Richard Klein, Roma versa per aevum. Ausgewählte Schriften zur heidnischen und christlichen Spätantike, herausgegeben von Raban von Haehling und Klaus Scherberich [Spudasmata Bd. 74], Hildesheim, Zürich, New York: Olms 1999; XX + 687 Seiten.

 

In einem wissenschaftsgeschichtlichen Rückblick dürfte die 'Rückgewinnung der Spätantike' wohl als einer der gewichtigsten und bleibendsten Erträge gelten können, die die Generation der 'Klassischen' Altertumswissenschaftler erarbeitet hat, die zwischen 1965 und 2000 an Universitäten und Akademien gelehrt und gearbeitet hat. In die Reihe der hier besonders verdienten Latinisten und Althistoriker gehört der Erlanger Gelehrte (und Schulmann) Richard Klein; einem weiteren Publikum ist er seit langen ein Begriff durch (zweisprachige) Ausgaben und Kommentare zu Symmachus und Ambrosius sowie Aelius Aristides und durch eine in Verbindung mit Peter Guyot erarbeitete monumentale Anthologie zum frühen Christentum in Staat und Gesellschaft. Raban von Haehling und Klaus Scherberich haben anläßlich des 65. Geburtstages von Richard Klein eine nicht nur äußerlich gewichtige Auswahl aus dessen kleineren Schriften vorgelegt, die natürlich einen Eindruck von der imponierenden Arbeitskraft des so Geehrten (dankenswerterweise ist ein Schriftenverzeichnis beigegeben) vermittelt, die zugleich aber ein wichtiges Arbeitsinstrument für alle, die sich mit der Spätantike befassen, bilden wird.

Der Band enthält 21 Aufsätze aus den Jahren 1981-1997, die in vier Abteilungen gegliedert sind. Politische Geschichte; Religionsgeschichte; Sozialgeschichte; Geistes- und Literaturgeschichte.

Innerhalb der Abteilungen finden sich gewisse Schwerpunkte. So steht im Zentrum der Rubrik Sozialgeschichte die Frage nach dem Verhältnis zwischen Christentum/Kirche zur Sklaverei (Die frühe Kirche und die Sklaverei, zuerst 1985, S. 322-355; Zum Verhältnis von Herren und Sklaven in der Spätantike, zuerst 1989, S. 356-393; Die Bestellung von Sklaven zu Priestern. Ein rechtliches und soziales Problem in Spätantike und Frühmittelalter, zuerst 1993, S. 394-420). Liest man die drei unter diesem Aspekt zusammengehörigen Beiträge nacheinander, so erhält man eine gut dokumentierte Geschichte, wie soziale Unfreiheit (= Sklaverei) in ein christliches Gesellschaftsmodell inkorporiert werden konnte. Steht am Beginn das frühchristliche Ideal einer universellen Brüderlichkeit Paulinischer Prägung (S. 331), so tritt im 6. Jhdt. die Amtskirche für die Beibehaltung der Sklaverei ein, um die Kirchengüter weiter bewirtschaften zu können (S. 401); am Ende steht gar das Bemühen, die Stellung der sog. Eigenkirchen und 'Kleriker-Sklaven' präzise zu definieren (S. 415/5).

