Hartwin Brandt: Das Ende der Antike. Geschichte des
spätrömischen Reiches. München: Beck 2001 (C. H. Beck Wissen in der Beckschen
Reihe 2151) 116 S. ISBN3-406-44751-1
Die Neubewertung der Spätantike als eine Epoche sui generis (der
Autor spricht von einer Epoche eigener Dignität) einem größeren Leserkreis
zu vermitteln ist ein höchst begrüßenswertes Unterfangen. Hartwin Brandt (im folgenden
B.) unternimmt es aus der Sicht des Althistorikers, in einem knappen Abriß
v.a. der Ereignisgeschichte den Zeitabschnitt zwischen der Regierung Diokletians und der
Tetrarchie einerseits un der Herrschaft Justinians andererseits, also vom Ende des dritten
bis zur Mitte des sechsten Jahrhundert darzustellen. Der Zeitraum deckt sich mit der
Darstellung von Alexander Demandt (Die Spätantike. München 1989). Ein besonderes
Anliegen ist es dabei, die Aktualität der Antike in der Moderne aufzuzeigen.
Einleitend umreißt B. den aktuellen Forschungsstand, in dem
sich in den letzten Jahrzehnten die oben genannte Neubewertung vollzogen hat. B. beruft
sich (8) auf zahlreiche Untersuchungen zu Politik und Herrschaft, Gesellschaft und
Wirtschaft sowie Kultur und Religion, denen die Neubewertung zu verdanken ist.
Deutlicher hätte dabei wie auch im weiteren Verlauf der Darstellung die Leistung der
Literaturwissenschaft hervorgehoben werden sollte, die initiiert durch die Forschungen
eines Manfred Fuhrmann und Wolfgang Schmid und deren Schülerkreis entscheidend zu dieser
Neubewertung beitrug. Ein Meilenstein der Forschungsgeschichte ist der im gleichen Verlag
erschienene, von Reinhardt Herzog und Peter Lebrecht Schmidt herausgegebene fünfte Band
des Handbuchs der lateinischen Literatur der Antike, der im Literaturverzeichnis nicht
einmal genannt wird. Das ändert nichts daran, daß der Grundposition des Autors das
Ende der Anbtike markerit zugleich einen neuen Anfang (8) voll zuzustimmen ist.
Der Beginn der Spätantike wird traditionell mit Diokletian
und der Tetrarchie angesetzt. Die Brüchigkeit des Konstrukts Tetrarchie wird
ebenso klar aufgezeigt wie die Problematik einer Begründung für die gleichzeitige
Christenverfolgung, v.a. in der Darstellung eines Laktanz, der nicht ohne ausdrückliche
Warnung an den modernen Leser vor der einseitigen Tendenz dieses Autors ausführlich zu
Wort kommt. Daß es gelungen ist, auf dem knappen zur Verfügung stehenden Raum die
verschiedensten Quellen sprechen zu lassen, ist ein besonderes Verdienst dieses Buches.
Die politischen Leistungen der Tetrarchie werden anerkennend gewürdigt (15), das
zunächst überraschende und befremdlich wirkende Hofzeremoniell wird in der Tradition von
Andreas Alföldi entgegen dem S. 15 zitierten Zeugnis des Ammian als Schlußpunkt einer
langen Entwicklung gesehen. Es ist die Konsequenz eines mit der postumen Vergöttlichung
Caesars als Divus Iulius einsetzenden Sebstverständnisses der römischen Kaiser, das man
aus heutiger Sicht als Selbstüberhebung
Diokletians (16) interpretieren mag. Fraglich bleibt, ob man damit dem Verständnis
der paganen Zeitgenossen gerecht wird. In dieser Haltung Diokletians wird dann auch die
Ursache für die letzte große Christenverfolgung gesehen, ausgelöst durch die
Verweigerung des Kaiserkults durch die Christen (wesentlich differenzierter dagegen
Demandt 58f.). Plausibel erscheint die Verknüpfung der Verfolgung mit dem
Regierungswechsel 303 zur Ausschaltung aller staatsgefährdender Elemente. Das Kapitel
schließt mit der Abdankung Diokletians und der Erzählung des Laktanz, wie Konstantin bei
der Nachfolge übergangen wurde. Leider wird der Bericht als Quelle zunächst ohne
kritische Hinterfragung dargeboten, obwohl schon Jacob Burckhardt (Die Zeit Konstantins
des Großen) gewichtige Zweifel erhoben hatte (Ausgabe Frankfurt 1954, 254f.).
