich danach in seine aquitanische Heimat zurückziehen wollte, „um sich dort noch als Consul feiern zu lassen“ (87).

Coskun geht davon aus, daß die Reise des Ausonius in seine Heimat im Herbst 379 den Ruhestand des Konsuls einleitete. In diesem Kapitel widmet er sich besonders dem Verhältnis zwischen Ausonius und Paulinus von Nola und der Datierung ihres Briefwechsels, den Paulinus im Zusammenhang mit seiner Lebenskrise abgebrochen und nach sieben Briefen des Ausonius im Sommer 394 wieder aufgenommen hatte. Aus fehlenden Hinweisen auf Fortsetzung der Korrespondenz ist zu schließen, daß Ausonius wohl noch im Laufe des Jahres 394 verstorben ist.

Frei von Spekulationen sind die Rekonstruktionen zum Werdegang des Ausonius durch Coskun keineswegs (vgl. z. B. 32, 35, 44, 87, 110f.). Andererseits erarbeitet er durch kluge Schlußfolgerungen aus den Quellen – mit dem Werk des Ausonius ist er wirklich vertraut – wenn nicht sichere, so doch plausible Lösungen, die er im Vergleich mit der umfangreichen und vollständig ausgewerteten weiteren Sekundärliteratur oftmals ganz überzeugend zu präsentieren weiß, Urteile, die vor dem Hintergrund einer genauen Quellenkenntnis und einfühlsamer Einsichten in die Zeitumstände gewonnen sind. Auf dünneres Eis aber begibt sich Coskun im dritten Kapitel, das Untersuchungen zu den Vorfahren enthält, zu der Laufbahn des Sohnes Hesperius, sodann der Enkel Ausonius und Paulinus von Pella in Verbindung mit den Schwiegersöhnen Euromius und Thalassius, den Ehemännern der Ausonius-Tochter unbekannten Namens, und schließlich zu weiteren Personen mit Namen, die in der Familie des Ausonius vorkommen und zu Mutmaßungen Anlaß geben, in ihnen Nachfahren zu sehen.

Noch verhältnismäßig klares Licht fällt dabei auf die Familie der Mutter des Ausonius, die aus gallischem Adel stammt, wenngleich sie sich kaum über die Großeltern hinaus zurückverfolgen läßt. Bekanntester Sproß dieses Zweiges ist Ausonius’ Onkel Arborius, Prinzenerzieher in Konstantinopel. Zu den Vorfahren seines Vaters dagegen schweigt sich Ausonius aus, so daß Coskun annimmt, sein Vater sei als Sklave geboren, mit seinen Geschwistern in seinen Jugendjahren freigelassen und als Erbe des herediolum eingesetzt worden, eines von Ausonius mit „liebevollen Worten“ (124) beschriebenen Anwesens. Schneller sozialer Aufstieg habe den Arzt Iulius Ausonius zu Ansehen und in die munizipale Oberschicht gebracht, seine Frau den Kindern die Vorfahren verschafft, „die er selbst nicht vorzuweisen hatte“ (127): Diese Schlußfolgerungen sind plausibel, solange Coskun sie widerspruchsfrei mit den (fehlenden) Nachrichten über die Familienverhältnisse in Einklang bringen kann.

Außer bei seinem Sohn und bei seinem Vater läßt sich die Karriereförderung durch Ausonius nach Coskun auch an den Laufbahnen der Schwiegersöhne Euromius und Thalassius studieren: Der erste brachte es nach dem Tod Valentinians I. zum vicarius Illyrici, bis er 376 n. Chr. verstarb; Nachfolger im Amt und als Schwiegersohn wurde Thalassius. Für beide Schwiegersöhne des Ausonius macht Coskun eine Art Stellvertreterfunktion für den illyrischen Prätorianerpräfekten von 375/76 bis Herbst 377, den hochbetagten Ausonius-Vater Iulius, geltend.

Am Schicksal des Paulinus von Pella und seiner Kinder zeigt Coskun, daß Mitte des 5. Jahrhunderts die von Ausonius mehr als zwei Menschenalter vorher geschaffenen Grundlagen für die führende soziale Stellung der Familie im Reich und in Gallien nachhaltig und beständig auch in einer Zeit war, in der Besitz und gesellschaftliches Ansehen als gefährdet gelten mußten. Den Klagen über den Niedergang der Familie des Ausonius im paulinischen Eucharisticus widerspricht Coskun mit Hilfe einer onomastischen Untersuchung: Mangels direkter Aussagen in Quellen schließt er aus einer möglichst vollständigen Erfassung von Trägern der Namen Ausonius, Hesperius, Arborius und anderen sowie der zu ihnen überlieferten Hinweise auf Laufbahn und gesellschaftliche Stellung, daß bis zum Versiegen der Nachrichten im 6. Jahrhundert von einem wirklichen Niedergang nicht die Rede sein kann. Freilich bleiben die Folgerungen aufgrund dieses Materials, so plausibel es sich der Ausonius-Familie zuweisen lassen mag, mangels direkter Aussagen stark spekulativ, was Coskun nicht verschweigt (z. B. 162, 176f., 184).

