Reinhard Wolters: Die
Römer in Germanien, München: Beck 2000 [C.
H. Beck Wissen in der Beckschen Reihe 2136], 128 S., 16 Abb., DM 14,80, ISBN 3 406
44736 8
In dem hier
anzuzeigenden Band wird in komprimierter Form eine Darstellung der römischen
Germanenpolitik und ihrer Realisierung vorgelegt. Sie umfaßt den gesamten Zeitraum von
der ersten Begegnung zwischen Römern und Germanen, d.h. den Kimbern und den ihnen
angeschlossenen Stämmen, vorgeprägt durch "die existentielle Angst" (14), die
der Keltensturm hervorgerufen hatte, bis zum Auftreten germanischer Heerführer in ihrer
Funktion als Herrscher im Westen des Imperiums. Somit greift das Buch auch hinein in die
Epoche, die vornehmlich Gegenstand dieser Zeitschrift ist, ja es macht wichtige
Voraussetzungen dieser Epoche erst verständlich. Ein besonderes Interesse des Autors gilt
dabei der Tatsache, daß sich diese Entwicklungen in einer Grenzzone des Imperium
Romanum abspielten (9), so daß die auch sonst in der modernen Altertumswissenschaft
zu beobachtende und methodisch so fruchtbare Diskussion an den Grenzen nicht nur der engen
Fachdisziplinen, sondern auch der literarischen wie historisch-geographischen
Gegenstandsbereiche mit einbezogen wird. So wird die Lektüre auch für den primär
philologisch orientierten Leser und Rezensenten anregend und gewinnbringend.
Beginnend mit den
"geographischen und ethnographischen Vorstellungen von Nordeuropa in der Antike"
(Kap. 1), illustriert durch die rekonstruierte Erdkarte des Eratosthenes und erläutert
durch die auch bei Vitruv 6,1,3f. faßbare Theorie vom Verhältnis zwischen der physischen
und psychischen Disposition der Menschen und den klimatischen Bedingungen ihrer jeweiligen
Heimat, werden die ersten Begegnungen der Römer zunächst mit den Kelten (Brennus) und
dann mit den Germanen erwähnt (Niederlage des Carbo bei Noreia 113, Niederlage bei
Arausio 105, Marius 102/101), für den mit den Gründen römischer Präsenz in
Südfrankreich und im Alpenraum nicht vertrauten Leser wohl etwas zu knapp formuliert, wie
überhaupt gelegentlich historisch-geographische Situationen stillschweigend vorausgesetzt
werden, die außerhalb der engeren Fachwelt kaum mehr bekannt sind. Deutlich wird aber,
daß das kollektive Bewußtsein der Römer und ihr Verhältnis zu den Völkern des
Nordens, Kelten und Germanen, von besonderen traumatischen Erlebnissen geprägt war.
Das 2. Kapitel ist dem
Aufenthalt Caesars am Rhein und der Entwicklung des Germanenbegriffs gewidmet, der
untrennbar mit dem bekannten Germanenexkurs im 6. Buch des Bellum Gallicum
verbunden ist. Kritisch bewertet wird dabei die Frage, inwieweit sich die Darstellung
Caesars mit den tatsächlichen historischen Gegebenheiten deckt, denn das heute von der
Archäologie vermittelte Bild der kulturellen Situation diesseits und jenseits des Rheins
zeigt eher das Übergreifende als das Trennende (18). Bei der philologischen Diskussion um
Sinn und Zweck des Germanenexkurses im Zusammenhang mit dem Abbruch des Germanenfeldzugs
können diese Erkenntnisse der Bodenforschung gar nicht wichtig genug genommen werden.
Daß Caesars Gegenüberstellung von Kelten und Germanen und "die Vorstellung vom
Rhein als einer ethnischen Grenze" (17) jedoch von einer nicht zu überschätzenden
Wirkung bis in die jüngste Gegenwart war (20f.), steht jedoch außer Zweifel. Zum
Germanennamen selbst wird die von Tacitus, Germania 2,3 gegebene Deutung als einer
urspünglichen Bezeichnung einer relativ kleinen Gruppe aus dem
niederländisch-norddeutschen Flachland, die dann von den Galliern auf alle
rechtsrheinischen Stämme übertragen wurde, im wesentlichen akzeptiert (19). Daraus wird
durchaus plausibel die Rheinüberschreitung germanischer Stämme aus der Sicht der Gallier
als das "bedrohlich empfundene kulturell Gemeinsame der Germanen" verstanden
(20), das dann Caesar aufgriff und weiter systematisierte, wobei er einen umfassenden
Germanenbegriff seinen Lesern vermittelte, bevor noch die Ethnogenese des Germanentums
vollzogen war (21). Damit zeichnet sich für die Caesar-Philologie die interessante
Fragestellung ab, inwieweit seine geographischen Vorstellungen, etwa auch in der
einleitend zum Bellum Gallicum gegebenen Einteilung Galliens, auch von
einheimischen Anschauungen bestimmt wurden.