Der vierte Beitrag der 'Sozialgeschichte' hat die neugefundenen Augustinus-Predigten aus Mainz zum Gegenstand (Geschichte und Alltag: Zu einigen Themen der neugefundenen Augustinus-Predigten aus der Mainzer Stadtbibliothek, zuerst 1997, S. 421-436). Diesem Fund gilt auch ein dreiteiliger Beitrag der Rubrik 'Geistes- und Literaturgeschichte' (Die neuen Augustinus-Predigten. Ein aufsehenerregender Handschriftenfund in Mainz, zuerst 1993, S. 567-583; Die neugefundenen Augustinus-Predigten aus der Mainzer Stadtbibliothek. Fortsetzung, zuerst 1995, S. 584-608; Die neuentdeckten Mainzer Augustinus-Predigten. Abschluß, zuerst 1996, S. 609-616). In diesen vier Beiträgen (sie weisen wohl unvermeidlich gewisse Überschneidungen auf, vgl. 421/2, 567-570, 584/5; 432 und 610 etc.) stellt Klein die seit 1991 von Fr. Dolbeau wiederentdeckten und inzwischen publizierten insgesamt 28 Augustinus-Predigten (D 1-28) vor, Werke die zuvor nur teilweise oder gar nicht bekannt waren. Hierbei gibt er im Triptychon in der Rubrik 'Geistes- und Literaturgeschichte' zu den einzelnen Stücken eine knappe Inhaltsangabe und hebt Besonderheiten heraus (Zur Orientierung sei auf die Abfolge kurz hingewiesen: D 1: 585; D 2: 577/8; D 3: 586/7; D 4: 587-9; D 5: 589-90; D 6: 590-93; D 7 (keine eigentliche Predigt, sondern lediglich Besprechung eines Spezialproblems, der Frage, ob nicht getaufte Katechumenen auf kirchlichem Boden bestattet werden dürfen): 574/5; D 8: 579/80; D 9: 580/1; D 10: 581/2; D 11: 582/3; D 12: 593/4; D 13: 594/5; D 14: 595-7; D 15: 597/8; D 16: 598-600; D 17: 609-11; D 18: 600/1; D 19: 610; D 20:611/2; D 21: 572-4; D 22: 612-14; D 23: 601-604; D 24: 570; D 25: 571; D 26: 604-606; D 27: 576/7; D 28 (dieser Text stammt nicht aus der Mainzer Sammlung, sondern wurde von Dolbeau über einen Vergleich von drei Augustinus-Exzerpten im Milleloquium des Bartholomäus von Urbino mit Texten in den Mss. Cod. Sal. IX 34 (Heidelberg), Cod. Bibl. Civ. A. Mai 130 (Bergamo) und Vat. Lat. 656 (Rom), identifiziert): 614-6. In 'Geschichte und Alltag' analysiert Klein das Corpus der Predigten auf die Bereiche: Umgang mit Andersgläubigen, mit Heiden, mit innergemeindlichen Fragen (Sakramente, Jungfräulichkeit etc.). Insgesamt können die vier Augustinus-Arbeiten als Erschließung und gehaltvolle Auseinandersetzung mit den neuen Augustinus-Texten gelten, die, wenn sie auch keinen "neuen Augustinus" zeigen (so bereits Kurt Flasch nach Bekanntwerden der neuen Predigten), manches Neue bieten.

Die Abteilung 'Geistes- und Literaturgeschichte' hält noch vier weitere Aufsätze bereit: 'Die Romidee bei Symmachus, Claudius und Prudentius' (zuerst 1986, S. 437-459), ein Seitenstück zu einer (leider nicht abgedruckten) umfangreichen Arbeit (Das spätantike Romverständnis vor Augustinus. Bonner Jahrbücher 185, 1985, 97-142) konstatiert Symmachus' konservatives und die pagane Tradition aufrufendes Romkonzept mit den eher pragmatisch-realistischen Claudians und dem christlichen des Prudentius. In 'Zur Beurteilung Alexanders des Großen in der Patristischen Literatur' (zuerst 1988, S. 460-517) skizziert Klein das - zumeist negative- Alexanderbild der älteren Patres am Beispiel von Tatian, Clemens, Tertullian (der in De pallio und in Apologeticum unterschiedliche, aber von Klein einleuchtend hergeleitete Akzente setzt), Arnobius. Dem steht ein positives, wenn auch differenziertes Bild der Kappadokischen Väter in der nachkonstantinischen Ära gegenüber, während Augustin schließlich teils in Wiederaufnahme der Stoa, teils in Konsequenz seines eigenen theologischen Geschichtskonzepts den Makedonen negativ zeichnet.

Mit 'Hinc Barbaries, illinc Romania ... Zum Wandel des Romdenkens im spätantiken und frühmittelalterlichen Gallien' (zuerst 1988, S. 518-566) zieht Klein die mit dem Aufsatz über die Romidee begonnene Linie bis ins frühe Mittelalter aus: Er zeigt die Transformation dieses ideologischen Konzepts bei Autoren im gallischen Raum im 5. und 6. Jhdt., bei Apollinaris Sidonius, dessen konservativer, die alte Größe evozierender aristokratischer Standpunkt mit Recht als realitätsfern charakterisiert wird, sowie bei Salvian, Prosper Tiro und schließlich Venantius Fortunatus, an denen Klein die Genese eines 'kirchlichen Romdenkens' nachzeichnet.

Beschlossen wird die 'Geistes- und Literaturgeschichte' durch die Studie 'Die Bedeutung von Basilius' Schrift "Ad Adolescentes" für die Erhaltung der Heidnisch-griechischen Literatur' (zuerst 1997, S. 617-637). Hier zeigt Klein, in der Nachfolge Werner Jaegers und seines bekannten Dictums von der "Magna Charta aller christlichen höheren Bildung", wie gegenüber der harten christlichen Position einer Ablehnung paganer Literatur Basilius eine Neubegründung der Lektüre von alter Literatur unternimmt, die deren ethischen Wert zu propädeutischen Zwecken unterstreicht (hier hätte etwas stärker die von Chr. Gnilka entfaltete Chresis-Konzeption herangezogen werden können). Ein Ausblick auf die Rezeption des Basilius-Textes seit der Renaissance beschließt diesen Aufsatz.

