Silke Diederich, Der Horazkommentar des Porphyrio im Rahmen der kaiserzeitlichen Schul- und Bildungstradition, Berlin / New York: De Gruyter 1999, ISBN 3-11-016389-6

Von einzelnen Mängeln abgesehen, die alle bei einer zweiten Auflage mit Leichtigkeit behoben werden können ab, zeigt sich die Arbeit von Diederich als hochwillkommen und von vielfachem Nutzen. Zum einen bringt sie uns einen zu Unrecht bislang vernachlässigten Autor und sein Werk näher, zum anderen stellt sie durch ihre Ausführlichkeit einen verläßlichen Anlaufpunkt dar für jeden, der sich für die Arbeitsweise des Scholiasten, die Geschichte eines grammatischen Problems oder einer rhetorischen Figur oder auch nur eines Terminus in der lateinischen grammatischen Literatur der Kaiserzeit interessiert.

 

Mit der als Band 55 der Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte erschienen Studie, die den Versuch unternimmt nachzuzeichnen, wie der Unterricht in den Grammatikschulen "im Detail beschaffen war, welches seine Ziele, Inhalte und methodischen Grundlagen waren und mit welchen - von unseren oft so verschiedenen - wissenschaftlichen Kategoriesystemen er operiert" (S. 2), gelingt es Silke Diederich, eine Lücke in unserem Wissen um die Bildungstradition des dritten Jahrhunderts zu schließen. Dabei zeichnet sie nicht unkritisch, aber auch nicht ohne Sympathie für den Scholiasten, den sie S. 95 selbst gegen Kiessling-Heinze in Schutz nimmt, ein erfreulich deutliches Bild dieser Gelehrtenpersönlichkeit, das über die dürren schon bekannten biographischen Einzelheiten hinausgeht. So erklärt sie die offensichtlichen Schwächen des P. in den Bereichen Metrik und Textkritik als zeit- und gattungsbedingt, da diese Disziplinen irrelevant für den Schüler auf dem Weg zur Rhetorenlaufbahn sind, findet jedoch in den wenigen textkritischen Aussagen zumindest eine lobenswerte Sorgfalt im Abwägen und Erklären einzelner Varianten, ein sicheres Urteil zu Fragen der Gedichtabgrenzungen und "einen für die Zeit gut entwickelten Sinn für die gedankliche Einheit eines Gedichtes" (S. 95).

D. gewinnt so für uns ein Werk, das bislang hauptsächlich als Hilfsmittel zur Erklärung des Horaz und für die Textkritik herangezogen wurde, als eines, das auch um seiner selbst willen betrachtet werden kann, zurück. So sehr dies uneingeschränkt zu loben ist, so sehr ist zu bedauern, daß die Schlußredaktion der Arbeit recht eilig und oberflächlich ausgefallen zu sein scheint. Hierfür sprechen zumindest eine Reihe von Druckfehlern und Versehen, die jedoch der aufmerksame Leser leicht selbst korrigiert. [FN1] Daneben findet sich allerdings auch manches, was die Benutzung der Arbeit unnötig erschwert:

- S. 43A191 "utue"; daß hier ut veniat gemeint ist, hat man seit S. 34 leicht wieder vergessen.

- S. 47: Zu den naturgeschichtlichen Sacherklärungen verweist D. auf einen eigenen Artikel. Hier wären wenigstens die wichtigsten Stellenangaben am Platz gewesen.

- S. 67: Zu Sat 2,1,29 gibt es keine prosopographische Erklärung. Gemeint ist wohl Porph. ad Sat 2,1,49 zu Gaius Turius.

- S. 103 (u.ö.): Die erweiterte Fassung des Servius-Kommentars bezeichnet D., wohl nach R.A. Kaster, Guardians of Language, Berkeley 1988, S. 169, mit DServ., manchmal jedoch auch mit DS. [FN2] Spätestens S. 338A1705 führt dieses Vorgehen zu vollständiger Verwirrung des Lesers.

- S. 177: Mit "Einleitung des Technikón-Kapitels" ist offensichtlich die Einleitung des Kapitels 3.4.2. "Die partes orationis" (S. 141-146) gemeint.

- S. 235A1237: Der Verweis auf die Erklärung zu Carm. 1,34,7-8 ist berechtigt, das Versprechen "s.o." wird aber nirgends eingelöst.

- S. 286-292: Der Exkurs "Komik" läßt sich weder über das Inhaltsverzeichnis noch über den Index finden.

- Im Index fehlen zu anthypophorá die Seitenangabe 221 und zu ironia die Seitenangaben 270 und 289f.

