Raban von Haehling (Hrsg.): Rom und das himmlische Jerusalem. Die frühen Christen zwischen Anpassung und Ablehnung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000, XII, 308 S. DM 98,-. ISBN 3-534-14592-5
Erste Ergebnisse des von R. von Haehling in
Aachen geleiteten Forschungsprojekts Kirche Staat Gesellschaft
in vorkonstantinischer Zeit legt ein Sammelband mit elf Aufsätzen von
Althistorikern und Theologen vor, die, hervorgegangen aus Vorträgen im Rahmen des
Projekts, an unterschiedlichen Beispielen das Verhältnis von Christen vor Konstantin zu
Kaiser und Gesellschaft, zum nichtchristlichen Staat erörtern, wie es im Titel in die
griffige Gegenüberstellung von Rom und heiligem Jerusalem gefaßt ist. Die Christen waren
gezwungen, in der scheinbaren Antinomie von Diesseits und Jenseits, wie sie
sie im täglichen Leben erfuhren, ihre je eigene Haltung zum römischen Staat zu finden,
und hier gibt es einerseits durchlaufende Grundstrukturen, die den Gegensatz betonen,
andererseits je nach Zeit und Situation unterschiedliche Bemühungen, durch Maßnahmen,
die von Abgrenzung bis Harmonisierung reichen, das eigene Verhältnis zum römischen Staat
zu definieren, der seinerseits auch auf christliche Anschauungen Einfluß genommen hat.
In der Gesamtschau der in den Beiträgen angesprochenen Themen ergibt sich ein
innerer Zusammenhang, den von Haehling in die Leitfrage faßt, welche Positionen die
christlichen Autoritäten hinsichtlich des situationsbedingten Verhaltens der Gläubigen
zu Kaiser und Gesellschaft vertraten und wie sie diese Stellungnahme gegenüber der
heidnischen Gegenseite begründeten (IX). Damit wird das Konfliktpotential der
christlichen Kirche und ihrer Träger mit dem heidnischen Staat ausgelotet.
J. Lehnen (Zwischen Abkehr und Hinwendung.
Äußerungen christlicher Autoren des 2. und 3. Jahrhunderts zu Staat und Herrscher, 1-28)
sieht die Loyalität des Christen zum Staat, wie sie im Römerbrief zum Ausdruck kommt,
überlagert von der zu seinem Gott, daher geteilt und von einer eigenartigen Dialektik
getragen. In Anlehnung an die jüngere Forschung vorwiegend der 90er Jahre bespricht er
wesentliche Quellenbelege zur Bestimmung des Verhältnisses der Christen zum Staat: ihren
Widerstand gegen den Kaiserkult, in dem sich die römische Einheit von Politik und
Religion manifestiert, so daß die Christen Mühe hatten, ihre Loyalität zum Staat zu
erklären, z. B. durch das Gebet für den Kaiser, doch immer unter der Voraussetzung einer
Trennung von Politik und Religion. Zur Hinwendung der Christen zum Staat trägt auch ihre
Auffassung von der Notwendigkeit der Existenz der Römischen Reiches für die Verbreitung
des Christentums bei.
Unter der Voraussetzung, daß die
Evangelien, philologisch betrachtet, Biographien sind, in denen atl. biographisches
Erzählen und antike Biographieliteratur (30) kombiniert sind, vergleicht D.
Dormeyer Plutarchs Cäsar und die erste Evangeliumsbiographie des Markus
(28-52) und stellt trotz mancher Unähnlichkeiten (Stil, Erzählhaltung,
Charakteraussagen) gleiche Strukturmerkmale wie den dreiteiligen Aufbau in Zeit vor dem
öffentlichen Auftreten, öffentliches Wirken und Tod bei hellenistischen Herrscher- und
Philosophenbiographien und Evangelien fest. In diese gattungsbedingten Gemeinsamkeiten
fügt sich eine gewisse Vergleichbarkeit der Lebenswege ihrer Hauptpersonen, für die er
Belege auch aus anderen Plutarch-Viten und der Geschichte der biographischen Gattung
sammelt. D. sieht den Sinn der Anwendung des biographischen Schemas der hellenistischen
Philosophen- und Herrscherbiographie im Parallelismus zwischen der Botschaft der Caesaren,
die die Philosophie dem politischen Machtkalkül unterordnen, und des Jesus Christus, der
die Umkehrung dieser Rangfolge verkündet und damit ein dem Kaisertum überlegenes
Zukunftsmodell anbietet.
