Meinolf Vielberg, Klemens in den pseudoklementinischen Rekognitionen. Studien zur literarischen Form des spätantiken Romans, Berlin [Akademie Verlag] 2000

 

Mit diesem Buch liegt nicht nur die seit langer Zeit erste Monographie zu den Clementina vor, es ist die erste Monographie, die sich überhaupt ernsthaft mit dem literarischen Gehalt des Klemensromans auseinandersetzt. Vielberg kommt dabei zu hochinteressanten Ergebnissen und tut zugleich methodisch einen großen Schritt in die Richtung, die man sich für die Forschung auf diesem Gebiet wünscht. Indem er die narrative Struktur der Rekognitionen herausarbeitet, gelingt es V., den Klemensroman als einen christlichen Erziehungsroman gattungsgeschichtlich einzuordnen, und zugleich das Verhältnis der beiden Versionen dieses Romans, der Homilien und Rekognitionen, genauer zu bestimmen. Die in den Rekognitionen erkennbare Struktur ist gegenüber der der Homilien die ursprünglichere.

 

Auf den ersten Blick erweckt der Titel, den Vielberg seinen Studien gegeben hat, Mißtrauen. Warum die Beschränkung auf nur eine der beiden bekannten Rezensionen des Klemensromans, deren Verhältnis zueinander und zu der gemeinsamen Vorlage, der sogenannten Grundschrift, immer noch umstritten ist, und warum "spätantiker Roman", da doch diese Grundschrift allgemein in das dritte Jahrhundert datiert wird? Diese anfänglichen Bedenken gelingt es V. durch seine scharfsinnigen und sorgfältigen Studien gänzlich auszuräumen und in Zustimmung zu verwandeln. Ziel seiner Untersuchung ist es, die literarischen Strukturen der Rekognitionen "phänomenologisch zu erfassen" und eine "Vorstellung von den Rekognitionen als Literaturwerk" zu vermitteln (22). Dabei wird es schnell deutlich, warum gerade die Rekognitionen, auch wenn sie nur in der Übersetzung Rufins erhalten sind, V.s Aufmerksamkeit stärker auf sich gezogen haben, als die - immerhin im griechischen Original überlieferten - Homilien. Denn die Rekognitionen lassen sich, so V.s These, gattungsgeschichtlich als Beispiel eines "christlichen Bildungs- und Erziehungsromans" (27) einordnen.

V. verfolgt diese These in sechs Studien, um sich dann der Untersuchung des Verhältnisses der beiden Versionen zu widmen. Nach einer forschungsgeschichtlichen Einleitung analysiert die zweite Studie die Karriere des späteren Bischofs Klemens und seine Fortschritte in der christlichen Lebensführung hauptsächlich an den beiden Schwerpunkten der vigiliae christianae und der consuetudo cibi capiendi et requiescendi. Es gelingt V. zu zeigen, daß die Rekognitionen, anders als die Homilien, hier eine konsequente Entwicklung des Helden zeichnen, wie sie sich in späteren Bischofsviten häufig nicht mehr findet, und er kommt zu dem Schluß: "...der Leser wird geichsam von Petrus an die Hand genommen und durchläuft als ein proficiens an der Seite des Klemens Station um Station des christlichen cursus theologico-philosophicus." (47)