Das Verhältnis zwischen
Galliern, Römern und Germanen von Caesar bis in die Mitte des zweiten Jahrzehnts v. Chr.
ist im dritten Kapitel dargestellt, beginnend mit dem Krieg gegen Ariovist. In knappen
Zügen wird gezeigt, wie nun Rom an Stelle der Gallier die Beziehungen zu den Germanen
fortführt, nicht sie beendet (24). Dazu gesellte sich eine gezielte Siedlungspolitik am
Rhein. Die Niederlage des Lollius 17 oder 16 v. Chr. gegen die Sugambrer und andere
Stämme wird als vermutliche Ursache für eine Änderung der römischen Politik in diesem
Gebiet angesehen und in den Kontext der Rückgabe der durch Crassus an die Parther
verlorenen Feldzeichen gestellt (27). Die Neuordnung der gallisch-germanischen
Verhältnisse durch Augustus war die Folge. Diese Provinzialordnung hatte in ihren
Grundzügen bis in die Spätantike Bestand. Die durch eine Verlegung von Truppen an die
Rheingrenze notwendig gewordenen neuen Kastelle bildeten vielfach den Ausgangspunkt für
eine permanente Besiedlung (Nijmegen, Xanten, Neuss, Mainz, Bonn). Strategisch dienten sie
sowohl dem Schutz Galliens vor eindringenden Stämmen aus dem germanischen Raum wie auch
einem möglichen Ausgreifen nach Osten. Die damit verbundene Fragestellung, die die
althistorische Forschung seit langem beschäftigt, wird mit der Überschrift zum folgenden
Kapitel auf den Punkt gebracht: "Grenzschutz oder raumgreifende Eroberung?".
Während die Eroberung des nördlichen Voralpenlandes als irrelevant für eine mögliche
Offensive in Richtung Osten angesehen wird, kann der Einfall rechtsrheinischer Germanen 12
v. Chr. als Auslöser für die Unternehmungen des Drusus und des Tiberius gelten, unter
denen die Flottenfahrten in die Nordsee wegen ihres exploratorischen Charakters besonders
hervorgehoben werden (30; 42). Die Feldzüge des Drusus werden dabei aber nicht im Rahmen
einer durch die Elbe begrenzten systematischen Eroberung Germaniens, sondern als die den
Unternehmungen Alexanders vergleichbare Vorstöße in unbekannte Räume verstanden (34f.),
auch wenn dann Germanicus "das Erreichen der Elbe als Verwirklichung der väterlichen
Pläne" proklamierte (57). Hier scheint ein von der Forschung noch nicht
ausdiskutierter Widerspruch zu bestehen. Mit den Feldzügen des Tiberius 8 v. Chr. kommt
diese Phase zum Abschluß (das Zeugnis des Velleius steht 2,97,4, nicht 2,9,4); die
offizielle Propaganda begleitete ihn durch Triumph, Münzprägung und Erweiterung des
Pomeriums (36f.).
Die relativ kurze Zeit
der Ruhe in Germanien endete bekanntlich mit dem Krieg gegen Stämme in Norddeutschland,
gegen die Markomannen und dem Aufstand in Pannonien und schließlich mit der clades
Variana. Wie hat man sich die Verhältnisse in Germanien zwischen den Feldzügen des
Drusus und der schicksalshaften Niederlage vorzustellen (Kap. 5)? Die spärlichen
Schriftquellen über diese Zeit finden durch die archäologischen Entdeckungen und
Neufunde der letzten Jahrzehnte teilweise überraschende Bestätigungen. Dabei zeichneten
sich drei Richtungen des Vorstoßes in rechtsrheinisches Gebiet ab: Von Xanten aus entlang
der Lippe bis in den Raum Bielefeld, von Mainz durch die Wetterau bis Bad Nauheim, sowie
durch das Lahntal, wobei die neuesten Funde von Lahnau-Waldgirmes in Zukunft besonderes
Interesse beanspruchen werden (vgl. Antike Welt 31, 2000, 601-606). Scheint sich doch
damit die Aussage des Cassius Dio (56,18,2), die römischen Soldaten hätten im
rechtsrheinischen Germanien Städte (póleis) gegründet, zu bestätigen. Besonders
willkommen sind die gründlichen Referate der Fundergebnisse, zunächst von Oberaden bei
Bergkamen (44ff.), wodurch die Nachricht bei Cassius Dio 54,33,4 besonderes Profil
gewinnt. Der Text läßt allerdings nicht den Schluß zu, Drusus wollte mit der Anlage
