Serena Ensoli, Eugenio La Rocca (Hrsgg.): Aurea Roma. Dalla città pagana alla città cristiana. Roma: “L’Erma” di Bretschneider 2000, LIT 350 000. ISBN 88-8265-126-6.

 

Lange Zeit stand die Spätantike ausgerechnet in Rom im Schatten, in derjenigen Stadt, die durch Konstantin und seine Religions- und Baupolitik eine so zentrale Rolle in der Christianisierung des Imperium Romanum erhalten hatte. Die Museen – ob staatlich (wie das Museo Nazionale), städtisch (wie die Kapitolinischen Museen) oder kirchlich (wie die Vatikanischen Museen) – kümmerten sich hauptsächlich um die klassische Antike in ihren vielfachen Verzweigungen und ließen die traditionell als Zeit des Verfalls, nicht als Epoche eigenen Rechts geltende Spätantike eher am Rande liegen. In den letzten Jahren nun hat sich das Bild grundlegend gewandelt: Mit dem neuen Ausstellungsgebäude in der Centrale Montemartini haben die Kapitolinischen Museen erstmals Platz, die reichen Funde aus den Horti Liciniani (einschließlich dem großen Jagdmosaik von S. Bibiana) angemessen zu präsentieren. Im Jubiläumsjahr 2000 wurde mit der Crypta Balbi gar erstmals in der Stadt Rom ein ganz der Spätantike und dem Übergang zum Mittelalter gewidmetes Museum – eine weitere Dependance des Museo Nazionale – eröffnet. Und in einer Art von Parallelaktion gab es im Palazzo delle Esposizioni mit der Ausstellung Aurea Roma. Dalla città pagana alla città cristiana eine systematische Zusammenschau der Entwicklung Roms in der Spätantike. Der hier zu besprechende, in jeder Hinsicht gewichtige Katalog umfaßt 711 großformatige Seiten und es ist schon jetzt keine gewagte Prognose, daß er ebenso zum Standardwerk werden wird wie etwa der immer noch relevante Katalog der Frankfurter Ausstellung „Spätantike und frühes Christentum“ von 1983/84.

 

Aurea Roma ist in folgende Sektionen gegliedert:

   1. Divina ispirazione: ein einleitendes Kapitel von Eugenio La Rocca (1–37)

   2. der Forschungsteil:

        a. Sezione I: Spazio pubblico e spazi privato (41–233)

        b. Sezione II: Forme di autorappresetazione (237–248

        c. Sezione III: La vita nell’Urbe (251–358)

        d. Sezione IV: Vecchie immagini e nuovi significativi. L’alternativa in bilico (361–403)

        e. Sezione V: L'invenzione nella tradizione: dalle immagini pagane alla visione di Dio (407–424)

   3. der Katalogteil (425–664)

   4. Apparati: Verzeichnis der Leihgeber und Exponate, Bibliographie

Aus der hier unmöglich zu bewältigenden Fülle des Gebotenen seien einige signifikante Beispiele herausgegriffen und eingehender vorgestellt:

R. Meneghini/R. Santangeli Valenziani, Il paessaggio urbano della tarda antichità (44–48) befassen sich mit den Veränderungen des römischen Stadtbildes in der Spätantike unter den Bedingungen der demographischen Krise des 4. und 5. Jh. n. Chr. Innerhalb der Aurelianischen Stadtmauern entstehen nun relativ autonome Siedlungskerne mitsamt Begräbnisstätten (hauptsächlich im Umkreis der Foren und des südlichen Marsfeldes), die insgesamt ein Netz von Wohnstätten niedriger Bevölkerungsdichte ergeben. Besonders die Monumentalbauten erfahren eine Transformation in Nekropolen, etwa das Forum Pacis, wo dann im 6. Jh. die Kirche von SS. Cosma e Damiano entsteht. Der Prozeß der Entvölkerung ist im einzelnen aber schwer zu quantifizieren, da die Angaben über die konkreten Einwohnerzahlen (in der frühen Kaiserzeit ca. 600 000 bis 700 000) auf Konjektur beruhen (E. Lo Cascio, Il popolamento, 52–54): Am ehesten lassen sich durch die Getreide- und Schweinefleischverteilungen Hinwiese gewinnen, die für die Zeit zwischen 367 und 452 etwa auf eine Halbierung der Empfangsberechtigten schließen lassen. Hierzu ist dann auch detaillierte Darlegung der mit Handel und Finanzen verknüpften Aspekte in den Kapiteln des Abschnitts „La circolazione dei manufatti: merci e commerci“ vertiefend heranzuziehen (D. Vera, Nutrire, divertire, commerciare, amministrare: aspetti della storia urbana di Roma tardoantica, 330–356; E. Lo Cascio, La monetazione, 337–340; P. Pensabene, Reimpiego e depositi di marmi a Roma e a Ostia, 341–350; F. Pacetti, Le anfore del Foro di Traiano, 351–352; Ossi e avori “alessandrini” a Roma, 352–360).

