Karl Leo Noethlichs: Die Juden im christlichen Imperium
Romanum (4.6. Jahrhundert). Berlin: Akademie Verlag 2001 (Studienbücher Geschichte
und Kultur der Alten Welt). 271 S. 3 Karten, zahlr. Abb. DM 38, 73. ISBN
305003431-9.
Um es gleich
eingangs zu sagen: Die im Vorwort ausgesprochene Absicht, mit einem übersichtlich und
verständlich geschriebenen Studienbuch eine Lücke im Verständnis für das
Altertum als Grundlage unserer europäischen geprägten Welt zu schließen und eine
Beitrag zu leisten, daß die Antike in der Gegenwart präsent bleibt, dies ist dem Autor rundum gelungen. Es gibt jedoch
für eine Bearbeitung der Thematik noch einen speziellen Grund: Vor kurzem hat der
Berliner Althistoriker E. Baltrusch (HZ 266, 1988, 23 ff.) nachzuweisen versucht, daß das in der Spätantike zur Staatsreligion
aufsteigende Christentum nichts mit einer Verschlechterung der Lage der Juden zu tun habe,
da sich die führenden Vertreter der Kirche im wesentlichen gegen die jüdische Religion,
ihre Ausbreitung und ihren Einfluß gewandt hätten, während die rechtlichen
Einschränkungen, z. B. die Abschaffung des Patriarchats, zu Beginn des 5. Jh. als
politische und administrative Probleme anzusehen seien. Gegen jene Sicht bringt der Verf.
eine große Zahl von Einzelbelegen bei, die doch recht klar zeigen, daß die christlichen
Literaten ihre judenfeindliche Gesinnung seit Konstantin auch politisch durchzusetzen
verstanden.
Das Buch ist
entsprechend der bisher erschienenen Studienbücher dreigeteilt: In eine Darstellung
(1798), einen Materialteil (99244) und einen Anhang (245271), der Karten
über die Verbreitung des Judentums im Römischen Reich, die politische Gliederung
Palästinas und die dortigen Synagogen, eine überlegt ausgewählte Arbeitsbibliographie,
ein Glossar sowie Indices der Rechtsquellen, Inschriften (warum nicht auch der übrigen
Quellen?), Namen und Sachen umfaßt.
Die Darstellung wird nach einigen Vorbemerkungen über
Ziele und Schwerpunkte eingeleitet mit einer Begründung
für die zeitliche Abgrenzung des Themas, die von Konstantin bis zur arabischen
Eroberung Jerusalems im J. 638 reicht (mit einem Ausblick bis zum 2 . Konzil von Nicaea
von 787). Freilich gilt jene weite Ausdehnung nur für den Osten, da im Westen mit
Valentinian III. (im J. 426) die Überlieferung versiegt. Natürlich könnte man fragen,
ob es nicht die Alternative gegeben hätte, auch im Osten früher zu schließen (etwa mit
Justinian I.) und den gewonnenen Raum mit einer größeren Anzahl von Quellen
aufzufüllen, zumal im Untertitel ohnehin das 6. Jh. als Endpunkt angegeben ist.
Anschließend wird in einem nach Kaisern gegliederten chronologischen Abschnitt zuerst ein
ereignisgeschichtlicher Überblick von Konstantin bis Leo III. geboten (leider ohne die
Gesetzgebung), dem ein systematischer Teil folgt. Dieser beschäftigt sich mit den
jüdischen Siedlungsgebieten in Jerusalem, Palästina und in der Diaspora (bis nach
Britannien), weiterhin mit der Gemeindeorganisation und dem Patriarchiat, der
Rechtstellung der Juden anhand der Kaisergesetze (Schutz des Individuums, religiöse und
wirtschaftliche Maßnahmen, Berufsbeschränkungern, Kuriatspflicht), dem christlichen
Judenbild in der Spätantike, insbesondere den theologischen Auseinandersetzungen, dem
(nicht ungünstigen) Bild der Juden in den nichtchristlichen Quellen (Porphyrius, Julian,
Libanius, Synesius, Rutilius Namatianus) und ausführlich
mit dem jüdischen Leben im Alltag (Gemeindestruktur, ökonomische Situation, Gräber
usw.). Den informativen Abschluß bildet ein Blick auf das spätantike Judentum im Spiegel
der archäologischen und künstlerischen Zeugnisse..