K. L. Noethlichs stellt aus althistorischer Sicht noch einmal die Argumente im Zusammenhang mit der Frage nach dem tarsischen und dem römischen Bürgerrecht des Apostels Paulus zusammen (53-84). Gründe, am römischen Bürgerrecht des Paulus zu zweifeln, ergeben sich aus verschiedenen Strafen, mit denen Paulus belegt wurde, und aus der Tatsache der Überlieferung allein in der Apostelgeschichte; die Widersprüche im Paulusbild der Quellen tun ein übriges. N. erörtert die Rechtslage und sieht in den Belegen für das nur in Selbstaussagen vorkommende römische Bürgerrecht des Paulus in der Apostelgeschichte (16, 37f.; 22,25-29) kein Zeugnis und kein Ereignis, das die Möglichkeit des römischen Bürgerrechts für Paulus absolut unmöglich machen würde (80), auch wenn sich keine Gewißheit erzielen läßt und die entsprechenden Aussagen eine bestimmte Kompositionsabsicht des Verfassers der Apostelgeschichte belegen.
An einigen Beispielen aus den Apokryphen
zum Neuen Testament weist C. Bussmann [Josef, der Freund des Pilatus und des
Herrn (Petrus-Evangelium 2). Ein Blick auf das Verhältnis Ecclesia Imperium
in den sogenannten Apokryphen zum Neuen Testament, 85-96] mentalitätsgeschichtlich
interessante Beobachtungen auf: Die Tendenz, mit zunehmendem Zeitabstand Pontius Pilatus
mehr und mehr aus der Verantwortung für Jesu Tod zu entlassen und den Juden die Schuld
zuzuschieben, läßt eine geistige Annäherung an das imperium und Abwendung
vom Judentum (91) erkennen. Die christlichen Kreise, die hinter diesen apokryphen
Schriften vermutet werden, stehen insofern auf derselben Linie wie andere frühchristliche
Literatur aus vorkonstantinischer Zeit.
Die Nachrichten von Christen, die mit der
Absicht auf einen Märtyrertod sich selber den staatlichen Stellen auslieferten, ordnet A.
R. Birley überblicksartig in das Meinungsspektrum von zeitgenössischen Christen und
Nichtchristen ein (97-123). In Auseinandersetzung mit G. W. Bowersock, Martyrdom and Rome,
Cambridge 1995, der im Gegensatz zu Birley in der Verweigerung des Kaiseropfers statt des
Götteropfers die Hauptursache für die Verurteilungen der Christen sieht, und anderer
überwiegend englischsprachiger Literatur geht er auf Belege zum Thema der
Selbstauslieferung bei Ignatius von Antiochien, das Verhalten der Montanisten und
Donatisten und nichtchristliche Zeugnisse (Lukian, Celsus, Mark Aurel), kritische und
positive Stimmen aus dem christlichen Lager ein. Die Zeugnisse machen das Fazit plausibel,
die mittels Provokationen der Heiden durch Christen geförderte Selbstauslieferung habe
wohl wesentlich zu einem Zuwachs der Christenprozesse beigetragen (121).
Anhand von Belegen aus dem 1. bis 3.
Jahrhundert stellt K. Rosen (Von der Torheit für die Heiden zur wahren Philosophie.
Soziale und geistige Voraussetzungen der christlichen Apologetik des 2. Jahrhunderts,
124-151) den Wandel im Verhältnis des Christentums zur griechischen Philosophie dar, der
viel über Selbstauffassung und Durchsetzungsstrategien der Christen aussagt. Waren die
ersten öffentlichen Auftritte der Christen (Paulus) und die unmittelbare Folgezeit noch
um scharfe Abgrenzung christlicher und heidnischer Weisheit bemüht, wollten die
Apologeten im Laufe des 2. Jahrhunderts ihren Glauben als die wahre Philosophie erscheinen
lassen. Sie stellten nun das Christentum in eine Linie mit der im Ansehen gestiegenen
Philosophie und ihren im Wahrheitsanspruch miteinander konkurrierenden Schulen, um mit dem
philosophischen Anspruch in Bildungskreisen Gehör und bei
Entscheidungsträgern Toleranz zu finden. Die Hoffnung, einen Teil der ethische und
moralische Orientierung in einer philosophischen Richtung Suchenden zum Christentum zu
führen, ging aber einher mit dem Risiko einer Relativierung des Christentums, dessen
Wahrheitsanspruch es letztlich doch zur Trennung von der Philosophie führte und dieser so
Anstöße zur Untersuchung der eigenen Grundlagen lieferte.
