Paul
Cartledge: Spartan Reflections. London: Duckworth 2001. XII.
276 S. 10 Abb. ISBN:
0-7156-2933-6 (hardback); 0-7156-2966-2 (paperback).
In den letzten Jahren sind die Forschungen zum Themenbereich Sparta erheblich intensiviert worden, was sich im Erscheinen einer beträchtlichen Anzahl neuerer Monographien und Sammelbände manifestiert. [1] Die Autoren dieser Werke haben den Forschungen Paul Cartledges eine Menge zu verdanken, denn diese bieten stets entweder die Basis weiterer Untersuchungen oder willkommene Ansatzpunkte für kritische, weiterführende Auseinandersetzungen.Cartledge (C.) hat sich aufgrund seiner zahlreichen Arbeiten zur Geschichte, Gesellschaft und Kultur Spartas in den letzten beiden Jahrzehnten hohes Ansehen in der althistorischen Forschung erworben. Nicht nur seine Monographien, sondern auch eine Reihe seiner Aufsätze zählen heute zu unentbehrlichen Standardwerken der neueren Sparta-Forschung. Der vorliegende Band bietet eine kleine Auswahl zentraler Studien zum archaischen und klassischen Sparta, die durch Erstpublikationen ergänzt worden sind. Jeder Beitrag wurde durch eine kurze Einführung, in der u.a. auf neuere Forschungen zum jeweils behandelten Thema hingewiesen wird, erweitert sowie darüber hinaus (nicht nur in den bibliographischen Angaben) aktualisiert. Eine umfassende Bibliographie (231-263) spiegelt den aktuellen Stand der Forschung, ein Stellenindex und ein Generalregister (264-276) erleichtern den Zugriff auf die einzelnen Studien.
C. hat seinen
Sammelband in vier Sektionen unterteilt. Der erste Teil (Sparta-Watching)
enthält einen einleitenden Beitrag, in dem der Autor einige für ihn zentrale Aspekte
seiner Beschäftigung mit dem Untersuchungsgegenstand zusammenfaßt
(Sparta-Watching: General Introduction, 3-5; 193) und dabei
Leitgedanken formuliert, unter denen die nachfolgenden Studien zu betrachten sind.
Am Beginn der
zweiten Sektion (Polity, Politics and Political Thought) stehen Überlegungen
zum Verhältnis von Stadt und Land in Lakonien (City and Chora in Sparta: Archaic to Hellenistic,
9-20; 193f. erstm. publ. 1998). Ausgehend von der Bemerkung des Thukydides über
die ungewöhnliche Siedlungsweise der Spartaner in Dörfern, d.h. ohne eigentliches
urbanes Zentrum (Thuk. 1,10,2), fragt C. nach den Gründen für die unterschiedlichen
Entwicklungen Athens und Spartas hinsichtlich ihrer Urbanisierung und sieht hier vor allem
politische Gründe wirksam (14) - auf spartanischer Seite namentlich die Helotenfurcht.[2]
C. beschreibt, wie die Spartiaten ihre singuläre Gemeinschaft durch spezifische
Zugehörigkeitskriterien (Teilnahme an der Agogé,
Mitgliedschaft in der Mahlgemeinschaft, Ablieferung der Syssitienbeiträge) als Kollektiv
definierten, dessen lokales Zentrum die spartanischen Komai darstellten. Diese waren - anders als das
klassische Athen - bis in hellenistische Zeit nicht von einem schützenden Mauerring
umgeben, sondern einerseits von einem Kreis von Periökenstädten sowie zum anderen von
einer Reihe von Grenz-Heiligtümern (bes. die Artemis-Heiligtümer)
beschützt, die das Kerngebiet der Bürger (von C. mit dem römischen pomerium verglichen [16]) vom Außen
rituell absetzten. Innerhalb dieses Gürtels hätten die Spartiaten vor allem gegenüber
den Heloten eine siege mentality (15) entwickelt. Aufschlußreich ist der von
C. im folgenden durchgeführte Vergleich mit Athen: Dort lebten keineswegs alle Bürger im
befestigten urbanen Zentrum, sondern verteilt über das gesamte Gebiet (also auch die Chora) Attikas. Anders als in Sparta, wo die
Bürger täglich zum gemeinsamen Mahl zusammenkamen, trafen sich die Athener vorzugsweise
zu Festen. Wesentliche Etappen in der Urbanisierung Athens sieht C. in der Tyrannis der
Peisistratiden sowie den Repräsentationsbauten aus der Zeit der Vorherrschaft im 1.