In der dritten Studie beschäftigt V. sich mit dem Verhältnis von Lehrern und Schülern, hauptsächlich also des Petrus und des Simon Magus zu ihren jeweiligen Schülern aber auch Gegnern. Er zeigt dabei überzeugend auf, wie der Rekognitionist den Gegensatz von häretischer und orthodoxer Tradition in "narrative Romanstrukturen übersetzt" (78). Diese "Polarisierung in Gut und Böse", so V. nach Billault [FN1], " ist in der Charakterdarstellung...des Romans...unbekannt" (63). Dagegen könnte man jedoch, über den bei Billault und Vielberg natürlich angeführten obligatorischen Räuber hinaus, einige Beispiele für Polarisierungen aus den antiken Romanen anführen, so z.B. die König-Königstochter Verhältnisse in der Historia Apollonii, an denen doch der Gegensatz zwischen Gut und Böse sehr deutlich durchgespielt wird, die Brüder Thyamis und Petosiris in Heliodors Aithiopika, sowie die überaus häufige Gegenüberstellung von guter Mann-Frau Beziehung der beiden Helden und "böser" Beziehung verheirateter aber untreuer Paare, wie Melitte-Thersander in Achilles Tatios´ Leukippe, oder die gänzlich gegensätzlichen Paarungen Manto-Moiris und Antheia-Lampon in Xenophons Ephesiaka.[FN2]

Seine vierte Studie widmet V. der Rolle der Bildung in den Rekognitionen. Der Rekognitionist geht hier von einer "klare[n] Vorstellung von den Grunddisziplinen der eines freien Mannes würdigen Künste und Wissenschaften" (95) aus und strebt die "Entthronung der heidnischen Bildung durch die christliche Erziehung" (97) an. In der "optimistisch-intellektualistische[n] Anthropologie der Rekognitionen" (103) sieht V. Bezüge zur Lehre Augustins (99-103).

Das Problem, dem sich jede Lesung des Klemensromans als Literatur stellen muß, ist die Frage nach dem Zusammenhang der lehrhaften und der romanhaften Elemente in diesem Werk, auch wenn spätestens seit Edwards Untersuchung [FN3] von einer nachträglichen Einfügung einer ursprünglich heidnischen Romanhandlung in eine christliche Erbauungsschrift nicht mehr die Rede sein kann. V. zeigt in der fünften Studie "Rekognitionen und Romanstruktur", daß das Mißverhältnis zwischen der Wiederkennungshandlung, die nur die letzten Bücher einnimmt, und dem lehrhaften ersten Teil nur ein scheinbares ist, die Anagnorismenhandlung vielmehr schon in diesem ersten Teil antizipiert wird. "Die wichtigste Zäsur des Wiedererkennungsromans, welche dem neu einsetzenden siebten Buch vorausgeht und auf welche die ersten sechs Bücher der Rekognitionen so ausgerichtet sind wie das siebte auf die Taufe der Mutter und das achte bis zehnte auf diejenige des Vaters, ist die von Petrus´ Tauflehre vorbereitete Massentaufe in Tripolis am Ende des sechsten Buches." (123)

Nachdem V. so in den ersten fünf Studien ein überzeugendes und rundes Bild der literarischen Gestalt der Rekognitionen gezeichnet hat, widmet er die sechste Studie [FN4] der gattungsgeschichtlichen Einordnung des Werkes, das er als christlichen Bildungs- und Erziehungsroman in eine Reihe mit den Vorbildern Xenophons Kyropädie, der Historia Apollonii und Philostrats Vita Apollonii stellt. Über diese Vorbilder gehen die Rekognitionen in der Zeichnung einer "neuen Elite" in Gestalt des christlichen theios aner hinaus. [FN5]