seine Gegner "demütigen" (44), sondern er hatte seinerseits keine Angst mehr
vor ihnen (antikataphronésanta), wie sie umgekehrt zunächst die Römer furchtlos
(kataphronésantes) angegriffen hatten, aber dann doch besiegt worden waren; Ausdruck
dieses imperialen Selbstgefühls und "Machtanspruchs" (so zutreffend S. 45) wird
die Anlage des Lagers. Zu dem seit langen bekannten Militärkomplex von Haltern haben die
neuesten Grabungen offensichtlich mehr Fragen als Antworten gegeben. Im Lichte der Funde
von Kalkriese darf die Darstellung der Varusschlacht (Kap. 6) besonderes Interesse
beanspruchen. Vor dem Hintergrund der Berichte v. a. des Cassius Dio und der Münzfunde
werden Pro und Contra für die Lokalisierung der Schlacht diskutiert, wobei das Ergebnis
nach dem derzeitigen Stand der Diskussion noch offenbleiben muß. Als wichtigstes Ergebnis
der Schlacht gilt einem großen Teil der Forschung "der römische Verzicht auf das
rechtsrheinische Germanien" (Kap. 7), gestützt auf Tacitus' Urteil von Arminius als liberator
haud dubie Germaniae. Jedoch lassen die unmittelbaren Reaktionen auf die Niederlage in
Gestalt des Feldzugs des Tiberius und insbesondere später des Germanicus, mit denen
wieder versucht wurde, den verlorenen römischen Einfluß im rechtsrheinischen Gebiet
zurückzugewinnen, diese Beurteilung als zweifelhaft erscheinen, wie W. 56f. überzeugend
darlegt. Erst mit Tiberius wird die offensive Germanenpolitik zunächst aufgegeben. In den
folgenden Jahrzehnten erwies sich "das Gebiet jenseits der Ströme Rhein und Donau
als ein Vorfeld, das von Rom vielfach kontrolliert wurde" (63). Deutlich wird dabei
der Widerspruch zwischen dem Verzicht auf Okkupation und der in der Literatur formulierten
Erwartung der Öffentlichkeit auf eine Unterwerfung Germaniens (63f.).
Erst nach dem
Bataveraufstand begannen unter den Flaviern wieder umfangreichere militärische Aktionen
(66); die ersten Demarkationen der Limeslinie werden sichtbar. Die die Entwicklung
veranschaulichenden Karten auf S. 73 sind leider so klein geraten, daß die
voraussetzungsreichen Ausführungen S. 66ff. (man lese etwa die Bemerkung zu Rottweil - Arae
Flaviae) nur undeutlich illustriert werden. Auch die als Beispiel für die Propaganda
(bemerkenswert die Parallele zur Provinzialisierung von Iudaea) unter Domitian gedachte
Münzabbildung (S. 68) kann in ihrer Druckqualität nicht befriedigen; viel zu klein auch
der Stadtplan von Köln ( S.80). Die folgenden Kapitel sind dem "Ausbau des Rhein-
und Donaulimes" (mit den bekannten Fakten) sowie dem "Leben in den beiden
germanischen Provinzen" gewidmet. Besonderes Interesse, entsprechend einem
Forschungsschwerpunkt des Autors, verdient dabei die durch die relativ hohe Kaufkraft der
römischen Legionäre hervorgerufene wirtschaftliche Prosperität gerade am Rhein, wodurch
nicht zuletzt die Grundlage für die überragende Kultur dieser Region nicht nur bis in
die Spätantike und ins frühe Mittelalter gelegt wurde. Die Entwicklung der
Zivilsiedlungen wird am Beispiel Köln und Xanten (vgl. dazu jetzt Anita Rieche, Alte
Stadt mit neuer Zukunft, Antike Welt 30, 1999, 219B230) ausführlich dargestellt (79ff.);
Mainz und Trier werden nur kurz gestreift (82). Ohne Zweifel verdienen aber die neuesten
Funde in beiden Städten höchste Beachtung (vgl. z.B. Antike Welt 31, 2000, 403f. zur
Entdeckung eines Sakralbezirks in Mainz).
Der Frage, wie sich die
Kontakte des rechtsrheinischen Germaniens zum Imperium Romanum gestalteten, wird im 11.
Kapitel aufgegriffen. W. zieht die Linie der Beziehungen von Arminius und dessen
Nachkommen zu Rom über Fragen des Güterimports in die Räume außerhalb des Imperiums
(wohl etwas zu breit im Verhältnis zur Behandlung von Architektur und bildender Kunst S.