Seebund. Eine der spartanischen Helotenfurcht vergleichbare Bedrohung habe es in Athen
nicht gegeben (18). Deutlicher noch werden die Unterschiede bei einem Vergleich wichtiger
Feste der beiden Poleis: C. zieht auf athenischer Seite die Panathenäen heran, die der
Repräsentation der Polis vor den eigenen Bürgern und Fremden dienten und deren
Mittelpunkt die Akropolis als spiritual centre of the polis territory gewesen sei (19). Ein
Äquivalent dazu hätten die Spartaner nicht besessen; alle größeren Feste seien nicht
Athena (auch in Sparta Stadtgöttin), sondern vielmehr Apollon gewidmet gewesen,
insbesondere das prominenteste, die Hyakinthia,
bei denen allerdings stets der lokale Bezug vor allem zu Amyklai klar erkennbar geblieben
und somit weniger die Einheit Spartas als die Sonderstellung der 5. Kome betont worden sei. C. schließt aus diesen
Beobachtungen, daß sowohl die Hyakinthia als
auch die spartanische Siedlungs- und Lebensweise insgesamt in erster Linie eine Separation
des Poliszentrums gegenüber der Chora sowie
eine Dominanz des Siedlungsmittelpunktes zum Ausdruck brächten, während Athen als
Beispiel für die harmonische Symbiose von Asty
und Chora gelten könne, symbolisiert
insbesondere in den Panathenäen.
Leider beendet C.
an dieser Stelle seine instruktiven Überlegungen. Man hätte jedoch durchaus noch weiter
nach den Gründen für die besondere Siedlungsweise der Spartaner in Dörfern fragen
können, denn diese ist älter als die Helotenfurcht und läßt sich mit dieser daher
nicht vollständig erklären. Zu fragen wäre dagegen, warum es nach dem Synoikismos in
Sparta nie zur Ausbildung eines Heiligtums gekommen ist, das von allen Bürgern als
Zentrum der Polis wirklich auch anerkannt worden ist und sich zum Mittelpunkt eines
urbanen Kernes entwickelt hat. Der Rez. hat bereits an anderer Stelle die Vermutung
geäußert, daß dieses Fehlen eines rituellen Identifikationspoles in archaischer Zeit
erhebliche Probleme bereitet haben dürfte und daß man diesem Mangel möglicherweise mit
der Bestimmung über die Einrichtung von Heiligtümern des Zeus Syllanios und der Athena
Syllania in der Großen Rhetra Abhilfe zu schaffen versucht hat.[3]
Der
folgende Aufsatz The Peculiar Position of Sparta in the Development of the Greek
City-State (21-38; 194-197 erstm. publ. 1980) stellt eine
der zentralen Arbeiten C.s zur spartanischen Geschichte dar. Vor dem Hintergrund der
Frage, ob und inwiefern sich Sparta als Polis entsprechend dem von Aristoteles ausgehenden
modernen Verständnis definieren läßt, entwirft der Autor seine Rekonstruktion der
Entwicklung Spartas in archaischer Zeit, die in die These mündet, daß die Phase ca.
750-650 v. Chr. die eigentlich klassische Zeit Spartas gewesen sei (22). C.
will Sparta - wenn auch mit gewissen Vorbehalten - durchaus als Polis verstehen;
ungewöhnlich seien allerdings die Selbstbezeichnung des Verbandes als
Lakedaimonier (also nicht nur Spartiaten) sowie die Siedlungsweise ohne
eigentliches urbanes Zentrum, das jedoch bereits in der Antike nicht als entscheidendes
Kriterium angesehen wurde (vgl. Paus. 10,4,1).[4] Demgegenüber sei das
Charakteristikum der autarkeia in Sparta in
besonderem Maße verwirklicht worden. Insbesondere seit der Inkorporation Amyklais will C.