Der Materialteil mit den stets ins Deutsche
übersetzten Quellen gelegentlich hätte eine griechische oder lateinische Wendung
nichts geschadet bringt die wichtigen
Kaisergesetze (vorjustinianisch, justinianisch), Konzilsbestimmungen (ökumenisch,
regional, im Westen bis Mahon 583), Texte zur theologischen Auseinandersetzung zwischen
Christen und Juden (AT, NT, Patristik mit 7 längeren Belegen aus Joh. Chrysostomus Adversus
Iudaeos), jüdisches Schrifttum zur Spätantike (lediglich zwei Paraphrasen aus der Mosaicarum
et Romanarum legum collatio und aus der Epistula Annae ad Senecam), 10
ausgewählte jüdische Inschriften vom 3. bis zum 7. Jh. (aus Rom, Neapel, Spanien,
Griechenland, Kleinasien, bes. Aphrodisias, Tunis, mit weitgehend gleichem Formular wie
bei den Christen), Zeugnisse zum Miteinander von Juden und Christen (zumeist war es ein
Gegeneinander) und schließlich Zeugnisse der Archäologie (Synagogen, Sarkophage,
Gläser, Tonlampen, christliche Adaptionen, wie z. B. das bekannte Wandmosaik von Santa
Sabina in Rom mit der Juden- und der Heidenkirche). Zur Auswahl der literarischen Texte
könnte man kritisch vermerken, daß auch umstrittene Belege einbezogen wurden, z.B. der
Brief Julians an die jüdischen Gemeinden (Soz. hist. eccl. 5, 22), die zwar besonders
gekennzeichnet sind, deren Problematik aber nicht weiter erörtert wird.
Mit besonderer
Aufmerksamkeit liest man natürlich die wenigen Seiten Zusammenfassung und
Ausblick, wo es zu Recht heißt, daß
sich die Situation der Juden als einer privilegierten Volks- und Glaubensgemeinsachaft im
christlichen Imperium zunächst nicht verschlechterte, allerdings habe die Zunahme der
bürgerlichen Rechte und Ehren (entscheidend das Gesetz Konstantins vom J. 321: Juden können Kurienmitglieder werden) zugleich eine finanzielle Mehrbelastung bedeutet
(allerdings auch für alle übrigen Reichsbewohner). Freilich entfielen solche
Begünstigungen seit Justinian, während die Belastungen sich nicht änderten (gewiß auch
für die Häretiker), so daß man nach Ansicht von N. ein politisches Wirken lediglich in
einem Zeitraum von gut 100 Jahren möglich war (bis zu Theodosius II.). Aber trotzdem habe
die christliche Spätantike den Grundstein gelegt für den vielfachen staatlichen
Schutz der europäischen Juden. (NB: Sollte man hier doch nicht etwas
differenzieren?). Eine nachhaltige, wenn auch
mehr indirekt wirkende Gefahr sei von der christlichen Theologie ausgegangen, die in einer
rechten, oft willkürlich allegorisch zurechtgebogenen Schriftauslegung die
Juden von der eigenen Überlegenheit zu überzeugen versuchte, wenn auch mit geringem
Erfolg. Auch mit gelegentlichen Zwangstaufen sei man nicht zum Erfolg gekommen, so daß
man mehr durch gesellschaftliche Trennnung und eine lange theologische Diffamierung und
Diskriminierung (Juden als Gottesmörder usw.) mit historischer Untermauerung (Zerstörung
des Tempels durch Titus und mißglückter Wiederaufbau unter Julian, Knechtung durch die
Römer) die Konversion zu erreichen suchte. So sei ein Feindbild aufgebaut worden, das
sich in Krisenzeiten aktivieren ließ und furchtbare Folgen in Europa nach sich gezogen
habe. Freilich sollte man hier nicht verschweigen, daß der Antisemitismus keine
christliche Erfindung ist (vgl. jetzt wieder Z. Yavetz: Judenfeindschaft in der Antike,
München 1997). Gut herausgearbeitet wird von N. die häufig zu kurz kommende Tatsache,
daß die Juden damals keineswegs immer nur hilflos der christlichen Gesellschaft
ausgeliefert waren, sondern bei den zahlreichen Reibereien sehr wohl ihre Rechte
einforderten und zu Racheakten gegen die Christen fähig waren (am deutlichsten faßbar
bei der persischen Eroberung Jerusalems im J. 614 mit Christenpogromen und
Zwangsjudaisierung). Angesichts der Vitalität der Juden (selbstbewußt, lebensfroh, rege
Teilnahme am städtischen Leben, harte Geschäftsleute, unnachsichtige Gläubiger,
liturgische Konkurrenz zur Kirche) lautet das abschließende Urteil von N., daß die
mehrheitliche christliche Judentheologie und die Realität des Lebens sich nicht deckten. Dies aber habe die Lage
der Juden instabil und unberechenbar gemacht.
