Sophie Guex: Ps.-Claudien, Laus Herculis. Introduction, texte, traduction et commentaire. Bern usw. (Peter Lang) 2000. Sapheneia. Beiträge zur Klassischen Philologie  4. 244 S. DM 85,-- ISSN 1421-7899

 

Die Claudian-Philologie hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Keinen geringen Anteil haben daran eine Reihe von wertvollen Kommentaren zu einzelnen Gedichten. In diese Reihe stellt sich die kommentierte Ausgabe der in der Appendix zu den Gedichten Claudians überlieferten Laus Herculis. Das ist umso mehr zu begrüßen, als bislang kommentierende Einzeluntersuchungen zu dieser Gedichtgruppe weitgehend fehlen. Neben der eingehenden Kommentierung ist die Klärung der Echtheitsfrage Ziel der Arbeit, die im Rahmen der von Frau Billerbeck an der Universität Fribourg betriebenen Forschungen zu den Tragödien Senecas entstanden ist. Somit war gerade der Einfluß des Hercules furens auf den ps.-claudianischen Text von Interesse.

 

 Gerühmt werden in dem Gedicht in 137 Hexametern vier Taten des Herakles: Die Erwürgung der Schlangen nach der Geburt, die Tötung des Nemeischen Löwen, der Erymanthische Eber und die Begegnung mit dem Kretischen Stier. Der Text selbst ist nur in einer einzigen Handschrift, dem Codex Veronensis 163 aus dem 8. Jh., überliefert.

 

 Die umfangreiche Introduction (13–89) hat zwei Ziele: den Text in seinen literarischen Kontext zu stellen und die sprachlichen, stilistischen, metrischen und prosodischen Chrakteristika zu analysieren. Das 1. Kapitel befaßt sich zunächst mit dem Text als Elogium, denn obwohl man beim Preis eines Gottes traditionsgemäß einen Hymnus erwartet, zeigt die Laus Herculis lediglich in den auf den Prolog folgenden Versen typisch hymnische Elemente (14 Anm. 2). Insgesamt steht der Text einerseits in der Tradition der rhetorischen Panegyrik und damit der Rhetorenschule, in deren Progymnasmata das Elogium als Vorübung für die Deklamation gepflegt wurde, andererseits in der des poetischen Elogiums (15). Allerdings hat sich von den Herkules-Elogien außer der hier kommentierten Laus Herculis nur noch ein Prosastück des Aelius Aristides (or. 40) erhalten. Die Struktur des Gedichts folgt, abgesehen vom fehlenden Epilog, den Regeln des Menander: Proömium (V. 1–20, darin V. 10/11 Genos), Genesis (V. 21–59), Synkrisis (V. 60–64), Anatrophe (V. 65–74), Praxeis  (V. 75–137). Dabei zeigt sich, daß der Aufbau des Proömiums mit seiner doppelten Struktur von den Beispielen bei Claudian abweicht (20). Die Anatrophe, gestaltet nach dem Vorbild der Heldenerziehung aber ohne ausdrücklich genannten Erzieher, gehört zur Textsorte des Personenlobs.

 

 Diese Beobachtungen zur Struktur werden vertieft durch eine Analyse des Inhalts unter dem Aspekt der Auxesis gegenüber früheren Darstellungen (24–29). Unter den literarischen Vorbildern stehen in sprachlicher Hinsicht, wie bei einem Autor dieser Zeit nicht anders zu erwarten, Vergil an erster Stelle, gefolgt von Ovid, Seneca und Statius (30). Stofflich sind zunächst die Darstellungen bei Ovid (Geburt des Herkules met. 9,285–301) und bei Seneca (Hercules furens) relevant. Griechische Vorbilder sind wohl auszuschließen (34). Während die Abhängigkeiten von Ovid und Seneca sprachlich und inhaltlich nicht anzuzweifeln sind, überzeugen die zu Claudian hergestellten Beziehungen kaum. Denn ob man eine Parallele der Hexameteranfänge V. 10 Alcides mihi carmen erit mit Claud. 27 (sic, nicht 7),17 Enceladus mihi carmen erit in Hinblick auf die schon von Dewar (Oxford 1996) zu 27,17 zitierten Aetna-Stelle (1ff. Aetna mihi ... carmen erit — die Stelle fehlt im Kommentar zu V. 10, erscheint aber 49 Anm. 170) wirklich als „une réminiscence métrique patentente“ bezeichnen darf, sei dahingestellt. Daraus einen Terminus post quem für die Datierung des Gedichts abzuleiten (67), erscheint demnach bedenklich, nicht zuletzt angesichts der Verluste klassischer und nachklassischer Poesie. Auch bei der Darstellung der abhärtenden Erziehung (V. 66–68) müssen nicht unbedingt Claudians thematisch verwandte Formulierungen über die Erziehung des Honorius (7,40–43) unmittelbares Vorbild gewesen sein. Als Ergebnis dieses Abschnittes kann festgehalten werden, daß der Autor, im Gegensatz zu Claudian, sich gewöhnlich sehr eng an seine Vorbilder anschließt, die Regeln des Menander einhält und lediglich in rhetorischen Variationen und poetischen Amplifikationen freier ist (40).