den Begriff der Polis für Sparta gelten lassen (28). Er begründet dies in zweifacher
Weise: Zum einen habe der ca. 735 v. Chr. ausbrechende 1. Messenische Krieg und der damit
verbundene Übergriff auf Messenien eine, wenn auch rudimentäre, polis-machinery vorausgesetzt (28). Zum
anderen sei aus der anschließenden Parthenier-Affäre die Existenz von Kriterien für
Zugehörigkeit zum Bürgerverband abzuleiten. Abgesehen von der Frage, was unter polis-machinery denn eigentlich verstanden
werden soll, sowie dem Umstand, daß der Rez. den 1. Messenischen Krieg erheblich später
ansetzen würde (ca. 700/690-680/70), lassen sich die Übergriffe auf Messenien jedoch
auch in anderer Weise interpretieren, letztlich sogar als Indiz für eine noch wenig
ausgebildete gemeinschaftliche Organisation Spartas in dieser Phase werten. Denn Auslöser
für den 1. Messenischen Krieg dürften vornehmlich vereinzelte Aktionen von Aristokraten
und ihren Gefolgschaften gewesen sein, die schließlich eine nicht vorhersehbare
Eigendynamik entwickelten. Erst die erzwungene Involvierung aller Spartaner in die vormals
begrenzten und individuellen Konflikte einzelner Aristokraten dürfte Impulse für die
Entwickung gemeinsamer Organisationsformen gegeben haben.[5] Diese
Organisationsformen, greifbar in der Großen Rhetra, die von C. eindringlich analysiert
wird (29-36), waren in der Tat, wie auch C. hervorhebt, bemerkenswert. Der Autor deutet
das Dokument zu recht als Zeugnis einer inneren Krise (a response to extreme
political crisis, 33), die er plausibel in den Rahmen gesamtgriechischer
Entwicklungen stellt. Auch Sparta sei von den z.T. rasanten Entwicklungen in der
archaischen Zeit betroffen gewesen, d.h. von Überbevölkerung, fundamentalen
Veränderungen in der Kriegführung (dazu s. S. 153ff.), zunehmendem Fernhandel sowie von
political change (32). In diesem Kontext seien die Lösungswege, wie sie sich
in der Großen Rhetra manifestierten, durchaus fortschrittlich gewesen und hätten sich
insbesondere im Hinblick auf die Vermeidung einer Tyrannis auch als erfolgreich erwiesen.
In diesem Sinne ist C.s These von der klassischen Phase Spartas in archaischer
Zeit zu verstehen und nicht von der Hand zu weisen. Aufgrund spezifischer
Sonderentwicklungen sei dieses System dann jedoch eingefroren worden; der
Autor verweist auch in diesem Zusammenhang einmal mehr mit Recht auf die singuläre
Situation der Spartiaten nach der Helotisierung Messeniens, d.h. auf die ständige
Bedrohung durch die Heloten (35), die anders als die in jeder Polis anzutreffenden
Kaufsklaven eine kollektive Identität besaßen, sich weiterhin in ihrer Heimat befanden
und eine gemeinsame Geschichte hatten. Diese Bedrohung habe zwar im Innern zur Erstarrung
geführt, gleichzeitig jedoch eine außenpolitische Konsequenz gehabt, durch die Sparta
sich einmal mehr als Vorreiterin gesamtgriechischer Entwicklungen präsentiert habe: Die
Konstituierung des Peloponnesischen Bundes (36-38).
Ebenfalls zu den
prominenten Arbeiten C.s zählt sein Aufsatz über Literacy in the Spartan
Oligarchy (39-54; 197-201 erstm. publ. 1978), der kurz vor T. A. Borings
kleiner Monographie zu demselben Thema erschienen ist.[6] Angeregt durch Spekulationen
über mögliche Verbindungen zwischen dem demokratischen System Athens und einem hohen
Grad an Lese- und Schreibfähigkeit der Athener in der Forschung sowie die damit
einhergehende Frage, ob sich vielleicht Zusammenhänge zwischen der politischen Ordnung
Spartas und einer (Nicht-)Literalität der Spartaner erweisen lassen, zeigt C., daß
Kenntnis des Alphabets in Sparta spätestens gegen Ende des 8. Jh. v. Chr. vorausgesetzt
werden kann, und vermutet, daß auch die Große Rhetra in schriftlicher Form präsentiert
worden sein könnte. Entgegen einem verbreiteten, auf athenische Autoren des 4. Jh. v.