Genuiner althistorisch ausgerichtet sind die beiden ersten Abteilungen. Die 'Politische Geschichte' setzt ein mit zwei Arbeiten, die gleichsam Kleins Habilitationsschrift (Constantius II. und die christliche Kirche, Darmstadt 1977) ergänzen: 'Die Kämpfe um die Nachfolge nach dem Tode Constantins des Großen' (zuerst 1979, 1-49) zeichnet mit intensiver Auswertung insbesondere der Kirchenhistoriker die Ereignisse nach dem Tod Konstantins nach; 'Der Rombesuch des Kaisers Constantius II. im Jahre 357' (zuerst 1979, S. 50-71) unternimmt es, den Rombesuch des Kaisers insbesondere gegenüber der Constantius-feindlichen Sicht unserer Hauptquelle Ammian (16,10) zu untersuchen und ihn hinter deren Verzeichnungen - überzeugend - in eine auf Stabilisierung ausgerichtet kaiserliche Politik einzuordnen.

Im Aufsatz 'Die Ermordung der Philosophin Hypatia. Zum Kampf um die politische Macht in Alexandria' (zuerst 1993/96, S. 72-90) zeigt bereits der Untertitel die von Klein entwickelte These: Nicht der religiöse Konflikt zwischen Kyrill und Hypatia sei Ursache für die Ermordung der Philosophin gewesen, sondern der Gegensatz zwischen dem Bischof und dem Stadpräfekten Orestes, mit dem Hypatia Umgang pflegte. Weil sie der religiösen Parteiung in deren Kampf um die Macht in Alexandria im Wege stand, sei sie umgebracht worden.... Diese These, gut geeignet, althergebrachte und in jüngerer Zeit feministisch geförderte Mythen um Hypatia zu zerstören, ist durch solide Quelleninterpretationen gestützt. Die Hypatia-Forschung wird sich mit ihr sehr intensiv auseinandersetzen müssen.

Auf diese punktuell zugreifende Arbeit folgt in einer breit angelegten Zusammenschau historischer Fakten, zeitgenössischer Reflexionen und moderner Deutungsansätze 'Die Auflösung des Weströmischen Reiches. Zeitliche Entwicklung - Selbstverständnis - Deutung,' (zuerst 1996, S. 91-127).

Die Abteilung 'Religionsgeschichte' ist insofern etwas mißverständlich betitelt, als es hier nicht um die Geschichte von Religionen, kultischen Praktiken, Inhalten etc. geht, sondern um althistorische Bereiche, die in Verbindung mit Religion stehen.

Der erste Beitrag, 'Kaiser Julians Rhetoren- und Unterrichtsgesetz' (zuerst 1981, S. 128-155), zielt auf eine Neubewertung der bekannten Maßnahme des Apostaten. Nicht war das Schulgesetz primär als Schlag gegen die Christen gedacht, sondern vielmehr als ein Versuch, das Schulsystem fest in Julians Restauration einzubinden - woraus sich erst als Konsequenz die Unbill für die Christen ergeben hätten. Auch diese These ist durchaus provokant, zugleich aber gut abgestützt, zumal (dies ist m. E. Kleins stärkster Trumpf) sie gut mit der ansonsten unpolemischen Position Julians gegenüber den Christen harmoniert.

Arbeiten insbesondere von Kötting führt fort 'Die Entwicklung der christlichen Palästina-Wallfahrt in Konstantinischer Zeit' (zuerst 1990, S. 156-204). Klein nimmt hier einen wichtigen Wandel in der Mentalitätsgeschichte des Christentums in den Blick, der sich pointiert als Bewegung vom spirituellen, himmlischen Jerusalem hin zu einer realen, christlichen Stadt in Palästina beschreiben läßt. Klein skizziert die Genese der Wallfahrten im 4. Jhdt. und stellt dabei das neue kaiserliche Interesse an ihnen heraus; besonderen Nachdruck legt er auf die vom Christentum (Eusebios) dabei bewußt inaugurierte Konkurrenz zum Judentum, wobei er auf Eusebios' Onomastikon als sichtbarsten Ausdruck dafür verweist, daß die christlichen Würdenträger früh "einer besonderen Ehrung der Erinnerungsstätten sicher waren und an Pilgerzüge dachten..." (191). Dies ist gewiß in dem Sinn zutreffend, daß mit dem Onomastikon eine geistige geographische Inbesitznahme Palästinas vollzogen wurde. Kleins These, das Buch sei als nützliches Instrument für Pilger und Fremdenführer konzipiert (191), kann der Rezensent indes nicht folgen. Vielmehr handelt es sich bei dem Onomastikon um den erhalten gebliebenen Teil eines der Bibel-Exegese dienenden größeren Werkes, das Paulinus in Auftrag gab und das neben dem Onomastikon enthielt 1.) eine Übertragung der hebräischen Völkernamen des AT ins Griechische; 2.) Eine Beschreibung des alten Judäa nach dem Buch Josua; 3.) Eine Beschreibung Jerusalems und des (ja zerstörten !) Tempels. Die Anordnung der Lemmata im Onomastikon (alphabetisch, innerhalb des Alphabets nach den Büchern der Bibel, in denen die Ortsnamen vorkommen) entspricht dem der Dichtererklärung in der Schule gewidmeten Büchlein des Vibius Sequester (auch dort alphabetisch, innerhalb des Alphabets nach der Reihe Vergil, Silius, Lucan, Ovid). Klein geht ferner auf die bekannten Pilger in Palästina, den Anonymus aus Bordeaux und Egina, ein und skizziert die innerchristliche Kritik an den Reisen zu den weltlichen loca sancta.