Schließlich widmet V. sich dem Verhältnis der beiden erhaltenen Versionen des Klemensromans, das, wie dem Leser spätestens hier deutlich wird, in der bisherigen Forschung viel zu oft am Anfang und nicht am Ende der Beschäftigung mit den Clementina stand. V. zeigt an gut ausgewählten Beispielen, daß allein die sprachlich Gestalt beweist, daß an eine unabhängige Entwicklung der Rezensionen nicht zu denken ist, die literarische Ausformung jedoch so verschieden ist, daß, so V. nach Hilgenfeld, wir von "zwei von dem schöpferischen Eigenwillen ihres jeweiligen Verfassers...in sich einheitlich gestaltete[n] Romanversionen" (193) sprechen müssen. Hierbei zeichnen sich die Rekognitionen vor allem durch eine konsequent teleologische Entwicklung des Helden vom Heiden zum Nachfolger des Petrus aus, die den Homilien ebenso wie die in den Rekognitionen erkennbare Vorstellung einer neuen, auf der hellenischen beruhenden Bildung, fehlt. Die in den Rekognitionen erhaltene Struktur sieht V. daher für ursprünglich an. Zutat des Homilisten ist also die in die Zeit vor der Romanhandlung verlegte Konversion und Ausbildung des Protagonisten im Judenchristentum verbunden mit einer bewußten Abwertung der hellenischen Bildung. Wenn auch V.s Argumentation, die stringentere Romanstruktur der Rekognitionen müsse der ursprünglichen Fassung näher stehen als die der Homilien, vollkommen überzeugend ist, liesse sich doch für den Klemens der Homilien, der "unmittelbar nach seinem Eintreffen bei Petrus in der Appiondisputation die führende Rolle übernehmen kann" (193) in der Gestalt der Thekla in den Acta Pauli et Theclae eine Parallele finden, denn auch Thekla muß, kaum daß sie bekehrt worden ist, auf sich allein gestellt spektakuläre Prüfungen überstehen, tauft sich am Ende sogar selbst in der Arena und vollzieht den Wandel vom "Objekt zum Subjekt der Paideia" [FN6] ohne erkennbare Ausbildung.

In einem Schlußwort plädiert V. überzeugend dafür, den Versuch, aus den überlieferten Versionen mit stemmatischen Methoden ein Original rekonstruieren zu wollen, zu Gunsten der Interpretation dieser Versionen selbst hintanzustellen, und kann so einen entscheidenden Schritt machen auf dem Weg zur Schließung der S. 23 konstatierten Forschungslücke.

Die äußere Form der Arbeit entspricht diesem positiven Bild. V.s Sprache wird der Komplexität der Materie gerecht und zwingt den Leser zur Konzentration, die einzelnen Studien sind klar und konsequent gegliedert [FN7] und schließlich spiegelt die äußerst geringe Zahl von Druckfehlern [FN8] die Sorgfalt der Gedankenführung. So kann man nur wünschen, daß diese Studien möglichst viele Leser gewinnen werden, sich selbst und dann mit Sicherheit auch dem Klemensroman. Beide verdienen es.

Dirk Hansen, Greifswald

 

 

[FN1] Charakterization in the Ancient Novel, in: Schmeling, G. (ed.), The Novel in the Ancient World, Leiden 1996, 115-130.

[FN2] Überhaupt scheint das in den Romanen so häufige Potiphar-Motiv, da es ja hier stets Treue zur/zum Geliebten ist, die das Opfer keusch sein läßt, eine solche Polarisierung zu implizieren; cf. zur Erotisierung dieses Motivs Braun, M., Griechischer Roman und hellenistische Geschichtsschreibung, Frankfurt/M. 1934.

[FN3] Edwards, M.J., The Clementina. A Christian Response to the Pagan Novel, CQ 42, 1992, 459-474.

[FN4] Der erste Teil dieser Studie, "Gattungstheoretische Voraussetzungen", kann auch denen, die sich "nur" für den heidnischen Roman interessieren, als Einleitung in das Problemfeld wärmstens empfohlen werden.

[FN5] Da die Argumentation V.s sich hier noch hauptsächlich auf die Rekognitionen stützt könnte man S. 169 zu den Stellenangaben H 1,6,4 noch R 1,6,4 und zu H 3,72 die etwas weniger deutliche Entsprechung R 3,66,4 hinzufügen.

[FN6] So V. 160 zu Apollonius von Tyana.

[FN7] Auf den Seiten 114-121 ist allerdings die Absatznumerierung etwas irreführend.

[FN8] Auch wenn eine errata-Liste lächerlich wäre, sei der Eitelkeit des Rezensenten gestattet, einen Druckfehler anzuführen: S. 205 statt "Hansen, D.K." lies Hansen, D.U.