Chr. zurückgehenden Vorurteil, wonach Spartaner in klassischer Zeit kaum lese- und
schreibfähig gewesen seien, führt der Autor eine Reihe literarischer Belege dafür an,
daß zumindest in der spartanischen Oberschicht Lese- und Schreibfähigkeit vorausgesetzt
werden könne. Schwieriger stellt sich der epigraphische Befund dar, doch läßt sich mit
ihm immerhin das Vorurteil einer völligen Schriftlosigkeit in Sparta zurückweisen.
Abschließend äußert sich C. jedoch ausgesprochen vorsichtig zu möglichen Verbindungen
zwischen Schriftlichkeit und politischer Ordnung in Sparta - wenngleich er die
grundsätzliche Möglichkeit solcher Zusammenhänge nicht ausschließen möchte (53). Zu
berücksichtigen sind im Zusammenhang der von C. entworfenen Fragestellung allerdings auch
die kurzen Sprüche und Gnomen, die für Sparta besonders zahlreich überliefert sind, die
der Autor aber nur am Rande streift. Sie scheinen doch darauf hinzuweisen, daß wir es mit
einer weitgehend oralen Gesellschaft zu tun haben (so mit Recht auch C. [49]), in der
Normen und Wertvorstellungen über lange Zeiträume hinweg ohne größere Veränderungen
tradiert wurden. Die Praxis der Normvermittlung durch Sinnsprüche ließ (und läßt)
generell nur geringe Spielräume für Modifikationen eines vorgegebenen Gefüges von
Wertvorstellungen. In diesem Punkt werden die Unterschiede zu Athen augenfällig: Vom
demokratischen System ist die offene Debatte nicht zu trennen; die Ergebnisse solcher
Diskussionen konnten mitunter jedoch zu tiefgreifenden Reformen oder Veränderungen
führen, eine Gefahr, vor der man sich in Sparta (u.a. durch eine Volksversammlung, in der
lediglich Akklamation möglich war) offenbar schützte. Die systemstabilisierende Funktion
und Bedeutung solcher Sinnsprüche, wie sie für Sparta überliefert sind, ist noch
weitgehend unerforscht. Immerhin hat aber kürzlich E. David den Zusammenhang zwischen der
oligarchischen Ordnung Spartas sowie kultiviertem Schweigen und Achtung der Alten, d.h.
Kommunikationsformen, die strukturell derselben Kategorie wie die Sinnsprüche angehören,
aufgewiesen.[7]
Der folgende
Beitrag (Spartan Kingship: Doubly Odd?, 55-67; 201f. Erstpublikation)
richtet sich an ein breiteres Publikum. C. nimmt die bereits im Altertum kontrovers
diskutierte Frage, wie sich Sparta verfassungstypologisch einordnen lasse, zum Anlaß für
einige einführende Überlegungen zum spartanischen Doppelkönigtum, das er in drei
Sektionen zu constitutional position and power (57-61), military
command (61f.) und charisma (im Weberschen Sinne, 62-64) zu fassen
sucht. Er betont dabei insbesondere die Sonderstellung der Könige unterhalb
absoluter (ein für die Antike freilich problematischer Begriff) Monarchien
(nach griechischem Verständnis Tyrannen, hellenistische Herrscher sowie besonders der
persische Großkönig) einerseits, jedoch über reinen Magistraten (wie z.B. dem
athenischen archôn basileús) auf der anderen
Seite. Richtig und hervorzuheben scheint dem Rez. darüber hinaus auch C.s Hinweis darauf,
daß von einem strukturell angelegten machtpolitischen Konflikt zwischen Königtum und
Ephorat keine Rede sein kann (60). Zwei kurze Illustrationen dieser zunächst auf einer
allgemeineren Ebene geäußerten Gedanken zum spartanischen Königtum anhand zweier
Beispielfälle (Kleomenes I., Agesilaos: 64-67) runden diese gelungene Einführung in
zentrale Aspekte der politischen Organisation Spartas ab.
C. schließt den
zweiten Teil seines Sammelbandes mit Überlegungen zu griechischen Konzepten von
Gleichheit ab (Comparatively Equal: A Spartan Approach, 68-75; 202-205
erstm. publ. 1996), deren Ergebnisse z.T. auch in seine neuere Monographie Die Griechen und Wir[8] miteingeflossen
sind. Nach einer Reihe von erhellenden methodischen Vorbemerkungen, die namentlich im
Hinblick auf das lexikalische Spektrum bedeutsam sind, welches das Griechische zur
Beschreibung dessen bietet, was wir nur pauschal als Gleichheit bezeichnen
können, wendet sich der Autor den Konzepten von Gleichheit in Athen und Sparta zu.