Gedanklich schließt die Arbeit 'Das Kirchenbauverständnis Constantins des Großen in Rom und in den östlichen Provinzen' (zuletzt 1990, s. 205-233) an, da hier der Wandel von einem spirituellen Christentum hin zur monumentalen weltlichen Repräsentation im Zentrum steht: Klein weist Konstantin einen entscheidenden Part in diesem Wandel zu.

'Theodosius der Große und die christliche Kirche' (zuerst 1994, S. 234-283) nimmt den Ausgang von der Frage, ob der Beiname 'Der Große' angemessen ist: Klein entwirft, in Opposition etwa zu den Bewertungen durch Seeck, Stein oder Demandt, das Bild eines umsichtigen und konsequenten Kaisers. Ob man sich allerdings sämtlichen Akzentuierungen anschließen kann, ist dem Rezensenten fraglich. Gewiß, der Bußakt von Mailand, zu dem Ambrosius Theodosius 390 zwang, ist das "christliche Bekenntnis eines reumütigen Sünders" (282), und eine Minderung der dignitas des Kaisers wird man auch nicht feststellen können. Dennoch geht es fehl, mit Enßlin die politische Dimension diesem Akt abzusprechen - an dieser Stelle, so scheint dem Rezensenten, geht die Theorie-Abstinenz Kleins zu weit; der Begriff der 'symbolischen Macht', den insbesondere die französische Schule verwendet, könnte in diesem Zusammenhang nützlich sein.

'Spätantike Tempelzerstörungen im Widerspruch christlicher Urteile (zuerst 1993, S. 284-294) gibt einen althistorischen Kommentar bzw. eine profunde historische Einordnung der 30. Rede (Pro Templis) des Libanios, 'Das christliche Alexandria in heidnischer Sicht. Zur epistula Hadriani in der Saturninus-vita der Historia Augusta' (zuerst 1994, S. 295-321) interpretiert eine häufig erörterte Partie der Historia Augusta (Quatt. tyr. 8) nicht allein vor dem Hintergrund der Zerstörung des Serapeums 391, sondern zieht das Alexandriner- bzw. Ägypterbild des gesamten 4. Jhdts. als Folie heran.

Die Arbeiten Richard Kleins, die dieser auch äußerlich ansprechende Band vereint (nur wenige Druckversehen sind dem Rez. aufgefallen: etwa 575, Z.12; 580, Z.26: Trennungsstriche; wieso 328 Anm. 9 Fragmente nach Edmonds zitiert werden, ist rätselhaft), zeichnet eine profunde Beherrschung antiker Quellen und moderner Forschung aus. Es dürfte wenige geben, die sich mit ähnlicher Sicherheit im Codex Theodosianus, in Salvian, Ammian, Augustin oder Eusebios zugleich bewegen. Kleins Sprache ist stets klar. Er verzichtet auf Modernismen, allerdings auch auf Auseinandersetzung mit modernen Theorien. Gelegentlich kann das seine Resultate beeinträchtigen (s. oben, siehe etwa auch S. 617, wo durchaus mit dem Begriff "Rezeptionstheorie" und seinen Implikationen hätte gearbeitet werden können). Doch ist dies angesichts dessen, was Klein in und mit den hier vorgelegten Arbeiten geleistet hat, nahezu unerheblich. Man hofft im Interesse aller, die sich mit der Spätantike befassen, Richard Klein möge seine Schaffenskraft für weitere Arbeiten und einen zweiten Band der Roma versa per aevum erhalten bleiben.

Martin Hose, München