 

S. Ensoli, I colossi di bronzo a Roma in età tardoantica: dal Colosso di Nerone al Colosso di Costantino. A prosito dei tre frammenti bronzei dei Musei capitolini (66–90) unterzieht die in den Kapitolinischen Museen aufbewahrten, vieldiskutierten Reste der bronzenen Kolossalstatue (Kopf, Hände, Kugel) einer genauen Überprüfung. Nach dem Befund des Materials (das Umarbeitungsspuren zeigt), der Herkunft (im Umkreis des Colosseums), durch Vergleich mit Münzbildern und Porträts kommt sie zur Überzeugung, es handle sich um den in eine Statue für Konstantin transformierten, von Nero in der Domus Aurea aufgestellten Koloss des Sonnengottes, womit auch eine bemerkenswerte Form der Adaption paganer Traditionen durch den Herrscher, der dem Christentum zum Durchbruch verhalf, rekonstruiert ist.

 

Eine Reihe von Beiträgen befaßt sich sodann mit dem spät- und nachantiken Schicksal der herrscherlichen Repräsentationsbauten (A. Augenti, Palatia. Tra la tarda antichità e l’alto medioevo, 91–96; M. Cima, Horti Linciniani, 97–103; M. Barbera, Dagli horti Spei Veteris al Palatium Sessorianum, 104–112; H. Broise/M. Dewailly/V. Jolivet, Horti Luculliani: un palazzo tardoantico a Villa Medici, 113–115 [über die Ergebnisse der Ausgrabungen von 1999]; G. Pisani Sartorio, Il Palazzo di Massenzio sulla via Appia, 116–119 [auch zum dortigen Circus]). Abgesehen von den archäologischen Einzelbefunden zeigt sich, wie die den nicht mehr in Rom weilenden Kaiser vertretende Verwaltung den ehemaligen Palastkomplex sowie die ursprünglich in Privatbesitz befindlichen repräsentativen Gebäude am Sessorianum und am Pincio für ihre Zwecke nutzte und mit Kirchen wie S. Croce in Gerusalemme oder S. Anastasia christlich akzentuierte. Die Ausweitung der für die administrativen und herrschaftlichen Zwecke benötigten Flächen seit der frühen Kaiserzeit setzte sich so also ungeachtet der Verlegung der Residenz fort (und das sogar an der Peripherie Roms). Die Kontinuität bricht erst im frühen Mittelalter, um 700 n. Chr., ab, als die Reihe der belegten curatores Palatii der byzantinischen Verwaltung endet.