Auf die eingangs angekündigte prosopographische Untersuchung der römischen Amtsträger zur Zeit Gratians weist das letzte Kapitel hin, das Ausonius in die Politik und Gesellschaft der Regierungsjahre seines Schülers einordnet. Coskun verbindet die Karrierechancen, die sich für Ausonius auftaten, mit der Entmachtung des selbstherrlichen praefectus praetorio Galliarum Maximinus durch Ausonius und Antonius nach dem Tode Valentinians I. Die beiden neuen starken Männer initiierten eine prosenatorische Gesetzgebung, einen Steuerschuldenerlaß, von dem Dekurionen profitierten, und Amnestiemaßnahmen, ferner eine Personalpolitik, die einem neuen gallischen Dienstadel Konturen verlieh und auch den römischen Senatsadel begünstigte.

Abschließend überprüft Coskun die vielgestellte Frage nach der Intensität des Christentums bei Ausonius. Er sucht augenscheinliche Widersprüche in der religiösen Haltung des Ausonius durch eine Unterscheidung „zwischen einem persönlichen Bekenntnis und einer religionspolitischen Konzeption“ (232) auszuräumen. Toleranz gegenüber Andersgläubigen habe seine auf Integration angelegte religionspolitische Haltung bestimmt, das persönliche Bekenntnis sei aber durchaus christlich gewesen.

Eine so gründliche prosopographische Untersuchung, wie sie Coskun für Ausonius und seine Familie vorlegt, basiert auf umfassenden Materialien: genauer Kenntnis und Auswertung der Werke des Ausonius und der Zeitgenossen, mit denen er in Kontakt stand, der Gesetzgebung aus der Zeit des aktiven Politikers, epigraphischen Quellen u. a. m., zudem gründlicher Erarbeitung des Forschungsstandes auf einem Feld, dem die Altertumswissenschaften seit jeher Aufmerksamkeit entgegenbringen, um die eigenen Fortschritte gegenüber anderen Positionen markieren zu können. Coskun stellt sich diesen Herausforderungen souverän, so daß er in der Tat „die vagen und lückenhaften“ Einzelinformationen zum Werdegang des Ausonius und seiner Familienangehörigen „zu einem anschaulicheren Bild zusammenzufügen“ (87, beide Zitate) vermag. Des Ausonius Ehrgeiz und Befähigung sowie die Gunst Gratians (vgl. 147) bewirkten als „bleibendes Verdienst“ einen „materiellen und ideellen Beitrag zur Stärkung der gallischen Aristokratie, die in den Zeiten der Völkerwanderung einen bedeutenden Faktor kultureller Kontinuität und auch regionaler Stabilität darstellte“ (216).

Man darf also gespannt sein auf die von Coskun angekündigte Komplettierung der Arbeiten über Ausonius und sein Wirkungsgebiet, nähme ihm seine Qualitäten aber auch ab, wenn er weniger als 17 eigene – davon mehr als die Hälfte bisher nicht veröffentlichte – Beiträge in seinem Literaturverzeichnis zusammengetragen hätte. Nur Otto Seeck ist aufgrund zahlreicher RE-Artikel hier noch häufiger vertreten. Ein Buch prosopographischen Inhalts, das sich nicht nur zum vorsichtigen Blättern, auch zum Nachschlagen und Lesen eignen muß, darf nicht nach einmaliger, wenn auch intensiver Lektüre auseinanderfallen. Hinsichtlich der handwerklichen Verarbeitung der Monographie und der optischen Textpräsentation im Innern (schlimm auch die zahlreichen falschen Worttrennungen im Text und die alphabetische Behandlung von Adelsprädikaten im Literaturverzeichnis!) bleiben Wünsche offen – ganz im Gegensatz zum Inhalt, wie immer man dazu stehen mag, ob Spekulationen eigentlich so weit ausgezogen werden dürfen, wie es sich Coskun hier und da erlaubt.

Ulrich Lambrecht, Bornheim-Sechtem
lambre@uni-koblenz.de