- Schließlich erweisen sich die häufigen Hervorhebungen im Text durch Fettdruck oder Unterstreichungen nicht immer als hilfreich, so z.B. die Überschriftverdopplung S. 101 oder die Autorennamen S. 335f.

Den größten Teil der umfangreichen Studie bildet die sorgfältige Analyse des Kommentarwerkes, der D. als Gliederung das exegetische System des Tyrannion[FN3] zugrunde legt, also die vier Organa Anagnosis, Diorthosis, Exegesis, Krisis. Die einzelnen Organa unterteilt sie dann noch weiter, gestützt auf eine Reihe von Gewährsmänner wie Dionysius Thrax, Cicero, Quintilian und Charisius. So gelingt es ihr, im Vergleich mit dem so geschaffenen idealen grammatischen System einerseits wie auch mit den Werken u.a. des Servius, Donat und den ps.-acronischen Scholien andererseits die Eigenarten, aber auch die Zeitgebundenheit des für Porphyrio anzunehmenden grammatischen Systems aufzudecken. Hierbei zeigt es sich, daß Porphyrio diese Organa hauptsächlich in den Dienst einer rhetorischen Propädeutik stellen will, er richtet "sein Augenmerk stets auch auf den Schüler." (S. 306) Diese pädagogische Ausrichtung verursacht auch den "mageren Befund an textkritischen Bemerkungen" (S.38), den D. daher nicht als Anzeichen für einen Verfall der textkritischen Arbeit sehen will, wie auch die geringen metrischen Kenntnisse des P., die sie als symptomatisch für den geringen Entwicklungsstand der Metrik im Schulunterricht erklärt. Auch in den Sacherklärungen zeigt sich P. als Kind seiner Zeit, "in der Buchwissen vor Realität" (S. 97) geht.

Wichtiger sind für Porphyrio die lexikalischen und sprachlich stilistischen Erklärungen, deren Analyse D. auch sehr viel mehr Raum widmet. Hier zeigt sich "hinter der deskriptiv-exegetischen eine präskriptiv-sprachnormierende Dimension" (S. 117), auch dies im Interesse der Ausbildung zukünftiger Redner. Im Bereich der Schemata und Figuren gelingt es D., die Intention des Porphyrio eindeutig festzulegen: Rhetorische Termini sollen in großer Zahl eingeführt werden, sich allerdings eher selbst erklären oder nur aufgefrischt werden, Schwerpunkt der Erklärungen sind Erscheinungen, die für jüngere Schüler schwer zu verstehen sind. Der ästhetische Aspekt tritt hier hinter dem der Verständnishilfe zurück, was zusammen mit dem Fehlen syntaktischer Kategorien dazu führt, daß schwierige (oder von P. nicht verstandene) grammatische Strukturen als rhetorische Figuren erklärt werden können oder müssen.

Auch im Bereich der Krisis kann D. zeigen, daß Porphyrio mehr Lehrer als Gelehrter ist, der an Horaz Mängel tadelt, "die zwar einem Redner als Fehler angekreidet würden, die aber bei einem Dichter gerechtfertigt werden können" (S. 278f.).

Den Abschluß der Arbeit bilden ein Kapitel zu Porphyrios kritischem Vokabular und eines über kanonische Autoren des 3. Jahrhunderts, die beide für jeden, der sich für die Bildungsgeschichte dieser Zeit interessiert, außerordentlich nützlich sind, und eine Zusammenfassung, die eine Würdigung der spezifisch porphyrionischen Lehr- und Kommentierungstätigkeit darstellt.

Dirk Hansen, Greifswald

 

 

 

[FN1] Etwa "Fragen..., die eingeleiten werden" (S.27), "(?)" (S.28A130), "Eploration" (S. 54A261), "Synoymik" (S. 119), "synechdochikôs" (S.135A716), "S. dazu Mastellone S. 105ff. weist darauf hin..." (S. 180A970), die fehlenden Hochpunkte in griechischen Zitaten (S. 214A1133; 218A1153 mit der Stellenangabe "schol. Dion Thr. III 121 p. 16H" statt schol. Dion.Thr. 121,16; S. 280A1466), Synekdochen / Synekdochai (S.235 / S. 240), perì paidíon (S.333A1674, im Text richtig), epidiórthosis und antypophorá (im Index).

[FN2] Beide Abkürzungen fehlen im Abkürzungsverzeichnis.

[FN3] Nach H. Usener, Ein altes Lehrgebäude der Philologie, Sitzungsberichte d. philos.-philol. und hist. Kl. d. bayr. Ak. d. Wiss. 1892, Heft IV, 582-648 (= Kl. Schr. II, Leipzig 1913, 265-314). Der Titel wird von D. als "Ein antikes Lehrgebäude der Philologie" zitiert (S. 365).