 

 Der zweite Hauptteil der Einleitung beschäftigt sich mit Sprache, Stil und Metrik. Sprachlich steht der Autor in der Tradition der klassischen und nachklassischen Dichtersprache (41). Die beiden Hapax (V. 5 Hippocreneus, V. 97 flavicomus) bewegen sich im Rahmen der üblichen Neubildungen, ebenso die selteneren Komposita praegelidus (V. 68) und das zuerst bei Claudian (7,196) belegte ignifluus (V. 127; 137). Auch die Syntax zeigt kaum Auffälligkeiten. Ein besonderer Abschnitt ist dabei dem Einfluß Claudians gewidmet (48–51), in dem die „traits linguistiques inspirés de Claudien“ auf teilweise schon vorher Erwähntes zurückgreifen, während dagegen eine ganze Reihe von Formulierungen im Werk Claudians nicht vorkommt (49–51). In stilistischer Hinsicht ist mit Fortschreiten des Werkes ein Nachlassen der schriftstellerischen Bemühungen erkennbar. Die Unvollendung scheint daher damit begründbar (52f.), daß der Autor das Interesse an seinem Stoff verlor, wie schon Hall in seiner Ausgabe feststellte (Leipzig 1985, 416 taedio superatum vel potius ingenio destitutum). Im einzelnen stehen die Szenen, wie auch bei Claudian, teilweise recht unverbunden nebeneinander (54), die Darstellung der Taten des Herkules zeigt Schwächen in einer gewissen Monotonie der Wortwiederholungen (55). Im Gegensatz zu Claudian, dessen Fähigkeit zur Visualisierung immer wieder bemerkt wurde, beschränkt sich der Autor der Laus Herculis eher auf eine Darlegung seiner Vorstellungen als auf eine Beschreibung (58f.). Die Metrik des Gedichts entspricht den klassischen Gesetzen; auffallend ist die hohe Anzahl von Elisionen. Unsicherheiten und Lizenzen zeigen sich dagegen in der Prosodie.

 

 Der letzte Teil der Einleitung beschäftigt sich mit der Frage der Zuweisung an Claudian, der Überlieferung und der Forschungsgeschichte zu diesem Gedicht. Die Bewertung als ein Jugendwerk Claudians, zuletzt von Hall verfochten, vertretbar aufgrund der etwas schülerhaften Komposition und der Schwächen der Diktion in Stil und Prosodie, wird wohl zu Recht aufgegeben angesichts des Unterschieds in der poetische Technik, nämlich des Mangels an deskriptiver Fähigkeit zur Visualisierung, die sich bei Claudian schon in dem Jugendgedicht der Gigantomachie zeigt (65).

 

 Eine Datierung des Gedichts ist natürlich nur annäherungsweise möglich. Die Sprache weist in die Spätantike. Ob allerdings die angenommene Imitation von Claudian 27,17 für einenTerminus post quem ausreicht, darf nach dem oben Gesagten bezweifelt werden. Auch der Vergleich von V. 33 tristis Tartarea vibratur sibilus aura mit Dracont. Romul. 4, 23 (dracones) sibila vibrabant linguis sub dente trisulcis vermag angesichts der 68 Anm. 263 zitierten Junktur Sil. 3, 185f. vibrata per auras exterrent saevis a tergo sibila linguis kaum den Beweis für einen Terminus ante quem zu liefern, da Dracontius offenbar dem in der Spätantike noch gelesenen Silius näherkommt, wenn man denn bei der Formulierung verwandter Sachverhalte den einzelnen Autoren schon nicht die Fähigkeit zutraut, eigenständige Lösungen zu finden.  In das claudianische Corpus gelangte das Gedicht wohl auf dem Umweg über eine Sammlung der Camina minora (70). Eine ausführliche Darstellung der Forschung zu diesem Gedicht von den ersten Claudian-Ausgaben an (71–89) beschließt die Einleitung.

 

 Vorbild für die Textgestaltung ist die Ausgabe von Hall, wobei der Rez. die Kleinschreibung der Satzanfänge nicht unbedingt als hilfreich empfindet. Der Text wird konstituiert aus dem Codex Veronensis und der Ausgabe von Camers (Wien 1510), dessen verlorener vetustissimus codex vermutlich eine eigenständige Überlieferung bot. Erfreulich ist, daß die Verf. an offensichtlich verderbten Stellen nicht unbedingt zu einer Lösung zu kommen versucht, sondern das Problem durch das Setzen der Cruces deutlich signalisiert (V. 3, 59, 80). Die französische Übersetzung bleibt, soweit das der Rez. zu beurteilen vermag, auch im Satzverlauf eng am lateinischen Text.

 

 Der Lemmata-Kommentar bietet sprachlich und inhaltlich alle erwünschten Informationen und wird zusätzlich durch Indices vocabulorum, nominum, rerum notabilium, locorum vorbildlich erschlossen. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis beschließt diese sorgfältige philologische Arbeit. Angesichts der Tatsache, daß ausführliche Kommentare zu einzelnen Werken der spätantiken Literatur immer noch eher selten sind, stellt sich allerdings am Ende die Frage, ob die aufgewandte Mühe einem doch zweitklassigen Werk zugute kommen mußte.

 

Joachim Gruber, Erlangen-München