W. Kinzig (Überlegungen zum Sitz im Leben
der Gattung Pros Hellenas / Ad nationes, 152-183) sondert aus dem apologetischen
Schrifttum im engeren Sinne, den Petitionen zur Gewährung von Rechtssicherheit für die
Christen, die ab ca. 150 n. Chr. aufkommenden Werke mit dem Titel Pros Hellenas / Ad
nationes ab, die er in Anlehnung an Euseb als elegchoi bezeichnet. Er sieht in den nach
antiken Rhetorikregeln der Abgrenzung der eigenen Richtung von anderen dienenden
pros-Schriften Arbeiten, mit denen konversionswillige Philosophen und Rhetoren, ein
aufgrund seiner Ausbildung und Arbeit dem paganen Bereich verpflichteter Kreis, im
Katechumenenunterricht ihr neues Bekenntnis rechtfertigten. Justin, Tatian, Apollinaris,
Tertullian und andere konnten auf diese Weise die Trennung von ihrem alten Glauben
dokumentieren, wozu das Unfertige dieser Schriften gut paßt, da sie der
Dokumentation des Sinneswandels, nicht der Propaganda nach außen dienten.
Am Werk der drei aus Afrika stammenden
frühchristlichen Autoren Tertullian, Minucius Felix und Arnobius untersucht R. von
Haehling (Die römische Frühzeit in der Sicht frühchristlicher Autoren, 184-204), wie
die frühe römische Geschichte und der mos maiorum als Norm für politisches
und religiöses Handeln (185) von Christen bewertet wird. Im Apologeticum
Tertullians, das sich ja dezidiert an Nichtchristen wendet, fehlen polemische Angriffe,
ist vielmehr ein gewisser Respekt spürbar, während in der sich an die Christen
richtenden Schrift De spectaculis von dieser Rücksicht nichts zu merken ist.
Minucius Felix stellt in seinem Dialog Octavius Negativbeispiele aus der römischen
Frühzeit zusammen (Asyl, Brudermord des Romulus, Raub der Sabinerinnen), um gegen
die Instrumentalisierung der religio als Erklärungsmuster für den Aufstieg Roms
zur Weltmacht (193) zu argumentieren. Arnobius geht es bei seinem Urteil über die
römische Frühzeit um den Nachweis, aus dem Alter einer Religion keine Aussage über
ihren Wahrheitsgehalt zuzulassen, um auf der Grundlage einer staatsbejahenden Einstellung
Akzeptanz für die christlichen Neuerungen der jüngeren Vergangenheit zu schaffen. Alle
Autoren setzen das Thema der römischen Frühzeit als Kontrast zur Gegenwart für ihre
jeweiligen apologetischen Absichten ein.
Ausgehend von der Existenz eines positiven
und eines negativen Augustus-Bildes im Neuen Testament (Lukas-Evangelium
Apokalypse) entfaltet R. Klein die hier angelegten Entwicklungslinien des Augustus-Bildes
der christlichen Literatur der ersten drei Jahrhunderte, an dem man ablesen kann, in
welchen Stufen sich unter dem Eindruck der jeweils aktuellen Lage das Verhältnis der
Christen zum Römischen Reich entwickelte (205-236). Um die Situation der Christen zu
verbessern, stellten die Apologeten sie als besonders loyale Untertanen des Kaisers dar.
Diese Tendenzen kulminieren im Augustus-Bild des Origenes, der in der Auseinandersetzung
mit Celsus an ein christlich gewordenes Friedensreich unter einem römischen
Basileus (220) denkt und so Augustus einen festen Platz in Gottes Heilsplan zuweist,
der durch die Erringung der Alleinherrschaft und die Wiederherstellung des Friedens die
Voraussetzungen für die Ausbreitung des Christentums geschaffen hat. Der Adaption der
Kaiseridee durch das Christentum steht die andere Entwicklungslinie entgegen: Irenäus von
Lyon und Hippolyt von Rom etwa binden Augustus in ihre Ablehnung und Abwertung des
Weltlichen ein, wodurch die Trennung zwischen civitas terrena und civitas
caelestis durch Augustinus präfiguriert zu sein scheint. Mit der Konstantinischen
Wende aber liegt zunächst die Anknüpfung an Origenes nahe. Eusebius von Caesarea sieht
daher in seiner Gegenwart die unter Augustus begonnene Entwicklung der Verbindung von
Christentum und römischem Staat verwirklicht und ersetzt so die eschatologische
Sichtweise durch eine politische, gegenwartsorientierte.