Sicherlich zu recht sieht er vollkommene Gleichheit (im modernen Sinne) in keiner der
beiden Poleis verwirklicht, wobei im Fall Spartas wiederum die Helotenbedrohung als
entscheidender Faktor herangezogen wird: Spartans in a real sense could not afford
to practise egalitarism, except of the pseudo-egalitarian geometric variety
favoured by Athenian oligarchs (74). Dieser Sichtweise ist insofern zuzustimmen, als
es in der Tat gerade die seit dem 2. Messenischen Krieg permanente Gefahr seitens der
Heloten gewesen sein dürfte, die Konflikte innerhalb der Bürgerschaft unter dem
Schlagwort der Gesellschaft von homoioi
überlagert hat.[9]
Die dritte Sektion
des Bandes ist den Bereichen Society, Economy and Warfare gewidmet. C. beginnt
mit einem Überblick über das spartanische Erziehungssystem (A Spartan
Education, 79-90; 205f. erstm. publ. 1992), das für ihn bereits mit dem
kryptischen Approbationsritual für Neugeborene durch die Ältesten beginnt (84, vgl.
Plut. Lyk. 16)[10]
und dessen Besonderheiten auf der Basis eines Vergleichs mit Athen entwickelt werden
(dieser Vergleich zieht sich im übrigen geradezu leitmotivisch durch das gesamte Buch und
bereichert die Spartan Reflections immer wieder
durch gehaltvolle Athenian Reflections). Der
Aufsatz besitzt in erster Linie einführenden Charakter und behandelt eine Thematik, die
wenige Jahre nach seinem ersten Erscheinen vor allem von N. Kennell noch einmal
aufgegriffen worden ist.[11]
Kennells Hauptthese, wonach wir über das spartanische Erziehungssystem der archaischen
und klassischen Zeit kaum Näheres aussagen könnten, da die erhaltenen Zeugnisse vor
allem Zustände der hellenistischen und römischen Phase spiegelten, wird von C. plausibel
als too extreme and severe zurückgewiesen (85). Der Autor sucht in der Frage
nach Ursprüngen und Funktion der Agogé einen
Mittelweg zwischen dem Postulat von Relikten älterer Initiationsriten einerseits und der
Berücksichtigung der Erfordernisse einer sich formierenden Polisgesellschaft
andererseits; diese habe im speziellen Fall Spartas unter der singulären Bedrohung durch
die Heloten gestanden, und insbesondere die Krypteia
(die nach Ansicht des Rez. freilich von der Agogé
zu trennen ist, da sie nur einer privilegierten Minderheit vorbehalten war, vgl. Plut.
Lyk. 28,3), letztlich aber auch die Agogé
insgesamt, sei nur vor dem Hintergrund der Helotengefahr verständlich (88f.). In dieser
Frage sei auf eine neuere Studie von J.Ducat verwiesen, der in Fortführung der
Überlegungen C.s die Enstehung der Agogé als
Synthese älterer Initiationsriten und der Notwendigkeit, strikt polis-orientierte Bürger
zu produzieren, erklärt.[12]
Die beiden folgenden Studien sollten sich schon bald nach ihrem ersten Erscheinen als grundlegende Arbeiten zum spartanischen Kosmos erweisen und haben - nebenbei bemerkt - auch für die gender studies im Hinblick auf die Antike richtungweisende Impulse gegeben. Im ersten dieser beiden Aufsätze (The Politics of Spartan Pederasty, 91-105; 206- 212 erstm. publ. 1981) entwickelt C. seine vielbeachtete These vom politischen Charakter und der systemstabilisierenden Funktion der Homosexualität (die er für den griechischen Bereich vorwiegend als Päderastie verstanden wissen möchte [93]) in Sparta. Diese lasse sich zwar grundsätzlich auf ältere rituelle Mechanismen zurückführen, sei aber doch wohl eher als Element der ausgestalteten Agogé der klassischen Zeit zu interpretieren und could have acted [...] as a means of recruiting the political elite, the inner circle of those Spartans whom Herodotus (7.134.2) characterizes as the first in birth and wealth (104). Die Untersuchung über Spartan Wives: Liberation or Licence? (106-126; 212-220 erstm. publ. 1981) verfolgt nicht nur das Ziel, Rolle und politisch-gesellschaftliche Funktion der Frau in Sparta zwischen dem 6. und 4. Jh. v. Chr. auf der Basis des spärlichen und schwierig zu deutenden Materials herauszuarbeiten,[13] sondern versteht sich zugleich auch als kritischer Beitrag zur Frage, ob Sparta als Exempel einer Gesellschaft herangezogen werden kann, in der - anders als im übrigen griechischen Raum - (moderne) Vorstellungen von Gleichberechtigung weitgehend verwirklicht worden seien. C. versucht, den Mythos der spartanischen Frau mittels einer behutsamen Analyse der Quellen - allen voran der Sparta-Kritik des Aristoteles - aufzubrechen, und setzt an seine Stelle das Bild von Frauen, die zwar gewisse, über das in Griechenland übliche Maß hinausgehende Sonderrechte und Freiheiten genossen, trotzdem aber in ein (von Männern) strikt organisiertes politisches und soziales Normgefüge eingebunden waren.
