Stefan Freund: Vergil im frühen Christentum. Untersuchungen zu den Vergilzitaten bei Tertullian, Minucius Felix, Novatian, Cyprian und Arnobius. Paderborn usw. (Ferdinand Schöningh) 2000. Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums N.F., 1. Reihe Bd. 16. 430 S. DM 28,-- ISBN 3-506-79066-8

 

Die überarbeitete Eichstätter Dissertation, angeregt von Hans Jürgen Tschiedel,  zeichnet anhand der Untersuchung von etwa 200 Vergilzitaten bei den frühchristlichen Apologeten von Tertullian bis Arnobius den „Beginn der Wirkungsgeschichte Vergils im Christentum“ (11) nach.  Selbstverständlich haben sich Editoren und Kommentatoren seit jeher um den Nachweis der Benützung einzelner Dichter bei den genannten Autoren bemüht. Jedoch geschah das in aller Regel durch die Nennung in Similienapparaten oder in eher schlichten Auflistungen.  Eine auch methodisch fundierte Untersuchung fehlte bislang nicht nur für Vergil. Wo sich die Forschung stärker um den Einfluß dieses Klassikers auf die patristische  Literatur bemühte, standen Autoren der Spätantike im Vordergrund des Interesses. Im 4. und 5. Jh. war aber jener Entwicklungprozeß der „Inkulturation des Christentums“ (19) schon weitgehend abgeschlossen, dessen Anfänge in der vorliegenden Arbeit mit Umsicht und Akribie aufgezeigt werden.

 

Sorgfältig dokumentiert wird zunächst das Bild Vergils als „Repräsentant paganer Kultur“ (14) skizziert, wobei vier Aspekte herausgestellt werden: der Schulklassiker, der Nationaldichter, der Theologe und der Poet. Diese Aspekte leiten dann auch die Untersuchungen zu den einzelnen Autoren.

 

In seinen „Vorüberlegungen zur Methodik“ (19–28) zeigt sich der Verf. vertraut mit der literaturtheoretischen Diskussion um das Ziat als ein Phänomen der Intertextualität.  Bemerkenswert ist jedoch, daß für den weiteren Verlauf der Untersuchung zwar eine methodische Grundstruktur gewonnen wird (Stichworte Prätext, Zitatsegment und seine Markierung, Folgetext), die sich bei der Einzelinterpretation durchaus bewährt,  daß aber erfreulicherweise das v.a. S. 25 ff. aufgeführte theoretische Begriffsinstrumentarium in der Regel sehr umsichtig und zurückhaltend bemüht wird, nicht zuletzt wohl auch deswegen, weil die besprochenen Zitate überwiegend der Kategorie des sog. Schmuckzitats zuzurechnen sind (28).

 

Der Hauptteil ist chronologisch aufgebaut. Bei den einzelnen Autoren wird jeweils in einem ersten Abschnitt zunächst die Forschungslage dokumentiert. Dabei zeigt sich der Verf. aufs beste vertraut mit der neuesten Forschungsliteratur. Er erweist damit gerade auch dem Benützer, der einen ersten Zugang zu den lateinischen Apologeten sucht, einen äußerst nützlichen Dienst.

 

Ein zweiter Abschnitt bespricht die Vergilzitate in den einzelnen Schriften in der Reihenfolge ihres Vorkommens. Das Material hat der Verf. aus vorliegenden Similienapparaten, Kommentaren, Indices und Konkordanzen gewonnen; auf die Suche nach weiteren bisher unentdeckten Zitaten wurde verzichtet (23 Anm. 1). Da die besprochenen Autoren Vergil oder seine Werke nicht oder nur selten direkt nennen, sind die Zitate, soweit nicht ganze Verse oder Versteile wörtlich zitiert sind, nur in der Form poetischer Junkturen erkennbar, die mehr oder weniger verändert in den Prosatext eingebunden sind. Dabei gibt es jedoch immer wieder Fälle, in denen eine Junktur aufgrund des erhaltenen Textmaterials auf Vergil zurückgeführt werden kann, aber eben diese Junktur auch in der nachvergilischen Dichtersprache erscheint und somit zum festen Bestandteil des nachaugusteischen color poeticus wurde. Der Verf. hat solche Fälle in dem „Index zu den Vergilzitaten“ (391ff.) teilweise mit „?“ markiert, hätte aber dabei, auch entsprechend seinen Einzelinterpretationen (zusammenfassend S. 355 problematisiert), noch öfters auf die Unsicherheit einer direkten Vergilbenützung hinweisen können. So wird dem Benützer, der sich rasch mit Hilfe dieses Indexes informieren will, wiederholt der Eindruck eines direkten Vergilzitats vermittel, wo es sich um Junkturen einer über zwei Jahrhunderte hin verfestigten Dichtersprache handelt. Als Beispiele seien genannt globum lunae (192), scopulis inlisa (194), desuper infundam (223), fessis rebus (273), ignis edax (328).