Erst zu Beginn des nächsten Kapitels, das Konstantin gewidmet
ist, wird auf tendenziöse Absichten (20) der zeitgenössischen Autoren
hingewiesen. Daher werden weitere Quellen wie Münzen, Inschriften oder offizielle
Verlautbarungen eingeführt. Besonders erfreulich aus der Sicht des Rezensenten ist die
heute nicht mehr so selbstverständliche Tatsache, daß dabei bestimmte Kernaussagen auch
im lateinischen Originaltext dargeboten werden (22, 25, 32, aber auch in den folgenden
Kapiteln). Wie schon beim Bericht des Laktanz über die Abdankung Diokletians wäre auch
bei der Erzählung von Konstantins Apollo-Vision (23) eine etwas differenziertere
Betrachtungsweise erwünscht (vgl. die Zusammenfassung der Deutungen des viel besprochenen
Textes bei C. E. V. Nixon, B. S. Rodgers: In Praise of Later Roman Emperors, Berkeley u.a.
1994, 249f.). Sorgsam abwägend wird dagegen die sog. konstantinische Wende und die
Auseinandersetzung mit Licinius besprochen, ebenso das Verhältnis Konstantins zu den
auswärtigen Völkern (Foederatenproblem), die Bedeutung der Neugründung Konstantinopels
und Konstantins kirchenpolitische Position.
Im Mittelpunkt des Abschnitts über die Konstantinsöhne steht
Constantius II., sein Rombesuch 351, sein Engagement für Konstantinopel und der Aufstieg
Julians. Reichspolitisch wird seine Regierungszeit als Rückschritt gewertet (41). Das dem
Constantius uneingeschränkt beigelegte Attribut arianisch (42) könnte nach
den Forschungen von Richard Klein (Constantius II. und die
christliche Kirche, Darmstadt 1977) modifiziert werden. Julians kurze Regierung
wird insgesamt als das Scheitern eines maßlosen Anspruchs seiner Restaurationspolitik
verstanden (48); zeitgenössischen und späteren antiken Zeugnissen läßt sich aber auch
ein positiveres Bild abgewinnen.
Die Darstellung der Zeit bis zur Schlacht von Adrianopel 378
steht im Zeichen der sog. Völkerwanderung; die wichtigste und zuverlässigste Quellen der
Zeit, Ammianus Marcellinus, kommt dabei häufig zu Wort, was der Schilderung jener
ereignisreichen Jahre zusätzlichen Reiz verleiht.
Das Kapitel über Theodosius beginnt mit einer informativen
Darstellung der Probleme des Heereswesens und des entstehenden Foederatentums mit all
seinen Konsequenzen für die politisch-militärische Auflösung der Westhälfte des
Imperiums. Die faktische Etablierung des (katholischen) Christentums als Staatsreligion
wird an ausgewählten Zeugnissen erläutert, der bekannte Streit um den Victoria-Altar
durch Zitate aus der dritten Relatio des Symmachus und der Antwort des Ambrosius
illustriert, dessen selbstbewußtes Auftreten gegenüber Valentinian II. und Theodosius
mit kräftigen Strichen herausgearbeitet und als exemplarisch für die Spannungen
und Kompetenzstreitigkeiten zwischen kaiserlichem Imperium und kirchlichem
Sacerdotium verstanden, die weit über die Antike hinaus ins Mittelalter
weisen (65). Der weitverbreiteten Auffassung von der durch die Nachfolgeregelung des
Theodosius vollzogenen Reichsteilung tritt B. mit Recht energisch entgegen (68f.) und so
zeigt denn auch die Karte Abb. 5 (Abb. 1 erscheint daneben entbehrlich) die Grenzen der
Präfekturen, nicht aber, wie in vielen historischen Atlanten üblich, eine mehr oder
weniger stark markierte Grenze zwischen West und Ost. Daß die folgende Darstellung die
Entwicklung im Westen und Osten gesondert betrachtet, ist von der Sache her sinnvoll.