Die folgende Studie
(Rebels and Sambos in Classical Greece: A
Comparative View, 127-152; 220-225 erstm. publ. 1985) greift erheblich über
den engeren Rahmen der spartanischen Geschichte aus. In Anerkennung der Arbeiten G. E. M.
de Ste. Croix zur Sklaverei im Altertum fragt C. nach der Existenz von
Sklavenrevolten in der griechischen Antike sowie ihren Rahmenbedingungen. Der Aufsatz
stellt dabei zugleich ein Lehrstück der komparativen Methode dar. Der Autor zieht
erfolgreich Forschungen zu Sklavenrevolten in Nordamerika heran, um das Phänomen der
Sklaverei in Griechenland schärfer zu fassen. Für den Umstand, daß es außerhalb
Spartas - zumindest dem Quellenbefund zufolge - nie zu größeren Sklavenerhebungen
gekommen ist, will C. die Erklärung, daß die meisten Sklaven sich mit ihrem Schicksal
abgefunden hätten, nicht gelten lassen, sondern verweist statt dessen auf Zeugnisse, aus
denen die stete Gefahr, denen ihre Herren ausgesetzt sein konnten, hervorgeht (139) -
allerdings ohne die Frage näher zu diskutieren, inwieweit diese Texte als repräsentativ
zu betrachten sind. Als gefährliche Sklavenrevolten deutet er demgegenüber die
Aufstände der Messenier. Diese seien vor allem dadurch ermöglicht worden, daß es sich
bei den Unterworfenen um Personen gehandelt habe, die ein ethnisches und politisches
Zusammengehörigkeitsbewußtsein verbunden habe, die darüber hinaus numerisch den
Spartiaten überlegen und geographisch von ihnen separiert gewesen seien. All diese
Voraussetzungen seien z.B. im Hinblick auf die Sklaven der Athener nicht gegeben gewesen;
das Fehlen von Revolten dieser Sklaven sei also vor allem eine Folge der in dieser
Hinsicht erfolgreichen Organisation der Sklaverei außerhalb Spartas.
C. schließt diesen Teil seines Buches mit einigen allgemeiner gehaltenen Überlegungen zur Frage nach dem Zeitpunkt der Einführung der Hoplitenphalanx in Griechenland sowie den daraus resultierenden möglichen politischen Implikationen ab (The Birth of the Hoplite: Spartas Contribution to Early Greek Military Organization, 153-166; 225-228 erstm. publ. 1996),[14] ein Problem, das seit dem Erscheinen der diesbezüglichen Monographie J. Lataczs (1977)[15] kontrovers diskutiert wird. Anders als Latacz (und sicherlich zu recht)[16] will C. jedoch die Bedeutung der Einführung der Hopliten-Kampfweise für politische Entwicklungen nicht rigoros in Frage stellen, warnt jedoch ebenso auch vor einer linearen Übertragung militärischer Entwicklungen auf den politischen Bereich. Stattdessen betont er die vermittelnde Ebene der Mentalitäten in besonderer Weise und versucht den Zusammenhang von Beteiligung an der Kriegführung und Identifikation mit dem Gemeinwesen im griechischen Denken näher zu beleuchten - das Beispiel Spartas bietet hier naturgemäß eine Reihe von Anknüpfungspunkten.