 

In einem dritten Abschnitt werden die Einzeluntersuchungen ausgewertet hinsichtlich Formen und Veränderungen des Zitatsegments, Verteilung und Position der Zitate im Folgetext sowie Herkunft und Thematik der Zitate, was dann abschließend zu Funktion und Bewertung Vergils bei dem jeweiligen Autor führt. Im einzelnen ergeben sich folgende Befunde: Bei Tertullian beschränken sich die Vergilzitate im wesentlichen auf die apologetischen Schriften und haben daher im Gesamtwerk eine eher marginale Bedeutung; die rhetorische Funktion dominiert. In diesem selbstverständlichen Umgang mit paganer Rhetorik (die eben auch durch Vergil geprägt ist) im christlichen Kontext sieht der Verf.  eine „grundlegende Weichenstellung“ (94ff.).  Ganz anders stellt sich die Situation bei Minucius Felix dar, der den Glauben mit den Mitteln paganer Bildung und pagenen Denkens verteidigt und zugänglich macht. Darin hat auch Vergil seinen Platz (188f.). Somit beginnt mit Minucius Felix „die Tradition bewußt christlicher Aneignung Vergils“ (365). Im übrigen ergeben sich aus der Verteilung und Position der Vergilzitate bei Minucius Felix wichtige Erkenntnisse zur Struktur des Dialogs (174–181). Während bei den ersten beiden Autoren die Benützung der Aeneis dominierte, zeigt sich bei Novatian „eine Vorliebe für das vierte Buch der Georgika“ (211). Er benützt „sprachliche Versatzstücke“ v.a. zur bildhaften Ausgestaltung seiner Texte. Ähnlich verwendet Cyprian, in dessen Gesamtwerk Vergil wiederum eine nur marginale Rolle spielt, Vergilreminiszenzen, gerade auch aus den Georgika, zur rhetorisch-stilistischen Ausgestaltung. Bei Arnobius konstatiert der Verf. eine professionelle Handhabung des Schulautors als „Lehrer der Rhetorik“ , daneben benutzt er ihn „als Mittel der Polemik, indem durch einen parodistischen Kontrast zwischen Prätext und Folgetext heidnische Positionen ad absurdum geführt oder in ihrer Widersprüchlichkeit offengelegt werden“ (346). Die bei den einzelnen Autoren gewonnenen Ergebnisse werden in einer „Zusammenschau“ (348–365) im Sinne einer kontinuierlichen Entwicklung zusammengefaßt. Dankbar nimmt man im Anhang die Liste ausgeschiedener Parallelen zur Kenntnis; bieten sie doch eine gewisse „Flurbereinigung“ älterer Similienapparate.

 

Insgesamt hat der Verf. eine solide Arbeit vorgelegt, die einen wichtigen Beitrag zu Sprache und Argumentationsweise der frühen Apologeten leistet, auch dort, wo man gelegentlichen spekulativen Überlegungen (z.B. 196f. Unterweltsschilderungen; 212 Dido; 317 zur Magna Mater) nur zögerlich folgen wird. In der Erforschung der Vergilrezeption stellen die Untersuchungen einen Markstein dar.

 

Joachim Gruber, Erlangen-München