Am Beispiel des 130 n. Chr. auf der
Ägyptenreise Kaiser Hadrians im Nil unter nicht geklärten Umständen ertrunkenen
Antinoos, seiner Vergöttlichung und vom Kaiser geförderten Verehrung stellt P. Nadig die
Phasen der an dem Verhältnis Hadrians zu Antinoos ansetzenden Kritik christlicher Autoren
am Polytheismus vor (237-256). Die christlichen Kritiker wagen es in den ersten hundert
Jahren nach Hadrian nicht, ihn im Zusammenhang mit Antinoos beim Namen zu nennen, und
verwenden statt dessen analog das Verhältnis Zeus Ganymed, um die moralischen
Mängel heidnischer Götter und die Unzulänglichkeiten des Polytheismus herauszustellen.
Mit der Schrift Contra Celsum hebt Origenes diese Auseinandersetzung auf eine neue
Stufe: Er nennt erstmals Hadrian beim Namen und wendet sich gegen die Parallelisierung des
Antinoos mit Jesus (Opfertod, Auferstehung). Auf diese Weise distanzieren sich die
Christen indirekt deutlich vom Kaiserkult.
J. Rist stellt mit Cyprian von Karthago und
Paul von Samosata zwei Beispiele für das Selbstverständnis des Bischofsamts im 3.
Jahrhundert vor (257-286). Cyprians Schriften bieten reichlich Anhaltspunkte für seine
Auffassung von Bischofsamt, in dem sich die Einheit der Kirche spiegelt und das als
gemeindlicher Ordnungsfaktor (265) der Repräsentanz dient. In Anlehnung an A.
Beck sieht Rist Cyprians Selbstverständnis als inspiriert von der Amtsgewalt des
weltlichen Oberbeamten, mit dem ihn Herkommen, Bildung und Vermögen, also sein
ständisches Bewußtsein verbindet, was er im Umgang mit seinesgleichen bis zu Verhaftung
und Tod auszuspielen vermag. Paul von Samosata dagegen ist ein Beispiel für den homo
novus, dessen menschliche Unzulänglichkeiten, theologische und politische Fehler ihn
scheitern lassen. Sein auf äußeres Repräsentationsbedürfnis ausgerichtetes
Amtsverständnis als Bischof von Antiochia sucht die parallele Rangstellung zu den
höheren Beamten der zivilen Administration (282) und schafft dadurch
Angriffsflächen, die letztlich zu seinem Sturz beitragen, auch wenn dieses Bild durch
seine Häresie verzeichnet sein mag.
Dieser Aufsatzband versammelt exemplarische
Belege für die Suche der Christen nach einem Verhältnis zu dem Staat, dem sie politisch
angehörten, aus der Zeit, bevor der Kaiser ihr Protagonist wurde. Im Absolutheitsanspruch
des Christentums lag ein dauerndes Konfliktpotential mit dem römischen Staat und der
Gesellschaft, das sich nach der Konstantinischen Wende zunehmend gegen die konkurrierenden
polytheistischen Glaubensvorstellungen richtete. Die ersten drei Jahrhunderte boten
Konflikte in reicher Zahl und auch innerhalb des so homogen wirkenden Christentums zu
verschiedenen Zeiten unterschiedliche Antworten, die zwischen Abkehr und Hinwendung
changierten und die Christen hin- und hergerissen zeigten. Davon künden gerade
längsschnittlich angelegte Arbeiten wie die von K. Rosen, R. von Haehling, R. Klein und
P. Nadig. Von den unterschiedlichsten Ausgangspunkten aus dienen die Beiträge dem Ziel,
die Dialektik des Beziehungsgeflechts der Christen zu ihrem Staat und zu ihrem Gott in der
Zeit vor Konstantin zu erläutern und dabei in die mehr oder minder offene christliche
Standortbestimmung auch literaturwissenschaftliche Fragestellungen als Gradmesser für die
geistige Positionierung einzubeziehen. Die Beiträge liefern das lebendige, facettenreiche
Bild einer nicht abgeschlossenen Selbstvergewisserung.
Ulrich Lambrecht, Bornheim-Sechtem