Die abschließende Sektion des Bandes ist dem Bereich der Sparta-Legende bzw. des Sparta-Mythos gewidmet (The Mirage Re-Viewed). Im ersten der beiden Beiträge dieses Teils (The Mirage of Lykourgan Sparta: Some Brazen Reflections, 169-184; 228 Erstpublikation) befaßt sich C. mit den archäologischen Hinterlassenschaften des archaischen Sparta (7./6. Jh. v. Chr.), deren herausragende Produkte exemplarisch vorgestellt werden. Die Studie, die das frühe Sparta in Übereinstimmung mit der neueren Forschung als progressives, offenes und künstlerischen Erzeugnissen gegenüber durchaus aufgeschlossenes Gemeinwesen darstellt, mündet zwangsläufig in die Frage nach der Ursache für die Erstarrung Spartas in der zweiten Hälfte des 6. Jh.. C. sieht vor allem in der Oliganthropie einen entscheidenden Faktor. Diese habe nicht erst im 5. Jh. eingesetzt, sondern sei als strukturelles Problem, das durch punktuelle Ereignisse wie etwa das Erdbeben in den 60er Jahren des 5. Jh. lediglich verstärkt worden sei,[17] bereits in dieser Phase virulent gewesen. Da sich gleichzeitig die Beziehungen der Spartiaten sowohl zu den Heloten als auch zur outside world verschlechtert hätten, hätten die Spartiaten selbst den Sparta-Mythos gleichsam als Selbstschutz in die Welt gesetzt (183). Der Band endet mit einer kurzen Arbeit zur Sparta-Rezeption bei Oscar Wilde (The Importance of Being Dorian: An Onomastic Gloss on the Hellenism of Oscar Wilde, 185-191; 229f.).
Was hält diesen
Sammelband zusammen, wenn man einmal vom weiten Rahmenthema Sparta absieht? Es
sind zum einen Grundgedanken und leitende Ansichten, die C.s Forschungen nachhaltig
geprägt haben: Das unbedingte methodische Postulat eines möglichst unvoreingenommenen,
d.h. vom Sparta-Mythos gelösten Zugangs zum disparaten Quellenmaterial - ein Anspruch,
der letztlich nicht einlösbar ist, dem C. sich jedoch in immer neuen Anläufen über
Jahrzehnte hin mutig gestellt hat; die Frage, welche Konsequenzen eine Gesellschaft zu
tragen hat, die über Jahrhunderte hin eine ethnisch und geographisch homogene Gruppe
unterdrückt, welche ihr überdies auch noch numerisch überlegen ist; die Konturierung
des Spartanischen im Kontext des gesamtgriechischen Vergleichs, insbesondere
des Vergleichs mit Athen; und schließlich die Ausstrahlung dessen, was allgemein mit
Sparta verbunden wird, bis in die neueste Zeit. Zum anderen ist es dem Autor bei der
Auswahl der Beiträge für diesen Sammelband gelungen, sein Bild des
archaischen und klassischen Sparta in Form von Miniaturen zu entfalten, ein Bild, das er
erstmals in seiner Monographie Sparta and Lakonia entwickelt und in den
folgenden Jahren vielfach verfeinert und erweitert hat.[18]
Mischa Meier,
Bielefeld
[1] ) Vgl. etwa N. M. Kennell, The Gymnasium of Virtue, Chapel Hill/London 1995; C. M. Stibbe, Das andere Sparta, Mainz 1996; L.Thommen, Lakedaimonion Politeia, Stuttgart 1996; E.Baltrusch, Sparta. Geschichte, Gesellschaft, Kultur, München 1998; W. G. Cavanagh/S. E. C. Walker (Hrsgg.), Sparta in Laconia, London 1998; M. Meier, Aristokraten und Damoden, Stuttgart 1998; N. Richer, Les éphores, Paris 1998; St. Hodkinson/A. Powell (Hrsgg.), Sparta. New Perspectives, London 1999; St. Link, Das frühe Sparta, St. Katharinen 2000; M. Dreher, Athen und Sparta, München 2001 sowie zuletzt St. Sommer, Das Ephorat. Garant des spartanischen Kosmos, St. Katharinen 2001.