Die Darstellung des Zeitabschnitts von Theodosius bis
Theoderich beginnt mit dem Konflikt Alarich-Stilicho; das Ende Stilichos wird zutreffend
als Einschnitt in der weströmischen Geschichte gewertet (74). Die Geschichte
der Westgoten wird weiter verfolgt bis zur Gründung des für den Übergang von der
Spätantike zum Mittelalter so bedeutungsvollen tolosanischen Reiches (78). Knapp fällt
die Darstelung des Wirkens des Theoderich aus; seine außenpolitischen Beziehungen zu anderen Germanenstaaten bleiben
leider unerwähnt.
Die Entwicklung im Osten wird bis Justinian dargestellt.
Besondere Beachtung finden die Auseinandersetzung zwischen Heidentum und Christentum und
die innerkirchlichen Streitigkeiten. Justinian wird ganz in der Tradition des großen
römischen Kaisertums gesehen (98). Seine Bedeutung für das Weiterwirken des römischen
Rechts wird gebührend hervorgehoben (100f.).
Im Schlußkapitel wird in knappen Strichen die
Wirkungsgeschichte der Spätantike skizziert mit den Schwerpunkten Papsttum und
Siedlungskontinuität. Das begegnet dem Leser ziemlich unvermittelt, da im Kontext der
Ereignisgeschichte diese Faktoren so nicht berücksichtigt wurden. Denn wie im
Zusammenhang mit der Plünderung Roms durch Alarich 410 theologische und
literarisch-historiographische Zeugen (Augustinus, Orosius, Rutilius Namatianus, Prokop)
aufgerufen werden (75f.), hätte auch sonst dem kulturellen und künstlerischen Umfeld
mehr Aufmerksamkeit gelten können. Das gilt sowohl im Bereich der Architektur (Entstehung
von Bautypen wie der christlichen Basilika oder der Baptisterien; Ausnahme: Bauten in
Konstantinopel unter Konstantin und Justinian)) und bildenden Kunst (Mosaiken,
Sarkophagplastik) wie auch der Literatur und des gesamten geistigen und philosophischen
Lebens (Ausnahmen: Vegetius und Synesius; der Neuplatonismus wird nur knapp im
Zusammenhang mit der Schließung der Akademie 529 durch Justinian erwähnt). Selbst
politisch bedeutungsvolle Autoren wie Ausonius, Ennodius, Boethius oder Cassiodor werden
überhaupt nicht genannt. Die Entstehung des Mönchtums bleibt unberücksichtigt; erst am
Schluß wird die Entwicklung des stadtrömischen Bischofsamtes zum Papsttum nachgeholt.
Gerade das aber sind Charakteristika der Spätantike, die für Europa bedeutungsvoll
werden sollten. Vielleicht könnten diese Desiderate in einer erwünschten Neuauflage
berücksichtigt werden, denn die Ereignisgeschichte der Spätantike bedarf der Ergänzung
durch eine Geistesgeschichte der Spätantike, um den ganzen Reichtum dieser Epoche
deutlich werden zu lassen und erst dann wäre die Aktualität der Antike in der
Moderne richtig sichtbar.
Joachim
Gruber, Erlangen-München