Am Schluß sei es gestattet, einige persönliche Beobachtungen anzufügen. Man wundert sich, daß Augustinus nur am Rande erwähnt wird (S. 78 bei den positiven christlichen Äußerungen), obwohl er in seinem Tractatus adversus Iudaeos doch ausführlich von der Verworfenheit der Juden wegen ihrer Sünden spricht (vgl. B. Blumenkranz: Die Judenpredigt Augustins, Paris 1973, 164 ff.). Auch die persönlichen Auseinandersetzungen des Bischofs von Hippo mit den selbstbewußt auftretenden Juden seiner Gemeinde sollte man hier nicht außer acht lassen. Schließlich ist daran zu erinnern, daß von dem jüdischen Schrifttum der Spätantike so gut wie nichts erhalten ist, sonst wüßte man z. B. mehr von dem Christenfluch in den Gottesdiensten u.a., und manche Auseinandersetzung mit den Christen würde u.U. leichter erklärbar. Gerne hätte man auch ein eigenes Sklavenkapitel gesehen, wie es z.B. vor einiger Zeit G. d. Bonfils entworfen hat (Gli schiavi degli ebrei nella legislazione del IV. secolo. Storia di un divieto, Bari 1992). Dort ist z. B. nachzulesen, daß für die verschärften Gesetze des Kaisers Constantius II. gegen den Besitz christlicher Sklaven (in der Gliederung von N. steht fälschlicherweise Constantius I.) vor allem wirtschaftliche Aspekte als Erklärung heranzuziehen seien, so die Unterbindung des jüdischen Sklavenhandels im Osten, und eine energische Verhinderung jüdischen Proselytenstrebens. Auch das Problem der Mischehen als Reibungspunkt hätte angesprochen werden sollen (Cod. Theod. III 7,2). Weiterhin: Bei der Entwicklung der Palästinawallfahrt seit Konstantin ist sowohl ideologisch (Eusebius: Ablösung des alten Jerusalem durch die neue christliche Gottesstadt) wie auch politisch (Palästina jetzt ein christliches Land) eine unübersehbare Konkurrenzsituation festzustellen (vgl. G. Stemberger: Juden und Christen im Heiligen Land. Palästina unter Konstantin und Theodosius, München 1987, 60). Bei den Katakomben hätte man kurz eingehen können auf die Frage nach der gegenseitigen Abhängigkeit bzw. dem Alter der jeweiligen Formen, wie dies diskutiert wird etwa bei der erst 1955 entdeckten Katakombe an der Via Latina in Rom mit der unterschiedlichen Typologie des alttestamentlichen Bildprogramms (vgl. dazu z.B. C. Andresen: Einführung in die christliche Archäologie, in: Die Kirche in ihrer Geschichte. Ein Handbuch, Bd. 1, Göttingen 1971, B 84).
Aber ungeachtet dieser kurzen Bemerkungen: Was vorliegt, ist ein informatives Buch, das seinen Zweck im Rahmen der genannten Reihe voll erfüllt. Möge der Wunsch des Verf. in Erfüllung gehen, daß es neues Interesse und vielleicht Eigeninitiative zu weiterem Studium weckt (29).
Reichard Klein,
Wendelstein