[2] ) Die hohe Bedeutung der Helotenfurcht in Sparta ist neuerdings gegen jüngere Einwände mit gutem Grund wieder hervorgehoben worden: E. Baltrusch, Mythos oder Wirklichkeit? Die Helotengefahr und der Peloponnesische Bund, HZ 272, 2001, 1-24.
[3] ) Vgl.Meier (wie Anm. 1), 192-194.
[4] ) Dazu s. jetzt auch R. Bichler, Das Bild der Stadt bei den Griechen. Ein Essay, in: Chr. Ulf (Hrsg.), Ideologie Sport Außenseiter. Aktuelle Aspekte einer Beschäftigung mit der antiken Gesellschaft, Innsbruck 2000, 51-64.
[5] ) Vgl.Meier (wie Anm. 1), 91ff.; St. Link, Das frühe Sparta, St. Katharinen 2000.
[6] ) T. A. Boring, Literacy in Ancient Sparta, Leiden 1979.
[7] ) E. David, Spartas kosmos of Silence, in: Hodkinson/ Powell (wie Anm. 1), 117-146. Vgl. demnächst auch W. Schmitz, Nicht altes Essen, sondern Garant der Ordnung. Die Macht der Alten in Sparta, in: A. Gutsfeld/W. Schmitz (Hrsgg.), Am schlimmen Rand des Lebens? - Altersbilder in der Antike, Köln/Weimar 2002.
[8] ) P.Cartledge, Die Griechen und Wir, Stuttgart/Weimar 1998 (engl. Original: 1993).
[9] ) Vor diesem Hintergrund verliert - nebenbei bemerkt - zugleich auch die These Thommens (wie Anm. 1), bes. 135ff., wonach die Homoioi-Ideologie ein Produkt des 5. Jh. v. Chr. sei, an Wahrscheinlichkeit.
[10] ) Dazu zuletzt St. Link, Zur Aussetzung neugeborener Kinder in Sparta, Tyche 13, 1998, 153-164.
[11] ) Kennell (wie Anm. 1).
[12] ) J. Ducat, Perspectives on Spartan Education in the
Classical Period, in: Hodkinson/Powell (wie Anm. 1), 43-66. Vgl. auch St. Link, Der geliebte Bürger. Paideia und paidika
in Sparta und auf Kreta, Philologus 143, 1999, 3-25.
[13] ) Das Thema ist insbesondere in den letzten Jahren wiederholt aufgegriffen und mit unterschiedlichen Ergebnissen behandelt worden: M. Dettenhofer, Die Frauen von Sparta. Ökonomische Kompetenz und politische Relevanz, in: Dies. (Hrsg.), Reine Männersache? Frauen in Männerdomänen der antiken Welt, Köln/Weimar/Wien 1994, 15-40; E. G. Millender, Athenian Ideology and the Empowered Spartan Women, in: HodkinsonPowell (wie Anm. 1), 355-391; L. Thommen, Spartanische Frauen, MH 56, 1999, 129-149; St. Hodkinson, Property and Wealth in Classical Sparta, London 2000, 94ff.; W. Schmitz, Die geschorene Braut, HZ 2002 (im Druck).
[14] ) Vgl. zu diesem Thema bereits die ältere Arbeit Cartledges, Hoplites and Heroes: Spartas Contribution to the Technique of Ancient Warfare, JHS 97, 1977, 11-27, in deutscher Übersetzung nachgedruckt unter dem Titel: Hopliten und Helden: Spartas Beitrag zur Technik der antiken Kriegskunst, in: K. Christ (Hg.), Sparta, Darmstadt 1986 (WdF 622), 387-425; 470.
[15] ) J. Latacz, Kampfparänese, Kampfdarstellung und Kampfeswirklichkeit in der Ilias, bei Kallinos und bei Tyrtaios, München 1977 (Zetemata 66).
[16] ) Zur Haltung des Rez. vgl. Meier (wie Anm. 1), bes. 229ff.
[17] ) So jetzt auch Hodkinson (wie Anm. 13), 399ff., bes. 416ff.
[18] ) P. Cartledge, Sparta and Lakonia. A Regional History
1300-362 BC, London 1979.