 

Wir übergehen nun, was an Interessantem über die Spiele in Circus Maximus und Colosseum, über die Privatbauten und ihre Ausstattung mit Repräsentations- und Gebrauchsgütern zu berichten wäre und kommen zur Sektion „Le basiliche cristiane e i nuovi programmi figurativi“ (M. Cecchelli, L’edificio di culto tra il III e l’VIII secolo, 179–183; F. Bisconti, Programmi figurativi, 184-190, E. Russo, Apparati decorativi, 191-199; H. Brandenburg, L’edifico monumentale sotto la chiesa di S. Stefano Rotondo, 200–203; E. La Rocca, Le basiliche cristiane „a deambulatorio“ e la sopravvivenza del culto eroico, 204–220, M. Falla Castelfranchi, I monasteri greci a Roma, 221–226, S. De Blaauw, Basiliche e liturgie, 227–229): Der Blick auf die Topographie zeigt, wie rasch sich die Kirchen nach der konstantinischen Wende im ganzen besidelten Gebiet Roms ausbreiteten, wobei sich auch die christliche Architektur- und Bildersprache  immer stärker ausdehnte, differenzierte und von den paganen Vorläufern (die die Elemente bereitgestellt hatten, aus denen sich das Neue entwickelte) emanzipierte. Eines der kunstgeschichtlich großartigsten und theologisch aufschlußreichsten Ergebnisse dieses Prozesses sind die Mosaiken. Neuere Ausgrabungen haben vor allem die Baugeschichte von S. Stefano Rotondo auf dem Caelius (samt derjenigen der Vorgängerbauten) in ein helleres Licht gerückt. Auch die gemeinsamen Strukturmerkmale der Basiliken (SS. Pietro e Marcellino, SS. Apostoli [i.e. S. Sebastiano], S. Agnese, Basilica di Tor di Schiavi, S. Lorenzo, S. Marco [erst jüngst an der Via Ardeatina entdeckt) nebst den oftmals nahegelegenen Mausoleen (z.B. dem der Helena neben SS. Pietro e Marcellino) werden durch den archäologischen Fortschritt immer deutlicher. Erstaunlicherweise scheint sich gerade in den dezidiert christlichen Bauten wie den Mausoleen das architektonische Erbe paganer Heroenkulte (etwa für Hercules an der Ara Maxima) modifiziert bewahrt zu haben.

 

Natürlich waren trotz des Sieges des Christentums die alten heidnischen Kulte nicht sogleich verschwunden, was im Abschnitt „Una religione multiculturale“ genauer beleuchtet wird (263–300), allerdings erstaunlicherweise ohne eigenständige Behandlung der Mithras- und der Magna Mater-Religion. In der Stadt Rom lassen sich darüber hinaus Heiligtümer nachweisen für Isis und Serapis (insgesamt neun, davon vier noch im 4. Jh.: S. Ensoli, I Santuari di Iside e Serapide a Roma e la resistenza pagana in età tardoantica), für Iuppiter Dolichenus auf dem Aventin (P. Chinti, Il Santuario di Giove Dolicheno, 288–294) und für die syrischen Götter am Abhang des Granicolo (L. Nista, Il santuario siriaco del Granicolo, 298–300).

 

Vieles wäre noch zu nennen, etwa das Fortleben paganer Vorstellungen (Orpheus) in Christusdarstellungen, die Bedeutung des Zodiacus für Heiden und Christen, die Frage, wann die Engel Flügel bekamen (in der Kunst: wohl im 4. Jh., übernommen von Victoria-Darstellungen) oder der Status der Nacktheit in der christlichen Kunst: Aber genug:

Aurea Roma ist eine großartige Synthese, die das Wissen über die für die weitere europäische Geschichte so bedeutende Epoche, in der christliche und pagane Auffassungen teils in Konkurrenz, teils in schadlosem Nebeneinander standen, auf der Basis aktuellen archäologischen Kenntnisstandes vereint. Wer sich als Neuhinzugekommener mit dieser Zeit vertraut machen möchte, findet hier alles Nötige zusammengestellt. Wer auf bestimmten Feldern selbst forscht, hat den aktuellen Stand der Wissenschaft nebst der soliden bibliographischen Basis.

 

Will man Kritik üben, so wird man eine gewisse Unübersichtlichkeit der Präsentation (und das fehlende Register) anmerken, auch die Tatsache der bisweilen ungleich langen, nicht immer ganz nachvollziehbar ponderierten Artikel. Aber das sind Quisquilien gegenüber dem vorliegenden Ertrag.

 

Ulrich Schmitzer

uhschmit@phil.uni-erlangen.de

Universität Erlangen-Nürnberg

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