85 dargestellt; der in der früheren Forschung wiederholt postulierte Fernhandel wird
dabei S. 94 skeptisch beurteilt) bis hin zu den Zahlungen der Subsidien, die nicht erst
ein spätantikes Phänomen darstellen (95ff.).
Ein grundsätzlicher
Wandel in den Beziehungen zu den Germanen bahnte sich mit den Markomannenkriegen Mark
Aurels an, die mit dem Großteil der Forschung als "Vorläufer der
Völkerwanderung" (97) und damit als entscheidend für die Verhältnisse in der
Spätantike verstanden werden, ausgelöst durch Wanderbewegungen in Nord- und Osteuropa,
deren Ursachen und Verlauf im einzelnen unklar sind. Das wird relativ ausführlich
erörtert. In diesen Zusammenhang wird auch die Ausbildung der Großstämme (Alamannen,
Goten, Franken) gestellt, die dann im 3. Jh.
die Auseinandersetzungen am Limes bestimmen. Das früher häufig genannte Enddatum des
obergermanisch-rhätischen Limes (259/60) wird im Lichte der neueren Forschung in Frage
gestellt und gerade im Gebiet der Alamannen eine gewisse Kontinuität bis in die Mitte des
5. Jh.s konstatiert. Deutlicher sind die Fakten bei den Auseinandersetzungen mit den Goten
(104f.) mit den für die weitere Entwicklung schicksalhaften Daten von 378 (Adrianopel)
und 410 (Plünderung Roms durch Alarich), wobei nicht nur an die Reaktion Augustins zu
erinnern wäre, sondern auch an den trotzdem ungebrochenen Glauben an das alte Rom, wie er
etwa bei Rutilius Namatianus zu beobachten ist. Der Einfall der Franken um 257/60 wird
durch die Funde bei Krefeld-Gellep anschaulich illustriert (106). Die Auseinandersetzungen
werden erst durch Julian und die Ansiedlung von Franken im linksrheinischen Gebiet
beendet. Diese Entwicklung leitet direkt über in die Entstehung des Merowingerreiches.
Dabei kann, so W. S. 107, wohl nicht von einer gemeinsamen germanischen Identität dieser
Großstämme gesprochen werden. Der Autor bewertet auch kritisch gerne gebrauchte
Schlagwörter wie "Fall des Limes" oder "Verdrängung der Römer".
Gerade für das Verständnis der Spätantike und nicht zuletzt ihrer Literatur sind die
Vorstellungen von einer Teilhabe der germanischen Stämme an der römischen Kultur, ja die
wechselseitige Durchdringung von grundlegender Bedeutung. Am Beispiel Theoderichs wird das
kurz illustriert (109 f.), allerdings ohne näheren Hinweis auf den kulturellen Aspekt.
Das abschließende
Kapitel ist dem Arminiusbild und der Erforschung der Römerzeit in Deutschland und
Österreich gewidmet. Dieser Abschnitt skizziert die Entwicklung von der Wiederentdeckung
der Germania bis zur nationalistisch-rassistischen Germanenidelologie des 20 Jh.s
sowie die Überwindung alter Denkmuster durch die althistorische Forschung der
Nachkriegszeit (Timpe). Die Relevanz der Altertumswissenschaft für die Gegenwart wird auf
diese Weise nachdrücklich unterstrichen; dafür gebührt dem Autor Dank. Bei den
Anfängen der Erforschung der materiellen Hinterlassenschaft Roms auf deutschem Boden
hätten wohl auch Aventinus und Peutinger eine Nennung verdient, auf jeden Fall aber der
um die Anfänge der Erforschung des Limes so verdiente Hohenloher Archivrat Christian
Ernst Hanßelmann.
Eine Zeittafel, ein
Literaturverzeichnis, konzentriert auf Arbeiten der letzten beiden Jahrzehnte, sowie ein
eher selektives Register beschließen den Band, den man nicht zuletzt wegen seiner klaren
Darstellung (erfreulicherweise unter Verzicht auf die "neue" deutsche
Rechtschreibung) uneingeschränkt auch einem größeren Leserkreis empfehlen kann.
Zusammenfassung: Der
vorliegende Band gibt in knapper, präziser Darstellung ein abgerundetes Bild der
Beziehungen zwischen Römern und Germanen von dem ersten Zusammentreffen bis zur Bildung
germanischer Reiche auf dem Gebiet des römischen Imperiums und klärt damit wichtige
Voraussetzungen für das Verständnis der Spätantike. Der Schwerpunkt der Darstellung
liegt auf politischen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekten. Das Schlußkapitel verfolgt
die ideologischen Seiten der Thematik, besonders der Arminius-Gestalt, bis in die
Gegenwart.
Joachim Gruber,
Erlangen-München